Eine Firma erfindet die Photovoltaik neu
Unter den Modulen wachsen Hopfen, Salat, Wein: Tubesolar verbindet Landwirtschaft und Stromerzeugung. Jetzt startet in Augsburg eine hochautomatisierte Serienfertigung. Bekommt Solartechnik „made in Germany“eine neue Chance?
Eine Röhre aus Glas, schwarz glänzend, dick wie eine Rolle Geschenkpapier: Jürgen Gallina, 53, hält in der Hand, was die Zukunft der deutschen Solarindustrie sein könnte. Die Röhre ist mit Solarfolie ausgekleidet, in der Sonne erzeugt sie Strom. Fügt man die Röhren zusammen, entstehen Solarmodule. Statt der bekannten Platten auf Dächern oder Feldern ähneln sie aber einem Lattenrost. Der große Vorteil sind die Spalten zwischen den Röhren, erklärt Gallina, Technik-Chef des Unternehmens Tubesolar. „Zwischen den Spalten kommt Licht und Wasser hindurch.“So können unter den Modulen weiterhin Pflanzen wachsen. Damit wird eine Doppelnutzung möglich – Landwirtschaft plus Stromerzeugung. Auf der Technik ruhen große Hoffnungen, da Land knapp ist und die Kritik an Solaranlagen auf Ackerflächen wächst. Das Unternehmen rechnet sich gute Marktchancen aus.
Hat es die Module bisher nur in kleiner Stückzahl für Pilotprojekte produziert, soll in diesen Tagen die hochautomatisierte Serienfertigung anlaufen. Damit könnte Photovoltaik „Made in Germany“wieder Wirklichkeit werden. Tubesolar findet man in Augsburg auf einem Werksgelände am Lech, auf dem lange Jahre erst Osram und später Ledvance Energiesparlampen
und Leuchtstoffröhren gefertigt haben, bevor die Produktion 2018 eingestellt wurde und 650 Beschäftigte den Job verloren. Dass sich die Firma hier angesiedelt hat, ist kein Zufall: „Wir haben die Glasröhren-Technologie übernommen und weiterentwickelt“, sagt Gallina. Der Ingenieur hat selbst 20 Jahre bei Osram gearbeitet.
2020 starteten die Gründer mit 12 Teammitgliedern. Die Firma erhielt eine Förderung des bayerischen Wirtschaftsministeriums, der TÜV Rheinland hat die Technik zertifiziert. Tubesolar ist auf rund 100 Beschäftigte angewachsen und legt weiter zu.
Im Hopfenanbau-Gebiet Hallertau werden die Solarmodule bald großflächig im Einsatz sein. Dort sollen sie Strom erzeugen und gleichzeitig auf zwei Feldern den Hopfen vor Hagel oder zu intensiver Sonneneinstrahlung schützen. Derzeit läuft der Bau, Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger hat sich das Projekt schon angesehen. Ab Anfang 2023 sollen die Anlagen in der Spitze 200 Kilowatt Leistung liefern. Der Betrieb soll drei Jahre lang wissenschaftlich vom Fraunhofer Institut begleitet werden.
Das Tubesolar-Team sieht gute Chancen, dass der Halbschatten manchen Pflanzen eher nutzt als das Wachstum hemmt. „Hopfen ist ein Schattengewächs, dem zu viel Sonne nicht guttut“, sagt Gallina. Auch Salat könnte profitieren.
Um größere Anlagen bauen zu
können, muss Tubesolar die Produktion steigern. Anfangs stellte das Team die Module in Handarbeit her. Inzwischen ist dies ein halbautomatischer Prozess. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter legen die blanken Glasröhren in eine Maschine. Diese zieht Solarfolie in die Röhre, ein Stromabnehmer kommt hinzu, dann wird die Röhre zugeschweißt, das Glas glüht. Rund 400 bis 500 Glasröhren am Tag lassen
sich derzeit so fertigen. Bald soll es ein Vielfaches sein.
In der Nachbarhalle bewegen sich Fachleute zwischen meterhohen Maschinen. Hier entsteht eine vollautomatische Fertigung. Im November ist der Maschinenpark eingerichtet worden, diesen Dezember soll er die Serienfertigung der Solarröhren und -module aufnehmen. „Damit können wir ein Vielfaches der Menge fertigen“, sagt Gallina. Begonnen wird die Produktion mit einer Schicht, Ziel ist ein Drei-Schicht-Betrieb rund um die Uhr. Die neue Fertigungslinie soll erst der Anfang sein. „Wir planen den Aufbau von 8 bis 12 Fertigungslinien“, berichtet er und beziffert die Investitionskosten pro Linie auf 18 Millionen Euro.
Aber sind Glasröhren nicht zerbrechlich? Gallina lässt einen Metallhammer aus 20 Zentimetern Entfernung auf eine Glasröhre donnern. „Die erste Frage der Interessenten ist immer, wie stabil unsere Röhren sind?“Ein Knall, der Hammer prallt an der Röhre ab. Der Test beweist die Bruchfestigkeit. Mit den früheren Leuchtstoffröhren haben die Solarelemente nicht mehr viel gemein. Das Glas ist dicker geworden. „Hagelkörner von 25 Millimeter Durchmesser überstehen unsere Solarelemente ohne Probleme, das hat der TÜV bescheinigt“, sagt Gallina.
In Südfrankreich sollen die Module in einem Pilotprojekt bald einen Weinberg überspannen. Dort leiden die Trauben durch den Klimawandel teilweise unter zu starker Sonneneinstrahlung. Noch andere Anwendungen sind denkbar: Die durchlässigen Elemente könnten mit Pflanzen bewachsene Gründächer oder Parkplätze überspannen. „Es treten auch Konzerne an uns heran, die ihre Hallendächer mit den Modulen bestücken wollen“, berichtet Felix Mantke, 48, Finanzchef bei Tubesolar. „Insgesamt haben wir Bedarfsbekundungen für eine Kapazität von rund 250 Megawatt vorliegen“, sagt er. Dies soll mittelfristig auch die Jahresproduktion von Tubesolar werden. Damit ließen sich rund 250 Hektar Fläche überspannen.
Auf einer Wiese vor dem Gebäude entsteht ebenfalls eine Anlage: 60 Module überdachen das Gras wie ein schattiges Dach. Der Strom lädt Elektroautos. Wegen der Lücken zwischen den Röhren liefern die Module zwar nur rund die Hälfte des Ertrags klassischer Solaranlagen. Dafür ist der Ertrag im Laufe des Tages gleichmäßiger als bei klassischen Photovoltaikanlagen, da die Sonne um die halben Röhren herumwandert. Und die Kosten?
„Die Gestehungskosten für Strom von Agri-Photovoltaikanlagen betragen derzeit zwischen 7 und 12 Cent. In diesem Rahmen bewegen wir uns ebenfalls und sind damit wettbewerbsfähig“, erklärt Finanzchef Mantke. Rund 12,7 Millionen Euro Kapital hat sich die an der Börse gelistete Gesellschaft im laufenden Jahr für die nächsten Schritte gesichert.
Für die Region könnte das Unternehmen eine Chance sein: Rund zwei Drittel der Beschäftigten entstammen der früheren OsramMannschaft. Rund ein Drittel kam neu dazu. „Wir bauen ein nachhaltiges Produkt, das zieht auch junge Leute an“, erklärt Gallina. Läuft die Serienfertigung an, könnten bald mehr Beschäftigte nötig sein.