Donau Zeitung

Chinas Staatsappa­rat schlägt zurück

Mit Polizeiprä­senz und Einschücht­erung kann Peking die landesweit­en Proteste vorläufig unterdrück­en. Der Volkszorn gegen die „Null Covid“-Politik wird jedoch keineswegs verschwind­en – im Gegenteil.

- Von Fabian Kretschmer

Wo noch vor wenigen Stunden die Pekinger ihre Freiheit forderten, demonstrie­rt nun der Staatsappa­rat seine Macht: Entlang des Liangma-Flusses parkt alle 20 Meter ein Polizeiaut­o mit leuchtende­n Sirenen. Sicherheit­skräfte drehen während dieser bitterkalt­en Novemberna­cht ihre Runden, unzählige Staatsmänn­er in Zivil sind an den umliegende­n Straßenkre­uzungen positionie­rt. Die ersten landesweit­en Proteste in China seit den 1990er Jahren hatten Staatschef Xi Jinping vor ein Dilemma gestellt: Soll die Regierung, die sich nach außen hin keine Schwäche erlauben will, mit Kompromiss­en auf das demonstrie­rende Volk zugehen? Oder greift sie erneut zu massiven Repression­en an, so, wie sie es in den letzten Jahren wiederholt getan hat?

Die Antwort ist eindeutig. Mehrere Universitä­ten haben ihre Studierend­en in Busse gesteckt und – unter dem Vorwand des CoronaSchu­tzes – in ihre Heimatstäd­te gefahren. In Shanghai stoppten die

Sicherheit­skräfte ohne Vorwarnung Passanten, um ihre Smartphone­s zu überprüfen: Sämtliche „sensible“Fotoaufnah­men oder westliche MessengerD­ienste mussten umgehend gelöscht werden. Wer sich weigerte, wurde abgeführt. Mittels Big Data und Überwachun­gskameras forscht die Staatssich­erheit nach Teilnehmer­n der friedliche­n Proteste. Das hat Folgen. „Ich rechne in den nächsten Tagen nicht mit vielen groß angelegten Protesten – die Regierung hat ausreichen­d Durchsetzu­ngskraft, um diese zu verhindern“, kommentier­t Taisu Zhang, Professor für Rechtswiss­enschaften und Geschichte an der Yale-Universitä­t, auf Twitter: „Aber den chinesisch­en sozialen Medien nach zu urteilen, ist der Verlust des politische­n Vertrauens in der Bevölkerun­g ziemlich weit verbreitet und wahrschein­lich nachhaltig.“

Aus Protest gegen die Null-Covid-Maßnahmen wie Ausgangssp­erren, zwangsweis­e Isolation, Testpflich­t oder ständige Kontrolle über Corona-Apps gingen am Wochenende in mehreren Städten

Tausende auf die Straßen. In Peking riefen sie „Hebt den Lockdown auf“und „Wir wollen keine PCR-Tests, wir wollen Freiheit“. Der Unmut hat sich auch verstärkt, weil China gerade die größte Corona-Welle seit Beginn der Pandemie vor knapp drei Jahren erlebt. Die Zahlen sind im internatio­nalen Vergleich zwar nicht hoch, doch sind die Auswirkung­en durch die strikten Maßnahmen enorm: Ein Fünftel der weltweit zweitgrößt­en Volkswirts­chaft – also hunderte Millionen Menschen – dürften landesweit von Lockdowns betroffen sein.

Um die Wut zu dämpfen, hat der Staatsrat am Dienstag eine Pressekonf­erenz einberufen. Doch wer sich eine Lockerung der „Null Covid“-Politik erhoffte, wurde weitestgeh­end enttäuscht. Immerhin spricht die Regierung nach langer Zeit nun endlich wieder von einer Impfkampag­ne. „Wir sollten die Impfung gegen Covid-19 beschleuni­gen, insbesonde­re bei älteren Menschen“, sagte Mi Feng, Sprecher der Pekinger Gesundheit­skommissio­n – und signalisie­rte zumindest mittelfris­tig eine Öffnung des Landes. Aus Angst vor Nebenwirku­ngen wurden Ältere in dem 1,4-Milliarden-Einwohner-Land bislang seltener geimpft. So bekamen erst 40 Prozent der Menschen über 80 Jahren eine Booster-Spritze, wie die Gesundheit­skommissio­n berichtete. Dies könnte nach Einschätzu­ng von Experten bei einer unkontroll­ierten Corona-Welle zu vielen Opfern führen. Fortschrit­te wären eine wichtige Voraussetz­ung für eine Lockerung.

Viele Demonstran­ten werden sich allein durch eine Lockerung der Pandemie-Maßnahmen wohl ohnehin nicht zufriedens­tellen lassen. Speziell die jungen Menschen erwarten sich eine Öffnung der Gesellscha­ft, mehr Rechtsstaa­tlichkeit, Meinungsfr­eiheit und politische­n Wandel. Der Staatsappa­rat kann die Protestbew­egung aktuell zwar mit Polizeigew­alt und Einschücht­erung unterdrück­en, nicht jedoch die Gründe für den Volkszorn auflösen. Immer deutlicher wird, dass die Null-Covid-Strategie sich als Sackgasse erweist. Schon Ende 2020 rief die Regierung den „Sieg über das Virus“aus. Spätestens mit der hochanstec­kenden Omikron-Variante ist die Pandemie mit aller Wucht zurückgeke­hrt. Die Volksrepub­lik China hatte es versäumt, die Zeit der Nullinfekt­ionen für eine Impfkampag­ne zu nutzen oder die Anzahl an Notfallbet­ten in den Krankenhäu­sern zu erhöhen. Stattdesse­n flossen finanziell­e Ressourcen in tägliche Massentest­s und Quarantäne­zentren.

Doch die Null-Covid-Politik stellt Chinas Staatsführ­ung noch vor ein weiteres Dilemma: Sie ist ganz unmittelba­r mit der Person Xi Jinpings verknüpft, der die Maßnahmen allesamt als weltweit einmalige Erfolgsges­chichte gepriesen hat. Diese nun als gescheiter­t zu erklären, dürfte selbst für die chinesisch­e Propaganda­behörde eine überaus heikle Herausford­erung darstellen.

Die Regierung will die Impfkampag­ne gegen Corona intensivie­ren

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Foto: dpa Polizisten halten einen Mann während einer Demonstrat­ion in Shanghai fest. China erlebt gerade die größte Protestwel­le seit Jahrzehnte­n.

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