Kinderkliniken kämpfen gegen Infektionswelle
Keine freien Betten mehr, zu wenig Personal: Auf vielen Stationen herrscht der Notstand.
Überbelegte Patientenzimmer, tagelange Aufenthalte in der Notaufnahme, Verlegung von kranken Babys in mehr als 100 Kilometer entfernte Krankenhäuser: Die aktuelle Welle von Atemwegsinfekten bringt die Kinderkliniken an ihre Grenzen. Nach einer Umfrage des Verbandes der Intensivund Notfallmediziner gibt es auf den Kinderstationen kaum noch ein freies Bett. „Das ist eine katastrophale Situation“, betonte der Generalsekretär des Verbandes, Florian Hoffmann vom Haunerschen Kinderspital der Universität München. Sie verschärfe sich von Jahr zu Jahr und werde auf dem Rücken kritisch kranker Kinder ausgetragen. Fast 40 Prozent der Betten sind danach im Moment gesperrt, weil Pflegepersonal fehlt.
Jede zweite Klinik berichtete in der Umfrage, sie habe in den vergangenen 24 Stunden mindestens ein Kind nach einer Anfrage durch einen Rettungsdienst oder eine Notaufnahme nicht für die Kinderintensivmedizin annehmen können. Besonders häufig sind im Moment Infektionen mit dem sogenannten RS-Virus, einer Atemwegserkrankung. Diese Welle baut sich nach Einschätzung der Intensivmediziner immer weiter auf und macht bei vielen Kindern die Behandlung mit Atemunterstützung notwendig - dafür aber gebe es nicht genügend Intensivbetten für Kinder. Der Verband der Intensivmediziner fordert daher neben einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Kliniken auch spezielle Angebote für den Krankentransport, um Kinder sicher und von Kinderärzten begleitet transportieren zu können.
Auch auf den Kinderstationen in der Region stehen fast alle Ampeln auf gelb oder rot. Das heißt, der Platz dort ist begrenzt oder sogar gänzlich belegt. Er könne praktisch nur noch neue Patienten aufnehmen, wenn er Genesene entlasse, sagt beispielsweise der Kemptener Oberarzt Oliver Götz. „Uns fehlen auch die Betten. Die Kinder liegen inzwischen überall, auch in Aufenthaltsräumen.“
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) suchte am Donnerstag in einem Gespräch mit Experten nach Möglichkeiten, die Krankenhäuser rasch zu entlasten. „Angesichts der Dramatik der geschilderten Ausnahmesituation müssen wir dabei auch unliebsame Maßnahmen in Erwägung ziehen“, sagte er anschließend im Landtag. Dazu gehöre zum Beispiel, dass auf Kinderstationen die vorgeschriebenen Grenzen für die Besetzung mit Pflegepersonal unterschritten werden dürfen. Eine andere Idee sei, Pflegepersonal von Erwachsenenstationen einzusetzen oder ältere Kinder oder Jugendliche mit Knochenbrüchen auf Erwachsenenstationen zu behandeln, um Kapazitäten auf Kinderstationen zu schaffen. Er sei überzeugt, so der Minister, dass die aktuell schwierige Situation damit bewältigt werden könne.
Die jungen Patienten haben sich meist mit dem RS-Virus angesteckt, der vor allem für Säuglinge und Kleinkinder gefährlich werden kann. „Manche Patientenzimmer sind wie Bettenlager, da muss man wirklich über die Betten krabbeln, um zum kranken Kind zu kommen, weil sich Elternbett an Patientenbett reiht“, betonte Matthias Keller, der Vorsitzende der süddeutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin.
Einen der Hauptgründe für die derzeitige Welle sehen die Mediziner in den Corona-Maßnahmen. Normalerweise steckten sich 90 Prozent aller Kinder in den ersten beiden Lebensjahren mit dem RSVirus an. „Das hat nicht stattgefunden, dann fehlen die Antikörper, deshalb haben wir jetzt diese ausgeprägte Welle“, sagt Keller. Sechs bis acht Wochen dauere so eine Infektionswelle üblicherweise, sagte Keller. „So lange wird die Lage weiter angespannt bleiben.“(mit dpa)