Delikatesse aus den Bergen
Gamsfleisch wird immer beliebter. Bei Jägern und Feinschmeckern gilt es seit langem als Spezialität. Nicht nur wegen des besonderen Geschmacks. Es wird auch nur selten angeboten – anders in einer Metzgerei im Oberallgäu.
Würzig riecht es in der Trockenkammer. Nach Geräuchertem. Eine Mischung aus Lagerfeuer und Grill. Dutzende Salamis baumeln von dem fahrbaren Eisengestänge. Seit mehreren Wochen lagern sie hier, um luftgetrocknet und später geräuchert zu werden. Eine Delikatesse für Fleischliebhaber – Wurst aus Gamsfleisch. In normalen Metzgereien selten zu haben, doch im Laden von Karl Koller gehören sie seit langem zum Sortiment.
Etwas außerhalb vom Ortskern in Bad Hindelang im Oberallgäu liegt seine Metzgerei. Neben Salami verkauft er Schinken, Paté und Gulasch aus Gamsfleisch. „Der Schinken ist am beliebtesten“, sagt Koller. Mindestens fünf Monate dauert es, bis dieser in Form gebracht, gereift und verkaufsfertig ist. Auch frisches Fleisch von der Gams – vom Filet über Rücken bis zur Keule – liegt bei ihm in der Theke. Was das
Fleisch so außergewöhnlich macht? Es ist nicht leicht zu bekommen und hat einen außergewöhnlichen Geschmack. „Sehr kräftig, mit einem Hauch von Knoblauch“, sagt Koller. „Die einen lieben es, andere können damit nichts anfangen.“
Seit rund 20 Jahren bietet er Gamsprodukte an. In den vergangenen Jahren habe die Nachfrage stark zugenommen. „Gamsfleisch wird gerade wiederentdeckt“, sagt Koller. Bei Jägern und Feinschmeckern galt es immer schon als Delikatesse. Koller führt die Metzgerei in dritter Generation. Sein Großvater hatte sie 1907 gegründet. „Er hat die Ware noch mit dem Fahrrad ausgeliefert“, sagt Koller. Während des Zweiten Weltkriegs versorgte die kleine Metzgerei Städte wie Rosenheim, Augsburg oder München mit. Koller selbst übernahm das Geschäft in den 1960er Jahren und hat es inzwischen an seinen Sohn Bernhard weitergegeben.
In der Metzgerei sind 24 Mitarbeitende beschäftigt. „Wir sind technisch auf dem neuesten Stand, arbeiten aber nicht industriell, sondern immer noch nach handwerklichen Maßstäben“, sagt Koller. Bis zu 35.000 Kilogramm Fleisch lagern vorrätig in den Kühlkammern. Nur so kann er das ganze Jahr über produzieren, denn die Jagdsaison für Wild ist begrenzt. Für Gämsen beginnt sie im Herbst. 3000 Kilogramm Gamsfleisch lagern momentan im Kühlhaus. „Ich hoffe, es kommt noch mehr“, sagt Koller. „Aber am Ende kann ich nur so viel produzieren, wie die Natur hergibt.“
Die Region sei stark vom Tourismus geprägt. Den Großteil seiner Produkte verkaufe er im Sommer und Winter. In den Monaten dazwischen wird überwiegend produziert. „Wir haben auch andernorts Abnehmer, so kommen wir gut über das Jahr“, sagt der 75-Jährige, der für seine Wildprodukte mehrfach ausgezeichnet wurde. Seine Gamsprodukte sind eine besondere Spezialität. Sie landen nicht nur auf den Tellern in der Region, sondern auch in ausgewählten Läden in München oder Augsburg.
Das Fleisch stammt von Gämsen aus der Region. Das Jagdgebiet erstreckt sich vom Oberallgäu über Rohrmoos bis ins Tannheimer Tal. Aber die Menge reicht längst nicht mehr aus, um den Bedarf zu decken. Deshalb kauft Koller Fleisch aus Slowenien oder Italien hinzu. Denn allzu viele Gämsen werden hierzulande nicht
geschossen. In der vergangenen Jagdsaison waren es bayernweit 4096 Tiere, erklärt Ernst Weidenbusch, Präsident des Bayerischen Jagdverbands. Zum Vergleich: Beim Rotwild wurden 13.000 Tiere erlegt, beim Rehwild waren es 350.000. Doch Weidenbusch relativiert. Verglichen mit anderem Wild gebe es auch deutlich weniger Gämsen, da ihr Lebensraum auf höhere Lagen in der Alpenregion beschränkt ist.
