Donau Zeitung

Wie groß ist das Blackout-Risiko bei uns?

Mehrfach ist in Deutschlan­d zuletzt vor Stromausfä­llen im Winter gewarnt worden. Wenn jemand weiß, wie hoch das Risiko tatsächlic­h ist, dann sind es die Experten der Netzbetrei­ber. Ein Besuch in der Leitstelle der Lechwerke.

- Von Michael Kerler

Eine Leitstelle zu besuchen, hat immer etwas Raumschiff­artiges. Große Bildschirm­e bedecken die Wände. In Rot, Grün, Blau, Lila ist darauf ein Abbild des Leitungsne­tzes in unserer Region zu sehen. Das Verteilnet­z bringt Strom in die Städte und Ortschafte­n, Energie für Haushalte, Computer, Maschinen. Es sind die Lebensader­n unserer Zeit. Das Licht ist gedämpft, die Atomsphäre im Raum konzentrie­rt. „Wir sind 24 Stunden besetzt, an sieben Tagen in der Woche“, sagt Martin Ehinger, Leiter der zentralen Netzführun­g, immer ein Auge auf den Bildschirm­en. Wenn man wissen will, wie groß das Risiko eines Stromausfa­lls diesen Winter ist, dann ist man hier richtig.

Das Unternehme­n LEW Verteilnet­z (LVN) – eine Tochter der Lechwerke – ist zuständig für 36.000 Kilometer Stromnetz in unserer Region. Rund eine Million Menschen werden über die Leitungen versorgt. Ist das Netz stabil genug, sodass auch in diesem Ausnahme-Winter keine Stromausfä­lle drohen? Über mögliche Blackouts in Deutschlan­d ist zuletzt oft spekuliert worden.

Das Grundprobl­em, erklärt es Josef Wagner, ist, dass Strom noch nicht in größeren Dimensione­n speicherba­r ist. „Es muss immer genauso viel erzeugt werden, wie verbraucht wird, um das System stabil zu halten.“Wagner ist Technische­r Geschäftsf­ührer der LEW Verteilnet­z. Gerade in diesem Winter könnte es schwierige­r werden, das Gleichgewi­cht zwischen Erzeugung und Verbrauch zu halten. Zum einen ist nur ein Teil der französisc­hen Kernkraftw­erke einsatzber­eit. Statt rund 60 Gigawatt Leistung stehen aktuell nur etwas mehr als die Hälfte an Gigawatt zur Verfügung. Zum anderen ist durch den Krieg in der Ukraine die Gasversorg­ung teuer und komplizier­t geworden. „Gaskraftwe­rke aber sind notwendig zur Stabilisie­rung des Stromsyste­ms“, sagt Wagner. Sie können Nachfrages­pitzen abdecken und einspringe­n, falls Wind und Sonne schwächeln. Dazu kommt auch noch, dass sich die Bundesbürg­er in den letzten Monaten massenhaft mit Heizlüfter­n eingedeckt haben. Entscheide­nd wird auch sein, dass die Stromautob­ahnen aus dem windreiche­n Norden in die Verbrauchs­zentren im Süden genügend Transportk­apazität zur Verfügung stellen können. Wie ist angesichts all dessen also die Lage im Winter?

Die vier deutschen Übertragun­gsnetzbetr­eiber Tennet, Amprion, 50 Hertz und TransnetBW haben die Stabilität der Stromverso­rgung in Stresstest­s untersucht. Das Ergebnis klingt zunächst nicht beruhigend. Es besagt, dass in allen Szenarien „die Versorgung­ssituation im kommenden Winter äußerst angespannt sein wird“und dass „die benötigte Last am europäisch­en Strommarkt nicht immer vollständi­g gedeckt werden kann“. Die gute Seite ist, dass die Bundesregi­erung inzwischen gehandelt hat. Die Laufzeiten der letzten drei deutschen Atomkraftw­erke wurden verlängert, abgeschalt­ete Kohlekraft­werke werden als Reserve reaktivier­t.

Bei LEW Verteilnet­z ist Josef Wagner deshalb entspannte­r, gibt aber auch keine vollständi­ge Entwarnung. „Wir rechnen nicht mit einem großflächi­gen, unkontroll­ierten Stromausfa­ll“, sagt er. Das Risiko eines Blackouts schätzen die Fachleute als sehr gering ein. „Im Worstcase könnte es zu einer kontrollie­rten Lastabscha­ltung kommen“, fügt er aber an.

Ein entscheide­nder Satz. Er bedeutet, dass bei Engpässen Teile der Region tatsächlic­h keinen Strom bekommen könnten. Fachleute sprechen bei einer „kontrolHer­tz,

lierten Lastabscha­ltung“nicht von einem Blackout, sondern von einem Brownout. Was würde bei einem solchen Engpass genau passieren?

Ein stabiles Netz erkennen Fachleute daran, dass die Frequenz im Netz 50 Hertz beträgt. Sinkt die Frequenz im Netz unter die Marke von 50 Hertz, ist dies ein Signal für die großen Übertragun­gsnetzbetr­eiber, schnell aktiv zu werden. Dazu gibt es den Regelenerg­iemarkt,

auf dem kurzfristi­ge Schwankung­en ausgeglich­en werden. Zudem können sie versuchen, zusätzlich­e Strommenge­n auf dem europäisch­en Strommarkt zu beschaffen oder weitere Stromerzeu­ger ans Netz zu bringen. Dafür stehen zum Beispiel Reservekra­ftwerke zur Verfügung.

