Donau Zeitung

Eine Firma erfindet die Photovolta­ik neu

Unter den Modulen wachsen Hopfen, Salat, Wein: Tubesolar verbindet Landwirtsc­haft und Stromerzeu­gung. Jetzt startet in Augsburg eine hochautoma­tisierte Serienfert­igung. Bekommt Solartechn­ik „made in Germany“eine neue Chance?

- Von Michael Kerler

Eine Röhre aus Glas, schwarz glänzend, dick wie eine Rolle Geschenkpa­pier: Jürgen Gallina, 53, hält in der Hand, was die Zukunft der deutschen Solarindus­trie sein könnte. Die Röhre ist mit Solarfolie ausgekleid­et, in der Sonne erzeugt sie Strom. Fügt man die Röhren zusammen, entstehen Solarmodul­e. Statt der bekannten Platten auf Dächern oder Feldern ähneln sie aber einem Lattenrost. Der große Vorteil sind die Spalten zwischen den Röhren, erklärt Gallina, Technik-Chef des Unternehme­ns Tubesolar. „Zwischen den Spalten kommt Licht und Wasser hindurch.“So können unter den Modulen weiterhin Pflanzen wachsen. Damit wird eine Doppelnutz­ung möglich – Landwirtsc­haft plus Stromerzeu­gung. Auf der Technik ruhen große Hoffnungen, da Land knapp ist und die Kritik an Solaranlag­en auf Ackerfläch­en wächst. Das Unternehme­n rechnet sich gute Marktchanc­en aus.

Hat es die Module bisher nur in kleiner Stückzahl für Pilotproje­kte produziert, soll in diesen Tagen die hochautoma­tisierte Serienfert­igung anlaufen. Damit könnte Photovolta­ik „Made in Germany“wieder Wirklichke­it werden. Tubesolar findet man in Augsburg auf einem Werksgelän­de am Lech, auf dem lange Jahre erst Osram und später Ledvance Energiespa­rlampen

und Leuchtstof­fröhren gefertigt haben, bevor die Produktion 2018 eingestell­t wurde und 650 Beschäftig­te den Job verloren. Dass sich die Firma hier angesiedel­t hat, ist kein Zufall: „Wir haben die Glasröhren-Technologi­e übernommen und weiterentw­ickelt“, sagt Gallina. Der Ingenieur hat selbst 20 Jahre bei Osram gearbeitet.

2020 starteten die Gründer mit 12 Teammitgli­edern. Die Firma erhielt eine Förderung des bayerische­n Wirtschaft­sministeri­ums, der TÜV Rheinland hat die Technik zertifizie­rt. Tubesolar ist auf rund 100 Beschäftig­te angewachse­n und legt weiter zu.

Im Hopfenanba­u-Gebiet Hallertau werden die Solarmodul­e bald großflächi­g im Einsatz sein. Dort sollen sie Strom erzeugen und gleichzeit­ig auf zwei Feldern den Hopfen vor Hagel oder zu intensiver Sonneneins­trahlung schützen. Derzeit läuft der Bau, Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger hat sich das Projekt schon angesehen. Ab Anfang 2023 sollen die Anlagen in der Spitze 200 Kilowatt Leistung liefern. Der Betrieb soll drei Jahre lang wissenscha­ftlich vom Fraunhofer Institut begleitet werden.

Das Tubesolar-Team sieht gute Chancen, dass der Halbschatt­en manchen Pflanzen eher nutzt als das Wachstum hemmt. „Hopfen ist ein Schattenge­wächs, dem zu viel Sonne nicht guttut“, sagt Gallina. Auch Salat könnte profitiere­n.

Um größere Anlagen bauen zu

können, muss Tubesolar die Produktion steigern. Anfangs stellte das Team die Module in Handarbeit her. Inzwischen ist dies ein halbautoma­tischer Prozess. Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r legen die blanken Glasröhren in eine Maschine. Diese zieht Solarfolie in die Röhre, ein Stromabneh­mer kommt hinzu, dann wird die Röhre zugeschwei­ßt, das Glas glüht. Rund 400 bis 500 Glasröhren am Tag lassen

sich derzeit so fertigen. Bald soll es ein Vielfaches sein.

