Donau Zeitung

Türchen auf!

Das Geschäft mit Adventskal­endern boomt. Sie gelten als deutsche Erfindung. Längst schon gibt es sie nicht nur mit Schokolade.

- Tholl, dpa)

Berlin Vorfreude ist die schönste Freude, sagen Volksmund und Forscher. Zum Dezember gehört deshalb für viele der Adventskal­ender genauso dazu wie Lebkuchen, Stollen, Lichterket­ten, Plätzchenb­acken, Gansessen oder Weihnachts­marktbesuc­h. Der heute kaum wegzudenke­nde Adventskal­ender ist Wissenscha­ftlern zufolge eine deutsche Erfindung. So, wie wir ihn heute kennen, entstand er erst vor etwa 100 Jahren. Erste Modelle mit Schokofüll­ung gab es Mitte der 1920er Jahre, Massenprod­ukt wurden Adventskal­ender ab den 50ern. Seitdem entstanden immer neue Variatione­n, egal ob mit Schokolade, Spielsache­n, Schnaps oder gar Sexspielze­ug – verstärkt in jüngster Zeit. Der Markt boomt.

Auch heute noch basteln viele Familien lieber eigene Adventskal­ender mit selbst befüllten Säckchen. Denn die Kalender der Industrie kosten oft weit mehr, als sie wert sind. Umgerechne­t kommen manche Schoko-Kalender auf sagenhafte Kilopreise. Trotzdem boomen die fertigen Kalender. „Während 2021 die Adventskal­ender

noch an der 100-Millionen-Euro-Grenze gekratzt haben, wird der Umsatz in diesem Jahr mit großer Wahrschein­lichkeit über 100 Millionen Euro steigen“, heißt es vom Süßwarenha­ndelsverba­nd Sweets Global Network.

In einer YouGov-Umfrage sagen zwar 33 Prozent der Erwachsene­n in Deutschlan­d, dass sie gar kein Geld für Adventskal­ender ausgeben. Doch 34 Prozent wenden etwa 11 bis 50 Euro auf – für sich selbst oder ihre Liebsten. 12 Prozent sagen, sie gäben sogar noch mehr dafür aus.

Die Kulturwiss­enschaftle­rin Esther Gajek von der Uni Regensburg befasst sich seit Jahrzehnte­n mit Adventskal­endern und weiß viel über deren Historie: „Lange Zeit war Weihnachte­n ein kirchliche­s Fest mit der Christvesp­er oder Christmett­e als Höhepunkt. Im 19. Jahrhunder­t entwickelt­e es sich zum Fest in der Familie.“Das Wohnzimmer, die gute Stube, wurde als Weihnachts­zimmer inszeniert. „Dabei rückte die Bescherung, vor allem bei Adeligen und im protestant­ischen Bürgertum, mehr und mehr in den Mittelpunk­t:

Die Tür geht auf, man sieht den leuchtende­n Christbaum und die Geschenke darunter.“

Auf diesen Moment fieberten Kinder hin. Und weil die Kinder so viel Vorfreude zeigten, überlegten sich Eltern ab der Mitte des 19. Jahrhunder­ts Objekte, die die Zeit des Wartens aufs Fest strukturie­rten, wie Gajek erklärt – sei es mit Kerzen, die nach und nach jeden Tag angezündet werden und auf Jesus als Lichtbring­er verweisen sollten, sei es als Adventsker­ze, die jeden Tag bis zur nächsten Markierung abgebrannt wird, sei es mit biblischen Verheißung­en, auf Fahnen oder Blätter geschriebe­n, oder Bildchen zum Aufhängen oder simpel mit wegzuwisch­enden Kreidestri­chen.

Traditione­ll christlich wurde dabei oft mit dem 1. Advent begonnen. Da dessen Datum immer der Sonntag nach dem 26. November ist, konnte es durchaus 28 Überraschu­ngen bis Heiligaben­d geben.

Den ersten gedruckten Adventskal­ender gab es der Forschung zufolge vor 120 Jahren, also 1902 – und zwar von der evangelisc­hen Buchhandlu­ng Friedrich Trümpler in Hamburg. 1903 folgte der Münchner Verleger Gerhard Lang. Er entschied, jahresunab­hängig mit dem 1. Dezember zu beginnen, und druckte einen Bogen mit 24 Bildern, die man ausschneid­en und auf einen Bogen mit 24 freien Feldern kleben konnte.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Adventskal­ender ab den 20er Jahren ein Massenprod­ukt. Erste Türchenkal­ender kamen auf, bald auch mit Schokolade. „Seit etwa 30 Jahren ist der Trend zum Erwachsene­nkalender zu beobachten, der mehr ist als der Pfennigart­ikel-Adventskal­ender, der aufgerisse­n, aufgegesse­n und weggeschmi­ssen wird“, sagt Gajek. Die Lebensmitt­elindustri­e bringt neben dem Klassiker mit kleinen Schokolädc­hen immer aufwendige­re Versionen auf den Markt. Hinter den 24 Türchen sind dann Pralinen, Marzipan, Fruchtgumm­i, Veganes oder gar Wurstprodu­kte versteckt. Daneben gibt es Kalender mit Spielzeug oder Tee, Gewürzen, Chips, Bier, Cerealien, Erotikarti­keln, Proteinpro­dukten für Fitness-Fans oder Kosmetika.

 ?? Foto: Oliver Berg, dpa ?? Von wegen Schokolade: Dieser Adventskal­ender steckt voller Kosmetik- und Pflegeprod­ukte.
Foto: Oliver Berg, dpa Von wegen Schokolade: Dieser Adventskal­ender steckt voller Kosmetik- und Pflegeprod­ukte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany