Donau Zeitung

Er entdeckte die Fabrik der Nazis

Hans-Peter Englbrecht begleitet die Spurensuch­e im Wald bei Zusmarshau­sen von Anfang an. Dafür und für viele weitere ehrenamtli­che Verdienste erhält er die Silberdist­el unserer Redaktion.

- Von Philipp Kinne

Es war die Bemerkung eines Schülers, die alles in Rollen brachte. „Da draußen im Wald, da sind so Betonteile“, sagte der Achtklässl­er im Geschichts­unterricht von Hans-Peter Englbrecht aus Zusmarshau­sen (Landkreis Augsburg). Von den rätselhaft­en Betonteile­n hatte Englbrecht noch nie gehört. Am Wandertag ging es mit der Klasse in den Wald, nahe der Autobahn A8. Dort befand sich früher das geheime Waldwerk Kuno. Heute hält der 74-Jährige Vorträge über die ehemalige Rüstungsfa­brik der Nazis.

Englbrecht brachte ans Licht, dass in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs der Düsenjäger Me262 im Waldwerk gebaut wurde. Zwangsarbe­iter und KZ-Häftlinge mussten die Hauptarbei­t für die Fertigung der vermeintli­chen „Wunderwaff­e“verrichten. Dahinter stecken etliche tragische Schicksale, die in Vergessenh­eit geraten waren.

Lange Zeit habe niemand über die Gräueltate­n im Wald sprechen wollen, erinnert sich Englbrecht. Er war der Erste, der danach fragte. Etwa 20 Jahre ist das her. Auf Grundlage der Recherche des 74-Jährigen kam die Geschichte des sogenannte­n Waldwerks Kuno ans Licht. Dafür und für viele weitere ehrenamtli­che Verdienste wird Hans-Peter Englbrecht mit der Silberdist­el unserer Redaktion ausgezeich­net.

Nach und nach setzte Englbrecht Erzählunge­n und Fundstücke aus dem Wald zusammen. Zusammen mit Maximilian Czysz, stellvertr­etender Leiter der Redaktion Augsburg Land, schuf Englbrecht eine Dauerauste­llung im Museum Zusmarshau­sen. Auch ein Gedenkweg im Wald entstand. Mehrfach wurde diese Arbeit ausgezeich­net. Immer wieder habe er in der Recherche einen Satz zu hören bekommen, den er nicht akzeptiere­n will, erzählt Englbrecht: „Wir wussten von nichts.“Der ehemalige Hauptschul­lehrer hat sich das Erinnern zu einer seiner Lebensaufg­aben gemacht. Die Geheimsach­e

im Wald ist nicht sein einziges Herzenspro­jekt.

Ihr Mann, erzählt Ehefrau Tuula, habe ein Helfersynd­rom. Vielleicht sei er deshalb Lehrer geworden. Im Gespräch mit dem 74-Jährigen wird schnell klar, was seine Frau meint. Englbrecht erzählt von einer ehemaligen Schülerin, deren Mutter sie im Stich ließ. Nach der Schule half der Lehrer bei der Suche nach einem Ausbildung­splatz. Als die einstige Schülerin Jahre später ein Haus baute, stand Englbrecht auf der Baustelle. „Wenn ich helfen kann, helfe ich“, sagt der 74-Jährige. „Das ist das Schönste, was man machen kann.“Der Zusmarshau­ser ist kein Mann der leeren Worte. Der Pensionist bringt Geflüchtet­en aus der Ukraine Deutsch bei oder hilft ihnen bei alltäglich­en Problemen. Im Ehrenamt führt er Besucher bei historisch­en Rundgängen durch seine Heimatgeme­inde Zusmarshau­sen, in der er vor rund 35 Jahren einen Theaterver­ein ins Leben rief. Engelbrech­t schwärmt von der Zeit, als er den Brandner Kasper oder „Das Haus in Montevideo“auf die Bühne brachte: „Ich habe durchgedrü­ckt, dass wir keine Bauernstüc­ke aufführen.“

Inzwischen hat er die Leitung der Zusambühne abgegeben. Bleibt also mehr Zeit für weitere Leidenscha­ften

wie das Saunieren oder das Reisen nach Finnland, die Heimat seiner Frau.

Ihre Kennenlern­geschichte sei eigentlich zu kitschig, um sie zu erzählen, meint Englbrecht. Dann tut er es doch: Als Jugendlich­e schrieb Tuula Englbrecht einen Brief aus Finnland ans Elternhaus des gebürtigen Sonthofers. Die Adresse habe sie im Unterricht bekommen. „Woher die kam, weiß ich bis heute nicht“, sagt sie. Hans-Peter Englbrecht schrieb zurück. Es entstand eine jahrelange Brieffreun­dschaft. Irgendwann kam seine heutige Ehefrau dann nach Augsburg – und blieb.

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Hans-Peter Englbrecht ist einer der Initiatore­n einer Dauerausst­ellung zu einer geheimen Rüstungsfa­brik der Nazis im Wald bei Zusmarshau­sen.
Foto: Marcus Merk Hans-Peter Englbrecht ist einer der Initiatore­n einer Dauerausst­ellung zu einer geheimen Rüstungsfa­brik der Nazis im Wald bei Zusmarshau­sen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany