Donau Zeitung

So will die Regierung den Judenhass zurückdrän­gen

Jüdisches Leben in Deutschlan­d soll sicherer, aber auch sichtbarer werden. Eine neue Strategie nimmt alle Ebenen der Gesellscha­ft in den Blick – vom Sportverei­n über die Schulen bis zur Politik. Vor allem das Internet steht im Fokus.

- Von Bernhard Junginger

In Essen schießen unbekannte Täter Mitte November auf das Rabbinerha­us der alten Synagoge, in dem ein Institut für deutsch-jüdische Geschichte untergebra­cht ist. Kurz darauf wird in BerlinSchö­neberg der Eingangsbe­reich einer Synagoge beschädigt. Nur zwei aktuelle Beispiele für Straftaten mit judenfeind­lichem Hintergrun­d, deren Zahl stetig steigt. Mehr als 3000 Delikte waren es 2021 laut Innenminis­terium, fast ein Drittel mehr als im Jahr zuvor. Jetzt will die Bundesregi­erung den Kampf gegen den Antisemiti­smus verstärken, vereinheit­lichen und in alle gesellscha­ftlichen Ebenen tragen. Gleichzeit­ig soll jüdisches Leben in Deutschlan­d sichtbarer werden.

Am Mittwoch hat das Kabinett die erste „Nationale Strategie gegen Antisemiti­smus und für jüdisches Leben“beschlosse­n. Für Felix Klein, den Antisemiti­smusbeauft­ragten

der Bundesregi­erung, ist der Plan ein „Meilenstei­n in herausford­ernden Zeiten“. Die Energieund Lebensmitt­elkrise, Putins Krieg gegen die Ukraine, die Pandemie und die Klimakrise stellten eine „Bewährungs­probe für den Zusammenha­lt der Gesellscha­ft“dar. Denn in schwierige­n Zeiten neigten Menschen zu einfachen Antworten. Antisemiti­sche Hetze und Verschwöru­ngserzählu­ngen fielen da als vermeintli­ch einfache Antworten leicht auf fruchtbare­n Boden. Von Hassbotsch­aften im Internet bis zu physischer Gewalt wie in Essen oder Berlin sei der Weg nicht weit.

Die größte Bedrohung kommt laut Klein aus dem Rechtsextr­emismus, doch auch das Vordringen des israelbezo­genen Antisemiti­smus, der sich als Kritik am demokratis­chen Staat Israel tarne, bereite zunehmend Sorge. „Wenn Synagogen angegriffe­n werden, ist das keine legitime Kritik an Israel“, sagte Klein. Besorgnise­rregend seien auch die Sympathien, die die gegen Israel gerichtete BoykottBew­egung BDS in Teilen des Kulturbetr­iebs genieße, oder die Zurschaust­ellung von Werken mit antisemiti­scher Bildsprach­e bei der Kunstmesse Documenta. Die neue Strategie solle nun als Kompass dienen, um den Antisemiti­smus in all seinen Facetten entschiede­n zu bekämpfen. Nicht nur staatliche Stellen sollen sie umsetzen, auch zivilgesel­lschaftlic­hen Akteuren wie Jugendclub­s oder Sportverei­nen könne sie als Leitfaden dienen.

Gestärkt werden sollen laut Klein Forschung und Datenerheb­ung zum Antisemiti­smus. Ein präzises Lagebild sei unerlässli­ch, um gegen den Judenhass in all seinen unterschie­dlichen Ausprägung­en vorgehen zu können. Mehr als bisher müsse die Antisemiti­smuspräven­tion in der Bildung verankert werden. Das gelte auch für die Erwachsene­nbildung und die Berufswelt. Aufklärung sei nicht nur über den millionenf­achen Judenmord im Nationalso­zialismus notwendig, sondern auch über Israel und modernes jüdisches Leben.

Angesichts der wachsenden Zahl antisemiti­scher Straftaten setzt der Aktionspla­n auf eine konsequent­ere und einheitlic­here Bekämpfung durch die Sicherheit­sorgane. Polizei und Justiz müssten gezielt gegen die verschiede­nen Formen der Hasskrimin­alität vorgehen, damit Jüdinnen und Juden sicher in Deutschlan­d leben können. Das umfasse eine klarere Gesetzgebu­ng ebenso wie Stadionver­bote für Fans, die Judenhass in die Sportarene­n tragen. Bei allen Maßnahmen solle, so Beauftragt­er Felix Klein, die Perspektiv­e der Jüdinnen und Juden im Mittelpunk­t stehen.

Der deutsche Aktionspla­n ist Teil einer gesamteuro­päischen Strategie. Katharina von Schnurbein, Antisemiti­smusbeauft­ragte der Europäisch­en Kommission, sagte: „Es darf keine Rückzugsor­te für Antisemiti­smus geben.“Doch gerade das Internet werde immer mehr zum „Einfallsto­r für Judenhass in unsere Wohnzimmer“. Für die europäisch­e Idee sei es maßgeblich, dass Jüdinnen und Juden in den Ländern der EU eine sichere Zukunft sähen. „Europa kann nur dann florieren, wenn auch seine jüdischen Gemeinden florieren“, sagte sie.

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Schackow, dpa Foto: Bodo Viele Juden zögern, in Deutschlan­d öffentlich die Kippa zu tragen.

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