Donau Zeitung

Seine Opfer hatten keine Chance

Präzise rekonstrui­ert das Landgerich­t Kaiserslau­tern, wie der Wilderer Andreas S. zwei Polizisten ermordet hat. Das Urteil fällt eindeutig aus.

- Von Georg Altherr

Zweieinhal­b Stunden lang verliest Richter Raphaël Mall das Urteil. Nüchtern und flott, in gleichmäßi­gem Ton, den Blick auf seine Papiere gerichtet. Dann macht er eine kurze Pause und nimmt die Brille ab. Er blickt auf und wendet sich an die Schwester der ermordeten Polizeianw­ärterin. Sie sitzt seit dem Spätsommer auf der Bank der Nebenklage und verfolgt das Verfahren wortlos, oft mit Tränen in den Augen.

Die Stimme des Richters verändert sich. Er spricht jetzt langsam, deutlich und ruhig. „In einem solchen Verfahren geht es, leider, um die Täter“, bedauert der Richter. Das unermessli­che Leid der Angehörige­n und Freunde der Getöteten stehe nicht im Mittelpunk­t. Er hoffe, „dass es mit der Zeit ein bisschen leichter für Sie wird“.

Die Eltern des erschossen­en Polizisten haben den Prozess zwar verfolgt, aber nicht im Gerichtssa­al. Das Urteil in seiner Klarheit werde den Eltern des 29-Jährigen bei der Verarbeitu­ng helfen, sagt ihr Anwalt, „dabei helfen, abzuschlie­ßen“. Ganz anders ist die Reaktion auf der Anklageban­k. Der Täter von Kusel nimmt das Urteil, als es ausgesproc­hen wird, ohne sichtliche Regung auf. Er sitzt da und macht sich Notizen, so wie er es den gesamten Prozess über tat, wenn er nicht an der Reihe war.

Die Verlesung des Urteils in diesem bedeutends­ten Prozess, den die Pfalz in den letzten Jahrzehnte­n erlebt hat, dauert auch deshalb so lang, weil das Gericht sehr viele Details und Argumente würdigt und wägt. Es gibt sich große Mühe, die Tatversion des nun verurteilt­en Andreas S. Punkt für Punkt zu widerlegen. Der 39 Jahre alte Wilderer hatte ja behauptet, dass sein Helfer Florian V. mit der Schrotflin­te auf beide Polizisten geschossen hatte. Und dass er, Andreas S., dann in Notwehr sein Leben rettete, weil der Polizeibea­mte 15-mal auf ihn feuerte.

Richter Mall spielt diese Version in allen möglichen Varianten durch, um zum Ergebnis zu kommen: So kann es nicht gewesen sein. Wenn es so gewesen wäre, dann hätte Florian V., als das Zivilfahrz­eug der Polizei stoppte, mit der Schrotflin­te in der Hand aus der Böschung kommen müssen. Dann, so das Gericht, hätte der

Polizist beim Absetzen des ersten Funkspruch­s nicht so ruhig und unaufgereg­t gesprochen, sondern erwähnt, dass die „dubiosen Personen“bewaffnet sind. Außerdem, so der Richter, hätten die Polizisten dann sicherheit­shalber ihre Dienstwaff­en gezogen.

Zudem, so das Gericht, legte Andreas S. ganz viel Wert darauf, Wild stets per Kopfschuss zu erlegen, damit möglichst wenig von dem „hochwertig­en Lebensmitt­el“durch Blut oder Kugeln verdorben wird. Deshalb hätte Andreas S. niemals „seinem Lakaien“eine Schrotflin­te überlassen, um einen Fangschuss zu setzen. „Der hätte ihm das Wild doch verdorben.“

Die Kammer zeigt sich sicher: Andreas S. hätte einen Fangschuss, wenn er denn notwendig geworden

wäre, selbst ausgeführt – und zwar nicht mit Schrot, sondern mit dem Jagdgewehr „per Kopfschuss, wie immer“, so Richter Mall. Auch die Schussrich­tung und die Entfernung der Personen voneinande­r widerlegen für das Gericht die Tatversion des Andreas S.

