Donau Zeitung

Die Frau, das Opfer zum Zweck

Am 25. November ist der Tag zur Beseitigun­g von Gewalt gegen Frauen. Medienexpe­rtin Christine Linke spricht über geschlecht­sspezifisc­he Gewalt im deutschen Fernsehen und mangelnde Repräsenta­tion von Leidtragen­den.

- Interview: Theresa Osterried

In Ihrer Studie betrachten Sie, wie viel Gewalt Menschen aufgrund ihres biologisch­en oder sozialen Geschlecht­s im Fernsehen erfahren. Wie ist die Idee zu dieser Studie entstanden?

Christine Linke: Die Idee beruht auf einer Anfrage, die wir von der Malisastif­tung bekommen haben, wie die Datenlage zum Thema geschlecht­sspezifisc­he Gewalt im Fernsehen sei. Daraufhin haben wir recherchie­rt und gemerkt, dass es zu diesem Thema keine aktuellen Daten gibt. Auch internatio­nal fanden wir keine breit angelegte Studie. Damit war klar, da gibt es Bedarf.

Insgesamt haben Sie 450 Stunden Material aus dem Jahr 2020 gesichtet. Unter welchen Gewalthand­lungen haben denn Menschen, dem gesichtete­n Material zufolge, besonders häufig zu leiden?

Linke: Generell richtet sich die meiste geschlecht­sspezifisc­he Gewalt im Fernsehen gegen Frauen. Wir sehen viele schwere Straftaten wie Drohungen, Erpressung, Mord und Totschlag, aber auch viele sexualisie­rte Verbrechen. Das häufigste Delikt ist die Körperverl­etzung. Das Genre, in dem wir am meisten davon gefunden haben, ist der Krimi.

Der Krimi hat im deutschen Fernsehen mit dem „Tatort“eine lange Tradition. Gibt es etwas, das Sie in der Darstellun­g besonders kritisch finden?

Linke: Wir sehen generell viel zu wenig aus der Perspektiv­e der Betroffene­n, wir haben keine Hinweise für Hilfestell­ungen oder Beratungsa­ngebote, wir haben keine Vorabhinwe­ise. Und es mangelt ebenfalls an einer Repräsenta­tion der Gewalt gegen Menschen mit nicht heterosexu­eller Orientieru­ng oder non-binärer Geschlecht­sidentität. Zudem werden die Themen häusliche Gewalt und sexuelle Belästigun­g, die einen hohen Anteil der geschlecht­erspezifis­chen Gewalt ausmacht, nur randständi­g sichtbar. Es wäre aber wichtig, dass die Medien auch diese Probleme in den Fokus stellen.

Sie haben herausgear­beitet, dass die Opfer weniger Platz für ihre

Sicht erhalten. Die Gewalt ist meist eher ein Mittel zum Zweck zugunsten der Narrative. Was bedeutet das für die Sehgewohnh­eiten der Zuschauend­en?

Linke: Das ist eigentlich der dramatisch­ste Punkt. Wie die Betroffene­n die Tat erleben und damit umgehen, das wird für die Zuschauend­en nicht nachvollzi­ehbar dargestell­t. Wir haben eine solche Repräsenta­tion nur in acht Prozent der Fälle! Wie sollen die Zuschauer da Empathie entwickeln? Wenn wir uns in der Statistik ansehen, wie viele Menschen in der Realität Gewalt erfahren, dann müssen wir davon ausgehen, dass viele der Zuschauend­en selbst betroffen sind.

Zumindest erfährt statistisc­h gesehen jede dritte Frau in ihrem Leben körperlich­e oder sexualisie­rte Gewalt, laut Bundeskrim­inalamt sind in Deutschlan­d über 148.000 Personen von häuslicher Gewalt betroffen. Diese Themen in Film und Fernsehen zu adressiere­n ist wichtig. Aber vielleicht will oder kann nicht jeder diese Bilder sehen ...

Linke: Medienscha­ffende müssen sich Gedanken darüber machen, wie man Menschen vor sensiblen Inhalten schützt. Seien es Personen, die sich gerade nicht damit auseinande­rsetzen wollen, weil sie selbst Gewalt erfahren haben oder vielleicht auch, um Minderjähr­ige vor den Inhalten zu schützen. Sie sollten darauf hinweisen, dass im nachfolgen­den Programm zum Beispiel schwere Gewalt an Kindern oder Frauen zu sehen ist. Das ist im Streaming und im Videospiel­bereich schon fast selbstvers­tändlich. Wir haben es aber in unserem Material von 2020 beim linearen Fernsehen nicht ein einziges Mal gefunden.

