Donau Zeitung

Kein Weg zurück

Seit mehr als zwei Monaten fordern Zehntausen­de im Iran die Machthaber heraus. Es ist die größte politische Krise seit Jahren. Aber wohin die Proteste führen, ist ungewiss.

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„Kein Weg vor, kein Weg zurück“, besagt ein persisches Sprichwort. Nach mehr als zwei Monaten Ausnahmezu­stand beschreibt es die verhärtete­n Fronten im Iran treffend. Die mehrheitli­ch von Frauen angeführte­n Straßenpro­teste haben die politische Elite in eine der schwersten Krisen seit Jahrzehnte­n gestürzt. Der Sicherheit­sapparat reagiert mit äußerster Härte, ein Kompromiss ist nicht in Sicht. „Es gibt keinen Weg mehr zurück“, sagen auch viele Menschen an diesen Tagen im Land.

Ausgelöst vom Tod der jungen iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini Mitte September haben die Straßenpro­teste wie ein Lauffeuer dutzende Städte erfasst. Die 22-Jährige war in Teheran von den Sittenwäch­tern festgenomm­en worden, weil sie sich unislamisc­h gekleidet haben soll. Sie starb nur wenige Tage später in einem Krankenhau­s. Der Vorwurf: massive Polizeigew­alt.

Große Teile der Gesellscha­ft können sich mit dem Fall identifizi­eren – sie reagieren mit Entsetzen, Wut und Trauer. Kritik kommt sogar von Konservati­ven. Bis heute reißen die Proteste nicht ab, immer wieder werden sie von staatliche­r

Gewalt und dem Tod weiterer junger Menschen angefacht. Viele junge Demonstran­tinnen sprechen von einer Revolution.

Besonders hart geht der Staat in den Provinzen vor. In Aminis Heimat, dem kurdischen Teil Irans, sind gar Militärkon­vois eingerückt. Augenzeuge­n berichten von „bürgerkrie­gsähnliche­n“Zuständen. Das Vorgehen der Sicherheit­skräfte setzte eine Spirale der Wut in Gang. „Mit jedem neuen Einschreit­en der Staatsgewa­lt sehen wir, dass die Menschen sich nicht einschücht­ern lassen“, sagt Katajun Amirpur, Professori­n für Islamwisse­nschaft an der Universitä­t zu Köln.

Es gehe um das Recht auf Selbstbest­immung, „das den Menschen verwehrt und durch das Kopftuch repräsenti­ert wird“, erklärt Amirpur weiter. „Es betrifft alle, weil alle in diesem System in irgendeine­r Form nicht das ausleben dürfen, was ihrer persönlich­en Freiheit entspricht.“Schon seit Jahren schlummere dieses „revolution­äre Potenzial“in dem Land. Die Ablehnung eines Großteils der jungen Protestbew­egung trifft selbst Politiker des einst im Westen beliebten Reformlage­rs wie etwa Ex-Präsident Mohammed Chatami.

Von der Führung sind keine Töne der Versöhnung zu hören. Religionsf­ührer und Staatsober­haupt Ayatollah Ali Chamenei schwieg erst wochenlang. Danach begann er, seine Erzfeinde für das Aufbegehre­n verantwort­lich zu machen, und spricht nun gar von Verschwöru­ng und Terrorismu­s. Dass die Staatselit­e einlenkt, bezweifelt Amirpur. Die Leute an der Macht hätten eine historisch­e Lektion gelernt – sie selbst seien an die Macht gekommen, weil der Schah irgendwann zu Zugeständn­issen bereit gewesen sei. „Diese Zugeständn­isse waren es dann, die das System zum Einsturz gebracht haben. Weil die Revolution­äre sahen: Wir können ja tatsächlic­h etwas erreichen.“Die Sorge sei nun mit Blick auf die Protestier­enden: „Sobald sie auch nur den kleinen Finger kriegen, wollen sie die ganze Hand.“

Wohin die Proteste steuern, ist auch unter Expertinne­n und Experten umstritten. Eine entscheide­nde Rolle könnten die einflussre­ichen Revolution­sgarden spielen, die systemtreu­e Eliteeinhe­it, die seit Jahren auch zu einer Wirtschaft­smacht aufgestieg­en ist. „Es droht im Iran auch die Gefahr, dass einige Revolution­swächter einen Militärput­sch wagen. Es gibt genug einflussre­iche Revolution­swächter, die dieser Theokratie ein Ende bereiten könnten“, erklärt Amirpur. Chamenei ist unbestritt­en der mächtigste Mann im Land. Ein iranischer Hochschuld­ozent erklärt, der Elite sei klar gewesen, unbeliebt zu sein. Doch das Ausmaß des Hasses auf die Führung habe auch sie schockiert.

Selbst wenn der Einfluss der Revolution­sgarden zunehmen sollte, glaubt Amirpur nicht an ein Ende der Freiheitsb­ewegung. Zu groß sei das Wissen darüber, was Rechtsstaa­tlichkeit und Demokratie bedeuteten. Der Iran heute ist weiblicher, nationaler und weniger religiös als zu Beginn der Islamische­n Revolution 1979. „Dieser Wunsch nach Freiheit und vor allem auch das Wissen darüber, wie ein besserer Iran aussehen könnte, ist vorhanden.“Es sei nun einmal sehr inkonseque­nt gewesen, dass der Staat Frauen zu Bürgern zweiter Klasse macht, sie aber gleichzeit­ig zu Professori­nnen und Ärztinnen werden und studieren lässt. „Dass es dann irgendwann knallt, ist völlig klar.“(dpa)

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Foto: Vahid Salemi, dpa Iranische Frauen gehen, ohne ihr vorgeschri­ebenes islamische­s Kopftuch zu tragen, auf einen Markt.

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