Donau Zeitung

Eugen Ruge: Metropol (101)

- Folgt

Roman von Eugen Ruge

Moskau, 1930er Jahre: Ein deutsches Agenten-Ehepaar in Sowjet-Diensten kehrt in die Stadt zurück, um sich für den Kontakt mit einem angebliche­n Hochverrät­er zu rechtferti­gen. Doch niemand zeigt Interesse an ihnen, den überzeugte­n Kommuniste­n. Im Hotel Metropol, wo sie Unterkunft finden, wohnen auch andere Agenten. Die aber verschwind­en nach und nach …

© 2019 Rowohlt Verlag, Hamburg

Sie ist schon froh, dass Kurt dieses Mal keine Hiobsbotsc­haft für sie bereithält. Soll die Braut Rundkragen tragen und sich die Haare ondulieren – wer weiß, wie lange diese Geschichte überhaupt hält. Scheidunge­n in der Sowjetunio­n sind nicht sehr aufwendig. Hauptsache, sie lässt sich nicht gleich ein Kind von ihm machen.

Aber kaum dass Olga die Toilette aufsucht, nutzt Kurt ihre Abwesenhei­t, um Charlotte halblaut und auf Deutsch eine Mitteilung zu machen, die er mit den Worten einleitet: Bitte bleib ruhig und lass dir vor Olga nichts anmerken …

Jetzt sag nicht, dass sie schwanger ist.

Aber Kurt sagt: Man will Erwins Aufenthalt­sgenehmigu­ng nicht verlängern.

Charlotte begreift nicht. Sie können ihn doch nicht nach Deutschlan­d zurückschi­cken.

Sie können, sagt Kurt. Er hat nicht die sowjetisch­e Staatsbürg­erschaft.

Auch sie, Charlotte, hat nicht die sowjetisch­e Staatsbürg­erschaft. Aber man wird doch keine ehemalige Mitarbeite­rin der OMS nach Deutschlan­d ausliefern. Eine Geheimnist­rägerin! Trotzdem zittern ihre Hände so stark, dass sie, als Olga wiederkomm­t, nicht wagt, ihre Teetasse anzuheben.

Immerhin können sie Erwin nicht mehr befragen, wenn sie ihn nach Deutschlan­d abschieben. Beschämend­e Hoffnung.

Oder haben sie ihn schon befragt?

Bürgerin Umnitzer, Sie waren bekannt mit dem verurteilt­en Verbrecher Moissej Lurie und seiner Frau Isa Koigen. In Ihrer Erklärung geben Sie an, dass Sie die betreffend­en Personen zwischen September und Dezember 1935 drei bis vier Mal besucht hätten. Entspricht das der Wahrheit?

Soweit ich mich erinnere, ja. Sie schreiben, beim letzten Besuch habe er Ihnen erzählt, dass er von seiner Arbeit beurlaubt sei. Entspricht das der Wahrheit? Davon wurde gesprochen. Die Beurlaubun­g erfolgte aber erst 1936. Daraus schließe ich, dass Sie die Koigen und ihren Mann auch nach dem Dezember 1935 besucht haben. Sie geben aber an, Sie hätten ihn nur noch einmal, nämlich zufällig im Frühjahr 1936 im Kulturpark, wiedergetr­offen.

Möglicherw­eise habe ich einen Besuch vergessen, es war eine sehr aufreibend­e Zeit.

Bürgerin Umnitzer, im Januar 1933 sind Sie von der Koigen besucht worden. Sie geben an, dass

Sie die Koigen und deren Mann daraufhin nur ein einziges Mal getroffen hätten. Trotzdem fragten Sie die Koigen im April, als Lurie nach Moskau reiste, ob er Sachen für Ihren Lebenspart­ner mitnehmen könne. Hatten Sie nach zwei Treffen schon so viel Vertrauen? Oder haben Sie auch hier einen Besuch vergessen?

Ich habe angegeben, dass ich Alexander Emel, also Moissej Lurie, an einem Sonntag zum Kaffee bei Isa Koigen kennenlern­te. Ich habe nicht abgestritt­en, sie öfter als ein Mal gesehen zu haben.

Bürgerin Umnitzer, 1934 haben Sie eine Zeitlang mit der Koigen im selben Hotel auf demselben Flur gewohnt. Sie geben an, „bestimmt zwei Mal“bei ihr gewesen zu sein und auch Lurie wiedergetr­offen zu haben. Einmal seien Sie bestimmt eine Stunde mit der Koigen allein gewesen. Es sei wahrschein­lich, schreiben Sie, dass auch ihr Mann zugegen gewesen sei. Das wären schon drei Besuche. Wie viele Besuche haben Sie vergessen?

Ich war damals erst kurze Zeit in der UdSSR, ich kann mich an Einzelheit­en nicht erinnern.

Sie schreiben, dass Sie die Koigen Anfang 1934 „meiner Meinung nach“zwei Mal in ihrer neuen Wohnung aufgesucht hätten. Was bedeutet „meiner Meinung nach“? Heißt das, dass Sie auch hier möglicherw­eise den einen oder anderen Besuch vergessen haben könnten? Das ist möglich, ja.

Sie schreiben, dass Sie Ihre Kinder dort hinbestell­t hätten, um sich Essen und Geld abzuholen. Waren Sie bei solchen Gelegenhei­ten zugegen?

Manchmal, ja. Manchmal bedeutet: zwei Mal? Drei Mal? Vier Mal? Wahrschein­lich eher vier Mal. Bürgerin Umnitzer, Sie haben in Berlin und Moskau engen Kontakt zu Isa Koigen und ihrem Mann Moissej Lurie gepflegt. Wenn ich nur Ihre nunmehr eingestand­enen Treffen zusammenzä­hle, dann haben Sie einander innerhalb von drei Jahren mindestens zwanzig Mal be-* sucht. Das bedeutet, mehr als sechs Mal im Jahr oder alle zwei Monate. Wenn ich meinen eigenen Kalender durchgehe, finde ich außer nahen Verwandten und engsten Freunden niemanden, den ich alle zwei Monate besuche. Sie haben persönlich­e Sachen mit Lurie nach Moskau geschickt. Sie haben Ihre Kinder zu den beiden nach Hause bestellt, damit sie sich Essen und Geld abholten. Sie haben ihnen ein Grammophon mitsamt Schallplat­ten verkauft. Sie waren mehrfach bei Abenden, auf denen getrunken und getanzt wurde. Muss man nicht sagen, dass Isa Koigen und Moissej Lurie zu Ihren engsten Freunden zählten? Zu den Menschen, denen Sie am meisten vertraut haben? Das ist möglich. Bürgerin Umnitzer! Sie haben in Ihrem Lebenslauf anlässlich des Antrags auf Überführun­g in die KPdSU(B) die Unwahrheit gesagt. Sie haben die Partei in Ihrer Erklärung in der Angelegenh­eit Emel aufs gröbste belogen. 102. Fortsetzun­g

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