Virus-Welle rollt durch die Region
Kinderarztpraxen sind überlastet, Kliniken oft voll. Ein Grund für die prekäre Lage: das RS-Virus. Was Mediziner berichten und welche Kritik es an den Plänen des Gesundheitsministers gibt.
Allerorten hustet, niest und schnieft es in den Kindertagesstätten und Grundschulen des Freistaats. Unter dem Nachwuchs greift eine rasante Infektionswelle um sich, die auch die Kinderärzte an den Rand der Kapazitäten bringt. Praxen sind überlastet und selbst viele Krankenhäuser sind schon voll. Mediziner sprechen bereits von einer dramatischen epidemischen Lage – die längst auch in unserer Region spürbar ist.
Zunächst einmal vorweg: Dass sich Menschen im Winter mit dem RS-Virus – kurz für Respiratorischen Synzytialvirus – anstecken, ist normal. Vor allem bei kleineren Kindern, die sich zum ersten Mal infizieren, kann die Krankheit schwerer verlaufen. Dass sie ins Krankenhaus müssen, ist nicht ungewöhnlich. Doch die Anzahl der Kinder, die momentan wegen einer RSV-Infektion im Krankenhaus behandelt werden müssen, ist in diesem Jahr ungewöhnlich hoch. Dazu kommt: Die Krankheit tritt momentan fast überall gleichzeitig auf. Auch das war früher anders. Oliver Götz, leitender Oberarzt der Kindermedizin am Klinikum in Kempten, beschreibt es so: „In der
Vergangenheit gab es zum Beispiel erst eine Welle im Augsburger Raum und dann, etwas später, im Allgäu. Die Infektionen haben sich zeitlich verteilt.“Die momentane Lage sei aus seiner Sicht so dramatisch, weil es den Kliniken schwerer falle, sich untereinander auszuhelfen.
Und tatsächlich ist es so: Egal, bei welchem Krankenhaus in der Region man nachfragt, alle berichten davon, dass ihre Kinderstationen momentan fast voll, voll oder übervoll seien. Nicht nur wegen des RS-Virus, aber auch deswegen. So fasst es zum Beispiel Michael Steidl, Leitender Oberarzt der Kinderund Jugendmedizin am Klinikum in Landsberg, zusammen. Er sagt außerdem: „Die Auslastung ist hoch, wobei nie vergessen werden darf, dass es neben Atemwegserkrankungen auch noch andere, stationär behandlungsbedürftige Krankheitsbilder gibt.“
Florian Wild, Chefarzt der Kinderund Jugendmedizin in Neuburg an der Donau, verdeutlicht die Lage in seinem Haus mit Zahlen. Dort könnten 45 Kinder behandelt werden. „Momentan sind mehr als die Hälfte dieser Patienten wegen einer RSV-Infektion oder einer Influenza bei uns.“Und es kämen täglich neue hinzu. Im Schnitt entlasse er am Tag zehn bis 15 Kinder und nehme genauso viele wieder auf. Das sei deutlich mehr als üblich.
„Wir sind an der Belastungsgrenze“, sagt Matthias Keller, Leiter der Kinderklinik Dritter Orden in Passau und Vorsitzender der Süddeutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. „Die Zimmer sind oft doppelt belegt, es fehlen zum Teil Monitore, um die Kinder überwachen zu können, weil wir pro Bett – wenn überhaupt – nur einen Monitor zur Verfügung haben. Und auch für die Atemunterstützung stehen zum Teil zu wenige Geräte zur Verfügung.“In manchen Regionen Bayerns seien die Krankenhäuser schon im Normalzustand auf Kante genäht. Die Folge: „Manche Patientenzimmer sind wie Bettenlager, da muss man wirklich über die Betten krabbeln, um zum kranken Kind zu kommen, weil sich Elternbett an Patientenbett reiht.“
Im Krankenhaus in Memmingen können nur noch akute Fälle behandelt werden. Geplante Krankenhaustermine müssen verschoben werden. Der Kemptener Oberarzt Oliver Götz berichtet, sie kämen zwar noch zurecht, müssten aber jeden Tag neu planen, wie sie die Kinder versorgen können. Dazu kommt, dass er häufig Anfragen bekomme, Kinder aus anderen Kreisen aufzunehmen, weil die Häuser dort überlastet sind. „Wir haben fast täglich verzweifelte Kolleginnen oder Kollegen aus München oder anderen Orten am Telefon, die nach einem Bett suchen“, sagt er. Auch deshalb würde Götz sich wünschen, dass die Politik der Überlastung auf den Kinderstationen mehr Beachtung schenke und an Lösungen arbeite.
Im Landtag sorgte die schwierige Lage in den 43 bayerischen Kinderkliniken am Donnerstag für eine hitzige Debatte. Grüne, SPD und FDP forderten die Staatsregierung in Dringlichkeitsanträgen zu Sofortmaßnahmen auf. Christina Haubrich (Grüne) äußerte die Befürchtung, dass die Versorgung für den Winter nicht gewährleistet sei. Dominik Spitzer (FDP) schlug eine Taskforce für Kindermedizin vor.
„Die Notaufnahmen und Kinderkliniken aus dem ganzen Land funken SOS“, sagte Ruth Waldmann (SPD). Es sei zwar anzuerkennen, dass Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) eine Expertenrunde einberufen habe und die Problemlage ernst nehme. Den zentralen Vorschlag des Ministers, die Personaluntergrenze bei der Versorgung der Kinder auszusetzen, kritisierte sie scharf. Dass sich eine Pflegekraft jetzt um mehr Kinder kümmern solle, sei ein „Armutszeugnis“. Waldmann: „Das geht voll auf die Knochen der Pflegekräfte.“