Eine genaue Zahl, wie viele Gämsen in Bayern beheimatet sind, will Wildenbusch nicht nennen. Das sei umstritten. Aus Sicht von Försterinnen und Förstern gebe es zu viele, denn sie sorgen sich um den Waldbestand. Normalerweise leben Gämsen oberhalb der Baumgrenze auf freien Flächen. Doch im Winter ziehen sie hinunter in bewaldete Gebiete und hinterlassen Bissschäden an den Bäumen. „Wir Jäger haben dagegen Angst, dass der Bestand, insbesondere der Tiere im mittleren Alter, immer weiter zurückgeht“, sagt Weidenbusch.
Rund 3000 Kilogramm Gamsfleisch lagern derzeit bei Koller im Kühlhaus– die Jagdsaison hat im Herbst begonnen
Gämsen ernähren sich von frischen Bergkräutern. Das macht sich an der Qualität des Fleisches bemerkbar
Gejagt wird von September bis Mitte Dezember. Gämsen können bis zu 20 Jahre alt werden. Das Alter lässt sich an den Hörnern ablesen, wie bei Bäumen bilden sich Ringe. Um sie richtig zu zählen, bedarf es einiges an Erfahrung.
Das Alter der Tiere ist auch beim Fleisch entscheidend, zumindest für bestimmte Partien. „Beim Schlegel sollte das Tier nicht älter als sieben Jahre sein. Ansonsten wird die Zubereitung deutlich anspruchsvoller“, sagt Weidenbusch. Das beste Stück sei das Filet, also der Muskelstrang, der sich im Lendenbereich auf beiden Seiten der Wirbelsäule entlang zieht. Viel ist an einer Gams nicht dran: nur etwa 150 Gramm pro Tier. Doch Weidenbuschs Lieblingsgericht sind Fleischpflanzerl aus Hackfleisch. Die perfekte Mischung: 35 Prozent Reh, 50 Prozent Schwarzwild und 15 Prozent Gams. Wie Metzger Koller verweist auch er auf den besonderen Geschmack des Fleischs. „Gämsen ernähren sich von frischen Bergkräutern“, sagt Weidenbusch. Das mache sich an der Qualität bemerkbar. „Gamsfleisch ist etwas bissfester im Vergleich zu anderem Wild.“Früher sei es eher verpönt gewesen. Um es haltbar zu machen, wurde es in Essig oder saurer Milch gelagert, was geschmacklich nicht gerade ansprechend war. Heute kommt es nach der Erlegung direkt in die Kühlkammer. Vom einst sauren Geschmack hat es nichts mehr.
„Es lässt sich auch gut einfrieren“, sagt Weidenbusch. Oder zu Salami oder Schinken weiterverarbeiten, wie in Kollers Metzgerei. Für die Salami wird das gefrorene Gamsfleisch in Därme gefüllt. Die Würste werden dann luftgetrocknet und in einer kleinen, mit Holzspänen befeuerten Kammer geräuchert. Nach etwa drei Monaten sind sie verkaufsfertig. „Wir arbeiten nicht mit Feuer, sondern mit Dampfrauch“, sagt Koller. Dadurch enthielten seine Produkte keine krebserregenden Stoffe. Der Herstellungsprozess ähnele dem des berühmten Schweizer Bündnerfleischs. Für die Salami werden verschiedene Teile der Gams wie Nacken oder Schulter verarbeitet. Der Schinken hingegen wird aus der Keule gewonnen. Da sich nur ein kleiner Teil eignet und der Schinken beim Trocknen deutlich an Gewicht verliert, kostet er am Ende auch etwas mehr. Und was steckt außer der Gams sonst noch drin? Nur so viel: Salz, Pfeffer, Wacholder, Lorbeer – der Rest bleibt Metzgergeheimnis.