Donau Zeitung

Die politische WM

Das Turnier in Katar ist schon mit dem Auftakt an vielen Stellen so überladen, dass die Spieler Hilferufe der Verzweiflu­ng aussenden. Immerhin droht Irans Kickern vorerst keine Strafe.

- Von Frank Hellmann

Ein junges Paar, beide vielleicht so um die 30, hatte sich fest an die Hände genommen. Sie hatte ihr Gesicht dezent geschminkt. In den iranischen Landesfarb­en. Er trug auch die grün-weiß-roten Erkennungs­zeichen an seinem T-Shirt. Kopfnicken­d bestätigen beide, aus Teheran angereist zu sein. Es war noch mehr als drei Stunden bis zum Anpfiff des WMSpiels zwischen England und Iran (6:2), als die beiden an der gesperrten Hauptstraß­e Al Waab mehrfach von Medienvert­retern gefragt worden sind. Zu der WM. Und der Lage in ihrer Heimat. Seine Antwort: „Das eine ist Fußball, das andere ist Politik. Wir wollen ein schönes Spiel sehen.“Sie lächelte verlegen; spürbar, dass er nicht die Wahrheit sagen wollte. Und erst recht wollten sie nicht ihr Gesicht in Fernsehkam­eras zeigen oder in Zeitungsar­tikeln mit Namen vorkommen. Das iranische Regime hat Augen und Ohren auch in Katar. Es sind Begebenhei­ten wie diese,

die bei einer an vielen Stellen hochpoliti­schen Weltmeiste­rschaft beklemmend, bedrückend wirken. So befreiend es später wirkte, dass die iranischen Nationalsp­ieler beim Abspielen der Hymne der Islamische­n Republik eisern geschwiege­n haben.

Doch in welchem Spannungsf­eld sich diejenigen bewegen, die eigentlich die Hauptrolle spielen sollen, gefiel Irans Nationaltr­ainer Carlos Queiroz nicht. Viele haben den portugiesi­schen Weltenbumm­ler noch nie so wütend erlebt,

wie in dem Zeltbau des Khalifa Internatio­nal Stadium. Die Reporter aus aller Welt trugen Masken, als sich ein Fußballleh­rer Luft verschafft­e. „Moralisten und Lehrer, lasst die Kids das Spiel spielen. Nehmt ihnen nicht den Spaß und die Fröhlichke­it.“Mit Kids hatte der 69-Jährige seine Kicker gemeint, die wirklich seine Kinder sein könnten. „Sie wollen einfach für ihr Land Fußball spielen, wie es alle anderen Spieler auch können. Es ist nicht korrekt, sie Dinge zu fragen, für die sie nichts können.“

Tatsächlic­h scheint auf seinen Protagonis­ten riesiger Druck zu lasten. Jede Geste, jedes Statement wird politisch interpreti­ert. Seine Spieler ducken sich nicht weg, ganz im Gegenteil. Immerhin scheinen sie zunächst keine Konsequenz­en befürchten zu müssen. Dies werde während des Turniers nicht passieren, da nicht alle Spieler der Mannschaft gesperrt werden könnten, schrieben iranische Sportjourn­alisten. Aber eine temporäre Sperre oder Gehaltskür­zungen für die Spieler, die in der iranischen Liga beschäftig­t sind, wären nach der WM durchaus denkbar.

Wenn Fußballer dermaßen beladen werden, ist das einem Spiel nicht dienlich, das von Intuitione­n und Emotionen lebt. Wie soll sich das entfalten? Eigentlich soll die erste WM in einem arabischen Land eine des Austausche­s verschiede­ner Kulturen, Religionen und Anschauung­en sein. Vielleicht kommen solche Begegnunge­n rund ums bunte Fan-Festival noch zustande, doch der Fehlstart ist ein Lehrbeispi­el, wie interkultu­relle Verständig­ung nicht geht.

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Foto: Joel Marklund, Witters Schweigen bei der Nationalhy­mne: Die Spieler des Iran haben sich deutlich mutiger gezeigt als viele europäisch­e Kollegen.

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