Ihr Schatz ist weg
Zwei Tage nach dem Golddiebstahl fühlt sich Manchings Bürgermeister noch immer „wie im falschen Film“. Zu Besuch in einem Ort, dem seine größte Attraktion abhanden gekommen ist.
Der spektakulärste Goldklau der neueren Geschichte Bayerns begann mit etwas fast schon Alltäglichem, er begann mit einer Telekom-Störung. Wer in der Nacht zum Dienstag die 08459 vorwählte, landete im Nichts. Das Netz in Manching, südöstlich von Ingolstadt, war tot, 13.000 Menschen ohne Telefonie und Internet.
Als gegen 4 Uhr morgens ein Techniker das kleine Verteilerzentrum in der Ortsmitte überprüfte, fand er abgezwickte Glasfaserkabel. Dass davon auch Alarmanlagen betroffen sein können, wusste er, und informierte die Polizei. Die schickte Streifen, um bei den örtlichen Banken nach dem Rechten zu sehen. Das Kelten-Römer-Museum hatte niemand auf dem Schirm. Es wäre ohnehin zu spät gewesen.
Am Ende dieser Nacht hat Manching seinen prunkvollsten Schatz verloren, 483 keltische Goldmünzen. Das Bayerische Landeskriminalamt (LKA) ermittelt im Akkord. Manching ist in Aufruhr. Und in ganz Bayern überdenken Museen ihr Sicherheitskonzept.
Ob die gekappten Kabel in Zusammenhang mit dem Einbruch stehen, ist noch nicht erwiesen. Doch der Ablauf der Ereignisse lässt kaum einen anderen Schluss zu: Um 1.17 Uhr drangen Unbekannte in das Betriebshäuschen der Telekom ein. Nur neun Minuten später hebelten die Golddiebe einen Kilometer weiter die Fluchttür des Museums auf. Wiederum neun Minuten später verschwanden sie wieder. Der Alarm wurde zwar ausgelöst, wegen des Netzausfalls aber nicht an die Wachfirma übermittelt.
Zwei Tage später erinnert sich Manchings Bürgermeister Herbert Nerb, wie er morgens um halb acht vor den durchtrennten Kabeln stand und dachte: „Da ist ein Irrer unterwegs und kappt TelekomLeitungen.“Noch keine Rede vom Schatz. Erst als zwei Stunden später ein Museumsmitarbeiter ins Rathaus sprintete – die Telefone waren ja stumm – und wie ein Meldegänger vom Einbruch berichtete, schlugen sie großen Alarm in der kleinen Gemeinde.
1,6 Millionen Euro sind die Goldmünzen wert. Aber es geht hier um mehr als nur um Geld. Der Schatz, gefunden 1999 unter einem verrotteten Hauspfosten, war Teil der Identität Manchings. Man muss nur 2000 Jahre nach Prägung dieser Münzen über den Marktplatz schlendern und die Leute darauf ansprechen. „Das war ja der Schatz schlechthin. Die meisten sind deswegen nach Manching gekommen“, sagt Anwohnerin Claudia Fiedler. „Für uns war das schon ein Zugpferd“, erzählt auch die Blumenhändlerin von nebenan.
Es gibt hier die „Realschule am Keltenwall“, das Museum veranstaltete Kelten- und Römertage. Das unauffällige Manching war mal eines der größten Handelszentren Europas, es gilt als besterforschte Keltensiedlung überhaupt. Die 20-köpfige Soko des LKA trägt nun ihren alten Namen: „Oppidum“. Eine „komplette Katastrophe“sei das, sagt Bürgermeister Nerb. „Ich meine immer noch, ich bin im falschen Film.“Er hetzt von einem Termin zum nächsten, für das kurze Telefonat hat er sich fünf Minuten freigeschaufelt, die Türen im Museum müssten erneuert werden. Und, und, und.
Auch wenn die Spurensuche der Ermittler abgeschlossen ist, bleiben die Pforten des Kelten-RömerMuseums zunächst geschlossen. Am Donnerstag war ausweislich des Außendienst-Wagens am Parkplatz einer der einzigen Gäste: ein Alarmanlagen-Hersteller.
Als im Januar eine Bande Schmuckstücke im Wert von 113,8 Millionen Euro aus dem Grünen Gewölbe in Dresden raubte, überprüfte man auch in Manching sein Sicherheitskonzept. „Aber diese Überprüfung beschränkt sich auf das eigene Haus. Man kann nicht vorhersehen, dass fernab eine Telekommunikationseinrichtung sabotiert wird“, sagt Rupert Gebhart, leitender Sammlungsdirektor der Archäologischen Staatssammlung München. „Ein Restrisiko bleibt immer. Absolute Sicherheit haben Sie erst, wenn Sie die Schätze in einen Betonwürfel sperren.“Aber will man das, als Museum? Viele Häuser denken jetzt an Alternativen. „Man muss sich tatsächlich fragen, ob man alle Stücke wirklich präsentieren kann oder ob man die Sicherheit eines Tresors sucht“, sagte etwa Wolfgang Schneider vom Museum am Würzburger Dom der Deutschen Presseagentur.
Zumindest die Telekom-Leitungen in Manching funktionieren inzwischen wieder und damit die Geldautomaten der zwei Bankfilialen, die Kartenlesegeräte der Geschäfte, die Telefone im Rathaus, das WLAN zu Hause. Doch seinen größten Schatz, den hat der Ort verloren.