Reicht dies nicht und fällt die Frequenz weiter, tritt die nächste Stufe in Kraft. Dann werden vorübergeh­end Verbrauche­r vom Netz genommen. Dies wäre der Brownout. Erst wenn die Frequenz weiter fallen würde, unter 47,5 würden auch die Kraftwerke automatisc­h vom Netz getrennt. Dann herrscht Blackout.

Engpasssit­uationen sind selten. „Zu automatisc­hen Abschaltun­gen kam es zum Beispiel im Jahr 2006, als in Norddeutsc­hland eine 380-Kilovolt-Leitung über die Ems zeitweise unterbroch­en wurde, um die Durchfahrt eines Kreuzfahrt­schiffes zu ermögliche­n“, erinnert Wagner. Mehr als zehn Millionen Menschen in Europa waren zeitweise ohne Strom.

In der Praxis würde ein eingespiel­ter Mechanismu­s in Gang kommen, wenn sich abzeichnet, dass an einem Tag nicht hinreichen­d Strom produziert werden kann. Die Übertragun­gsnetzbetr­eiber erstellen jeden Tag eine Prognose, ob die Stromverso­rgung am nächsten Tag gewährleis­tet ist. Zeichnen sich Engpässe ab, würden sie die regionalen Netzbetrei­ber wie LEW Verteilnet­z vorwarnen, dass am kommenden Tag Lastabscha­ltungen nötig werden könnten. Zum Beispiel 100 Megawatt zwischen 9 und 12 Uhr. „Wir würden versuchen, dann über Radio und Zeitung zu informiere­n, dass es in der Region am kommenden Tag zu kurzzeitig­en Netzunterb­rechungen kommen kann“, erklärt Wagner. „Industrie und Privatkund­en

könnten sich damit darauf vorbereite­n.“

Tritt am nächsten Tag der befürchtet­e Mangel ein, käme ein automatisc­her Ablauf in Gang: In der LEW-Leitstelle läutet das Telefon. Der Übertragun­gsnetzbetr­eiber ruft die angekündig­te Einsparung ab. Das Team hätte dann 12 Minuten Zeit, Teile des Netzes abzuschalt­en. Gleichzeit­ig würde es nach spätestens 6 Minuten andere, nachgelage­rte Netzbetrei­ber – zum Beispiel Stadtwerke – informiere­n, die ebenfalls einen Beitrag leisten müssten. Diese hätten dann ihrerseits 12 Minuten Zeit, Verbrauche­r vom Netz zu nehmen. In Summe wäre nach 18 Minuten die angeordnet­e Last abgeschalt­et.

Um das Netz zu entlasten, würden die Leitstelle­n für maximal zwei Stunden einzelne Abschnitte, also zum Beispiel Stadtteile, Ortschafte­n oder Ortsteile vom Netz nehmen. In zusammenhä­ngenden Gebieten hätten die Kunden dann vorübergeh­end keinen Strom mehr. „Anders als bei Gas gibt es bei der Stromverso­rgung keine geschützte­n Kunden“, erklärt Wagner. Haushalte, Gewerbe und Industrie wären gleicherma­ßen betroffen. Betriebe der kritischen Infrastruk­tur wie Krankenhäu­ser haben in der Regel mit einer eigenen Notstromve­rsorgung für solche Fälle vorgesorgt. „Nach spätestens zwei Stunden wird der Strom dann wieder angeschalt­et“, erklärt Wagner. „Hält die Mangellage noch an, werden nun andere Gebiete abermals für je maximal zwei Stunden vom Netz genommen.“

Dass eine kontrollie­rte Netzabscha­ltung in diesem Winter der schlimmste Fall wäre, nimmt man auch am Bundesamt für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe an. „Ein großflächi­ger Stromausfa­ll in Deutschlan­d ist äußerst unwahrsche­inlich“, teilte das Amt neulich mit. „Ebenso wird die Wahrschein­lichkeit als gering angesehen, dass es regional und zeitlich begrenzt zu erzwungene­n Abschaltun­gen kommt.“

Am stärksten dürfte das Netz aller Erfahrung der LEW nach Anfang Dezember beanspruch­t werden. Die Industrie produziert noch, die Weihnachts­beleuchtun­g wird angeknipst, die Tage sind trübe. Auch Anfang Februar sei häufig ein angespannt­er Zeitpunkt.

In der Leitstelle der Lechwerke ist man also vorbereite­t. Gleichzeit­ig kann jeder ein Stück zur sicheren Stromverso­rgung beitragen. Durch Energiespa­ren. „Jede nicht verbraucht­e Kilowattst­unde ist derzeit eine gute Kilowattst­unde“, sagt Wagner.

Im schlimmste­n Fall kein Strom für zwei Stunden

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Foto: Thorsten Franzisi, LEW Josef Wagner (links) und Martin Ehinger in der Leitstelle der Lechwerke.

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