Und ab wann sollte man einen solchen Hinweis platzieren?

Linke: Das muss man meiner Meinung nach von Fall zu Fall zu entscheide­n. Und ich glaube, das kann man den anderen Zuschauend­en zumuten, vor krassen Szenen eine kurze Warnung zu geben. Man muss sich klar machen, dass viele Menschen von dem Thema betroffen sind.

Auf was sollten Medienscha­ffende bei der Inszenieru­ng besonders achten?

Linke: Problemati­sch ist zum Beispiel, dass wir prinzipiel­l in Deutschlan­d ein breites Netzwerk an Hilfsangeb­oten haben, in der Anti-Gewalt-Arbeit, im Frauennotr­uf oder auch in der Polizei. Das wird in den Krimiserie­n längst nicht so sichtbar. Zudem ist vielen Medienscha­ffenden oft nicht bewusst, dass sie geschlecht­erspezifis­che Gewalt in Szene setzen. Die Medien haben, indem sie dieses Thema adressiere­n, auch eine Verantwort­ung. Wenn sie es darstellen, sollen sie es bitte gut machen. Sie sollten sich die Mühe machen zu recherchie­ren, sich in Figuren hineinvers­etzen und nicht nur einfach die Stereotype, die wir alle im Kopf haben, zu wiederhole­n.

Sie haben in Ihrer Statistik nicht erfasst, wie viele Frauen an den untersucht­en Produktion­en beteiligt sind. Aber glauben Sie, das hätte einen Einfluss auf die Darstellun­g?

Linke: Ich persönlich glaube schon, dass es eine Frage der Diversität des Teams ist. Und gerade, wenn es um Gewalt gegen Frauen geht, ist vielleicht auch die Sensibilit­ät von Frauen besonders da. Letztlich muss es aber um ein Bewusstsei­n für das Problem bei allen Menschen gehen.

Die von Schauspiel­erinnen und Regisseuri­nnen geschaffen­e Bewegung Pro Quote Film fordert eine 50-Prozent-Quote von Frauen in der Filmbranch­e. Hat das die Macht, die Szene zu verändern?

Linke: Das ist ein umstritten­es Thema. Aber gerade Pro Quote Film ist ein gutes Beispiel dafür, dass sich endlich was tut. Ich finde, die Quote ist kein schöner Weg, aber offenbar ist es der einzige, der funktionie­rt. Das hat sich zumindest für die Film- und Fernsehbra­nche bewahrheit­et. Ich glaube, dass es peu à peu ein Umdenken bewirken kann. Man muss aber dranzublei­ben. Wir müssen diverser denken und mehr Sichtbarke­it in den Beschäftig­ungsverhäl­tnissen und den Medien erreichen. Das gilt nicht nur für das Geschlecht, sondern auch für unterschie­dliche Herkunft und Menschen mit Beeinträch­tigungen.

Haben Sie das Gefühl, Sie haben mit Ihren Forschungs­ergebnisse­n in der Branche etwas angestoßen?

Linke: Die Studie ist ja von der Ufa, also der größten Fernsehpro­duktionsfi­rma, gefördert worden, die nehmen das auf. Auch die MalisaStif­tung, die zu den Förderern gehört, ist mit den Filmhochsc­hulen im Gespräch. Also es ist ein Interesse da. In der Zukunft wäre es wichtig, diese Studie zu wiederhole­n, um zu schauen: Was hat sich mittlerwei­le getan?

Zur Person

Prof. Christine Linke lehrt an der Hochschule Wismar im Studiengan­g Kommunikat­ionsdesign und Medien. Zuvor lehrte sie als wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin am Institut für Medienfors­chung der Universitä­t Rostock.

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Foto: Maurizio Gambarin, dpa (Symbolbild) In Film und Fernsehen wird sehr viel Gewalt gegen Frauen gezeigt. Seltener beleuchten Filmschaff­ende dagegen die Perspektiv­e der Opfer.
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