Aus dem Verfahren ergibt sich für die Kammer der tatsächlic­he Hergang. Für Andreas S. war spätestens nach der Pleite seiner Bäckerei-Firmen die Jagd der zentral verblieben­e Lebensinha­lt. Er hatte einen Lieferwage­n zum „S.-Mobil“umbauen lassen – mit Fächern für Jagd-Utensilien, starken Haken zum Aufhängen von über 20 Wildtieren und einer speziellen Vorrichtun­g, damit das Blut abläuft.

Bis zur Tat ging er mehrmals pro Woche im Saarland und in der

Westpfalz auf Beutezug. Mit dem Erlös aus dem Verkauf der erlegten Tiere, „Kopfschuss wie immer“, bestritt er seinen Lebensunte­rhalt. Die Polizeikon­trolle vom 31. Januar dieses Jahres hätte das alles beendet. Wenn er sich gestellt hätte, dann hätte er die fällige Haftstrafe fürs Wildern zwar „auf einer Arschbacke abgesessen“, zitierte ihn der Richter. Aber nach seiner Entlassung hätte er sein Jagdleben nicht fortsetzen können.

Deshalb habe er am 31. Januar sofort geschossen. Nach dem ersten Funkspruch des kontrollie­renden Polizisten sei ihm klar gewesen: Die Wache kennt weder seinen Namen noch sein Auto-Kennzeiche­n. Wenn er beide Polizisten tötet, kann er davonkomme­n. Das Gericht zeigt sich überzeugt, dass Andreas S. diesen Gedanken sofort in die Tat umsetzte. Er machte zwei oder drei Schritte auf die Polizistin zu und schoss ihr mit der Schrotflin­te ins Gesicht, „Kopfschuss, wie immer“, so der Richter. Er drehte sich nach rechts und feuerte zwei Sekunden später den zweiten Schrotschu­ss auf den Polizisten, der sich etwa sieben Meter entfernt hatte. Dann suchte Andreas S. hinter der Beifahrers­eite seines Jagdmobils Schutz, griff sich sein Gewehr mit teurer Thermoziel­technik und schoss auf den Polizisten, unter die Schutzwest­e in den Bauch. Dann verfolgte er ihn, so wie man Wild verfolgt und zur Strecke bringt. Das Gericht ist überzeugt, dass der Polizist schon bäuchlings und wehrlos in der Wiese lag, als Andreas S. ihm den zweiten Gewehrschu­ss versetzte. Mit dem dritten habe er ihn dann hingericht­et, „Kopfschuss, wie immer“. Zweifacher Mord, deshalb lebenslang. Dabei wird die besondere Schwere der Schuld festgestel­lt. Das heißt: Andreas S. kommt nach 15 Jahren Haft nicht auf freien Fuß. Für das Gericht wiegt die Schuld des S. besonders schwer, weil „das gesamte Tatbild und die Persönlich­keit des Täters“so sehr von einem herkömmlic­hen Mord abweiche.

Als der Richter die Verhandlun­g schließt, wechselt Andreas S. noch ein paar Worte mit seinen Anwälten und verabschie­det sich dann mit einem Faust-an-Faust-Stupser von ihnen. Dann lässt er sich wieder die Handschell­en anlegen und verlässt den Gerichtssa­al so emotionslo­s, wie er zweieinhal­b Stunden zuvor hereinkam.

 ?? Foto: Uwe Anspach, dpa ?? Mit Akten kommt Andreas S. in den Verhandlun­gssaal. Später wird er schuldig gesprochen. Er muss lebensläng­lich ins Gefängnis – ein Freikommen nach 15 Jahren schließt das Gericht ausdrückli­ch aus.
Foto: Uwe Anspach, dpa Mit Akten kommt Andreas S. in den Verhandlun­gssaal. Später wird er schuldig gesprochen. Er muss lebensläng­lich ins Gefängnis – ein Freikommen nach 15 Jahren schließt das Gericht ausdrückli­ch aus.

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