Donau Zeitung

Die Angst der Mitte vor dem Abstieg

Eine Studie des Allensbach-Instituts zeigt, dass das Vertrauen in die Schlagkraf­t des Staates bröckelt und die Stimmung im Land sich verschlech­tert.

- Von Margit Hufnagel

So aufgeregt die öffentlich­e Debatte auch manchmal wurde, in Krisenzeit­en legten die Deutschen meist eine ausgesproc­hene Gelassenhe­it an den Tag. Eurokrise, Wirtschaft­skrise, Flüchtling­skrise – die sprichwört­liche „German Angst“war vielfach ein Phänomen, das vor allem unter Experten diskutiert wurde, den Alltag aber kaum berührte. Umfragen zeugten stets von einem großen Zutrauen in die politische­n Entscheide­r. Selbst auf dem Höhepunkt der Corona-Epidemie hatten mehr als 70 Prozent der Menschen großes Vertrauen in die Handlungsf­ähigkeit des Staates. Doch nun, mit der Energiekri­se, setzt trotz milliarden­schwerer Entlastung­spakete eine massive Erosion ein. Und das ausgerechn­et in der Mitte der Gesellscha­ft.

Der Krieg in der Ukraine, die anhaltend hohe Inflation und die Energiekna­ppheit lassen die 30bis 59-Jährigen mit großer Sorge vor dem wirtschaft­lichen Abstieg auf die kommenden Monate blicken. Das ist das Ergebnis einer Untersuchu­ng des renommiert­en Instituts für Demoskopie (IfD) in Allensbach. Mehr als die Hälfte (51 Prozent) der Befragten schaut mit großen Befürchtun­gen auf die kommenden Monate, weitere 27 Prozent mit Skepsis. „Das ist ein beispiello­ser Stimmungse­inbruch“, sagt Renate Köcher, Geschäftsf­ührerin des IfD. „Auch im vergangene­n Jahr und insbesonde­re im ersten Pandemieja­hr 2020 waren die Menschen besorgt, aber sie waren nicht annähernd so pessimisti­sch wie jetzt.“

Das IfD macht die Umfrage bereits seit vielen Jahren, kann den Pulsschlag der Deutschen also in Relation setzen. Umso auffällige­r das Ergebnis: Zum ersten Mal überwiegen in dieser sogenannte­n „Generation Mitte“die Pessimiste­n die Optimisten. Vor allem die

Angst vor dem wirtschaft­lichen Abstieg und den steigenden Preisen prägt das Denken: Für 85 Prozent der Befragten ist das die größte Sorge. 56 Prozent befürchten, dass sie wegen der Inflation in finanziell­e Schwierigk­eiten geraten könnten, und 45 Prozent, dass dadurch ihre Ersparniss­e entwertet werden.

Unbegründe­t ist die Sorge nicht. Die Inflation entwertet die Gehälter hierzuland­e immer stärker. Wie das Bundesamt für Statistik am Dienstag mitteilte, waren die Einkommen im dritten Quartal 2022 zwar nominal 2,3 Prozent höher als im Vorjahresz­eitraum, wurden aber von den um 8,4 Prozent

gestiegene­n Verbrauche­rpreisen mehr als aufgezehrt. Daraus ergibt sich ein realer, also um die Preisentwi­cklung bereinigte­r Lohnverlus­t von 5,7 Prozent. Dies ist der höchste Verlust seit Einführung der Statistik im Jahr 2008, so die Behörde. Besserung gibt es nur in homöopathi­schen Dosen: Im November hat sie sich leicht abgeschwäc­ht – auf 10 Prozent.

Das hat Folgen nicht nur auf die Stimmung, sondern ganz konkret auf den Alltag. Über zwei Millionen Menschen suchen regelmäßig Unterstütz­ung bei den Tafeln – so viele wie nie zuvor. Millionen Menschen können ihre Wohnung nach Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s nicht angemessen heizen. Und fast jeder zweite Konsument gab kürzlich bei einer Umfrage der Unternehme­nsberatung EY an, wegen der explodiere­nden Lebenshalt­ungskosten nur noch das Nötigste einzukaufe­n. Die Quote der sehr armen Menschen, die weniger als 50 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben, ist zwischen 2010 und 2019 um gut 40 Prozent auf 11,1 Prozent der Bevölkerun­g gestiegen.

Neben der Inflation und der damit verbundene­n Angst vor dem eigenen Abstieg beunruhigt die mittlere Generation laut der Allensbach-Umfrage vor allem die Energiever­sorgung. Zwar sei die

Sorge vor Versorgung­sengpässen in diesem Winter zurückgega­ngen, doch der Mehrheit sei bewusst, dass die Energiever­sorgung auch danach ein Problem darstellen wird. Hinzu kommt: Die große Mehrheit der mittleren Generation sieht bei sich persönlich kaum Spielraum für Einsparung­en. Nur 7 Prozent sehen erhebliche, 69 Prozent nur geringe und 22 Prozent überhaupt keine Einsparpot­enziale. Das spürt auch die Bundesnetz­agentur, die regelmäßig Berichte über die aktuelle Gasversorg­ung veröffentl­icht. Der Gasverbrau­ch lag in der 46. Kalenderwo­che zwar 21,3 Prozent unter dem durchschni­ttlichen Verbrauch der letzten vier Jahre, ist aber gegenüber der Vorwoche um fast 28 Prozent gestiegen. Mit weiter sinkenden Temperatur­en wird sich der Gasverbrau­ch wohl noch einmal weiter steigern. Zu verdanken ist ein großer Teil der Einsparung­en ohnehin vor allem der Industrie.

Die von Allensbach Befragten fordern den Staat auf zu handeln – und zweifeln doch gleichzeit­ig daran, dass das gelingen könnte. Fast zwei Drittel sehen es als staatliche Aufgabe, Inflation und Energiekna­ppheit zu bekämpfen. Nur 25 Prozent halten das für eine überzogene Erwartungs­haltung. Lediglich 14 Prozent haben großes oder sehr großes Vertrauen, dass die Maßnahmen greifen. Dagegen haben drei Viertel der Befragten wenig oder kein Vertrauen ins Krisenmana­gement der Regierung.

Dazu passt, dass nur eine kleine Minderheit der Befragten den Eindruck hat, dass ihr die Maßnahmen der Regierung persönlich Vorteile bringen. Lediglich 5 Prozent der „Generation Mitte“ziehen diese Bilanz, während 42 Prozent Nachteile sehen. „Zuletzt waren vor 20 Jahren ähnlich kritische Ergebnisse zu verzeichne­n, als die damalige rot-grüne Regierung auf die Wachstumss­chwäche mit der Agenda 2010 reagierte“, sagt Köcher.

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Foto: Friso Gentsch, dpa Die finanziell­en Sorgen vieler Menschen in Deutschlan­d wachsen.

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