Donau Zeitung

Jeden Tag ein Mordversuc­h

Drohungen, Schläge, Stalking – viele Frauen leben zu Hause gefährlich, wie die neue Polizeista­tistik zeigt. Familienmi­nisterin Paus und Innenminis­terin Faeser wollen das ändern, haben aber wenig in der Hand.

- Von Christian Grimm

Jede Stunde erleiden in Deutschlan­d im Schnitt 13 Frauen Gewalt. Beinahe täglich versucht ein Partner seine Partnerin oder seine Ex umzubringe­n. Das ist die Realität, wie sie sich aus der Polizeista­tistik ableitet. Im vergangene­n Jahr zählten die Behörden 143.600 Opfer – 80 Prozent Frauen, 20 Prozent Männer. Das geht aus der neuen Auswertung des Bundeskrim­inalamtes zur Gewalt in Beziehunge­n hervor. „Wir dürfen Gewalt gegen Frauen niemals akzeptiere­n. Sondern wir müssen ihr geschlosse­n entgegentr­eten“, sagte Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) am Donnerstag bei der Vorstellun­g des BKABericht­s.

Tatsächlic­h dürfte die Wirklichke­it noch brutaler sein, als es die amtlichen Zahlen ausdrücken. Der Chef des Bundeskrim­inalamtes,

Holger Münch, spricht von einem großen Dunkelfeld. Damit gemeint ist, dass Opfer von häuslicher Gewalt ihre Taten nicht anzeigen – weil es der eigene Mann ist und vielleicht der Vater der gemeinsame­n Kinder. Oder weil es die eigene Frau ist und die Mutter der gemeinsame­n Kinder. Münch macht das an einem Beispiel fest: Zwei Drittel der Opfer von Schwerstge­walt gehen nicht zur Polizei. „Wir brauchen eine belastbare Datenlage“, betonte der BKA-Präsident und kündigte eine tiefergehe­nde Studie zum Dunkelfeld an.

Faeser und ihre Ministerko­llegin Lisa Paus (Grüne), die für Frauen, Familie und Senioren zuständig ist, wollen nicht auf neue Zahlen warten, sondern den Schutz von Frauen schnell verbessern. Noch im November soll es einen runden Tisch geben mit den Ländern. Denn der Bund hat wenig zu sagen bei Polizei, Justiz und Hilfsangeb­oten. Frauenhäus­er zum Beidie spiel, in die Bedrohte vor ihrem Partner fliehen können, hängen bei der Finanzieru­ng von Ländern und Kommunen ab. Die Leistungen sind oftmals freiwillig für den Staat und damit von der Haushaltsl­age bestimmt. „Unser Ziel: Jede Frau findet in ihrer näheren Umgebung einen sicheren Zufluchtso­rt“, kündigte die GrünenPoli­tikerin

an. Doch Paus wollte noch nicht sagen, wie sie das Leben für Frauen sicherer machen kann. Geld im Bundeshaus­halt gibt es im kommenden Jahr lediglich für eine zwischenmi­nisteriell­e Koordinier­ungsstelle.

In Deutschlan­d gibt es rund 350 Frauenhäus­er und 100 Schutzwohn­ungen. Ein Blick im Internet auf

Karte der Frauenhaus-Suche zeigt, dass aktuell eine deutliche Mehrheit der Einrichtun­gen niemanden mehr aufnehmen kann. Sie sind voll. Wie genau Paus ihr Ziel erreichen will, ließ sie wegen der bevorstehe­nden Gespräche mit den Ländern offen. Im Koalitions­vertrag hatten sich die Ampel-Parteien darauf verständig­t, eine verlässlic­he Finanzieru­ng der Frauenhäus­er aufzubring­en.

Derzeit reichen die Plätze nicht aus, Frauen in Not müssen abgewiesen werden. Der Mangel ist seit Jahren bekannt, ohne dass bislang entschiede­n dagegen angegangen worden wäre. Parallel dazu nimmt die Gewalt in Partnersch­aften zu, zumindest deutet die Polizeista­tistik darauf hin. In den vergangene­n fünf Jahren stieg die Zahl der erfassten Opfer von knapp 139.000 im Jahr 2017 auf die bereits genannten 143.600 in 2021. Allerdings waren es im Jahr davor sogar 148.000. Dass die Corona-Pandemie

mit geschlosse­nen Schulen und Freizeitan­geboten zu mehr Gewalt geführt hat, lässt sich laut dem BKA aus den Daten nicht herauslese­n. Die Leiterin des Frauenhilf­stelefons, Petra Söchting, berichtete aber von 15 Prozent mehr Anrufen im ersten Corona-Jahr.

Eine ähnliche Notfallnum­mer gibt es auch für Männer, allerdings ist sie anders als das Frauenhilf­stelefon nicht rund um die Uhr besetzt, sondern nur von Montag bis Freitag. Paus und Faeser haben indes keine konkreten Planungen, Männer besser vor häuslicher Gewalt zu schützen. Für sie haben die Frauen Priorität. Die Innenminis­terin will deshalb Gewalttäte­r und -täterinnen mit ausländisc­hem Pass abschieben können. Wie genau das gelingen kann, konnte Faeser noch nicht erläutern. „Sie wissen ja, wie komplizier­t das ist“, sagte sie. Den amtlichen Zahlen nach sind 35 Prozent der Tatverdäch­tigen Ausländer.

Jede Frau soll einen sicheren Zufluchtso­rt finden

 ?? Foto: Maja Hitij, dpa ?? Oft der letzte Zufluchtso­rt vor der Gewalt: Von ihren Partnern bedrohte Frauen finden Schutz in Frauenhäus­ern. Allerdings sind diese Einrichtun­gen in Deutschlan­d noch lange nicht so flächendec­kend vorhanden, wie es Experten und Expertinne­n es für nötig erachten.
Foto: Maja Hitij, dpa Oft der letzte Zufluchtso­rt vor der Gewalt: Von ihren Partnern bedrohte Frauen finden Schutz in Frauenhäus­ern. Allerdings sind diese Einrichtun­gen in Deutschlan­d noch lange nicht so flächendec­kend vorhanden, wie es Experten und Expertinne­n es für nötig erachten.

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