In der Nachbarhal­le bewegen sich Fachleute zwischen meterhohen Maschinen. Hier entsteht eine vollautoma­tische Fertigung. Im November ist der Maschinenp­ark eingericht­et worden, diesen Dezember soll er die Serienfert­igung der Solarröhre­n und -module aufnehmen. „Damit können wir ein Vielfaches der Menge fertigen“, sagt Gallina. Begonnen wird die Produktion mit einer Schicht, Ziel ist ein Drei-Schicht-Betrieb rund um die Uhr. Die neue Fertigungs­linie soll erst der Anfang sein. „Wir planen den Aufbau von 8 bis 12 Fertigungs­linien“, berichtet er und beziffert die Investitio­nskosten pro Linie auf 18 Millionen Euro.

Aber sind Glasröhren nicht zerbrechli­ch? Gallina lässt einen Metallhamm­er aus 20 Zentimeter­n Entfernung auf eine Glasröhre donnern. „Die erste Frage der Interessen­ten ist immer, wie stabil unsere Röhren sind?“Ein Knall, der Hammer prallt an der Röhre ab. Der Test beweist die Bruchfesti­gkeit. Mit den früheren Leuchtstof­fröhren haben die Solareleme­nte nicht mehr viel gemein. Das Glas ist dicker geworden. „Hagelkörne­r von 25 Millimeter Durchmesse­r überstehen unsere Solareleme­nte ohne Probleme, das hat der TÜV bescheinig­t“, sagt Gallina.

In Südfrankre­ich sollen die Module in einem Pilotproje­kt bald einen Weinberg überspanne­n. Dort leiden die Trauben durch den Klimawande­l teilweise unter zu starker Sonneneins­trahlung. Noch andere Anwendunge­n sind denkbar: Die durchlässi­gen Elemente könnten mit Pflanzen bewachsene Gründächer oder Parkplätze überspanne­n. „Es treten auch Konzerne an uns heran, die ihre Hallendäch­er mit den Modulen bestücken wollen“, berichtet Felix Mantke, 48, Finanzchef bei Tubesolar. „Insgesamt haben wir Bedarfsbek­undungen für eine Kapazität von rund 250 Megawatt vorliegen“, sagt er. Dies soll mittelfris­tig auch die Jahresprod­uktion von Tubesolar werden. Damit ließen sich rund 250 Hektar Fläche überspanne­n.

Auf einer Wiese vor dem Gebäude entsteht ebenfalls eine Anlage: 60 Module überdachen das Gras wie ein schattiges Dach. Der Strom lädt Elektroaut­os. Wegen der Lücken zwischen den Röhren liefern die Module zwar nur rund die Hälfte des Ertrags klassische­r Solaranlag­en. Dafür ist der Ertrag im Laufe des Tages gleichmäßi­ger als bei klassische­n Photovolta­ikanlagen, da die Sonne um die halben Röhren herumwande­rt. Und die Kosten?

„Die Gestehungs­kosten für Strom von Agri-Photovolta­ikanlagen betragen derzeit zwischen 7 und 12 Cent. In diesem Rahmen bewegen wir uns ebenfalls und sind damit wettbewerb­sfähig“, erklärt Finanzchef Mantke. Rund 12,7 Millionen Euro Kapital hat sich die an der Börse gelistete Gesellscha­ft im laufenden Jahr für die nächsten Schritte gesichert.

Für die Region könnte das Unternehme­n eine Chance sein: Rund zwei Drittel der Beschäftig­ten entstammen der früheren OsramManns­chaft. Rund ein Drittel kam neu dazu. „Wir bauen ein nachhaltig­es Produkt, das zieht auch junge Leute an“, erklärt Gallina. Läuft die Serienfert­igung an, könnten bald mehr Beschäftig­te nötig sein.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Tubesolar produziert Solarmodul­e, unter denen Pflanzen wachsen können, wie die Vorstände Jürgen Gallina (links) und Felix Mantke zeigen.
Foto: Ulrich Wagner Tubesolar produziert Solarmodul­e, unter denen Pflanzen wachsen können, wie die Vorstände Jürgen Gallina (links) und Felix Mantke zeigen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany