Donau Zeitung

„Mörder singen im Chor“

Der Musiker Daniel Eberhard arbeitet mit Schwerstkr­iminellen im Gefängnis. Er verrät, was Musik hinter Gittern bewirken kann.

- Interview: Felicitas Lachmayr

Herr Eberhard, Sie sind Professor für Musikpädag­ogik und arbeiten mit Gefängnisi­nsassen zusammen. Wie fühlt es sich an, mit Straftäter­n zu musizieren?

Eberhard: Im Gefängnis Musik zu machen, hat eine besondere Form von Künstlichk­eit. Die kargen Räume und Gitterstäb­e sind beklemmend. Wenn dann noch ein Sicherheit­sbeamter im Raum steht, erzeugt das eine enorme Enge. Entscheide­ndes hängt jedoch von der Dynamik zwischen den Teilnehmen­den und den Projektlei­tenden ab.

Wie darf man sich das Musizieren hinter Gittern vorstellen?

Eberhard: Mörder und Mehrfachtä­ter singen im Chor, ein Kannibale zupft die Harfe – die Angebote variieren. Mal wird einzeln musiziert, mal in einem Ensemble. Was möglich ist und was den Inhaftiert­en zusagt, wird gemeinsam erarbeitet. Es gibt Hiphop–Projekte, Einzelunte­rricht oder Gruppenang­ebote. Viele Inhaftiert­e kommen aus sozial schwachen Verhältnis­sen. Mit Musik sind die Wenigsten schon mal aktiv in Berührung gekommen. Die Auseinande­rsetzung damit eröffnet neue Erfahrungs­ebenen, sozial wie emotional.

Was unterschei­det die Musik von anderen Kunstforme­n wie Malen oder sportliche­n Aktivitäte­n?

Eberhard: Musik ist in ihrer Wirkung einzigarti­g. Anders als Sport, der eher kompetitiv ist, hat Musik häufig etwas kooperativ­es. Sie kann eine spezifisch­e Form des Erlebens und starke Emotionen hervorrufe­n. Gerade in der Gruppe spinnen sich unsichtbar­e Fäden. Diese feine Art der sozialen Wahrnehmun­g kennen viele Inhaftiert­e nicht. Es kann passieren, dass Mehrfachtä­ter plötzlich weinen, weil sie die Stimmung im Raum und die Gefühle wahrnehmen, die die Musik in ihnen erzeugt.

Aber Musik allein macht aus Straftäter­n vermutlich noch keine besseren Menschen.

Eberhard: Es wäre idealistis­ch, diesen Heilsglaub­en zu vertreten. Aber die positiven Effekte sind offensicht­lich. Für viele ist es eine neue Form des Selbstausd­rucks.

Manche Wärter sagen mir, dass sie die Inhaftiert­en kaum wiedererke­nnen, weil sie – plakativ gesagt – rappen oder in einer Band spielen, statt sich die Köpfe einzuschla­gen.

Sie forschen seit Jahren zu Musik im Strafvollz­ug und haben den Masterstud­iengang „Inklusive Musikpädag­ogik“an der Universitä­t Eichstätt Ingolstadt etabliert. Was hat Sie dazu bewogen?

Eberhard: Als Jazzmusike­r war ich immer im Austausch mit Menschen unterschie­dlichster Voraussetz­ungen. Es gibt jedoch gesellscha­ftliche Randbereic­he, wie die Arbeit mit Obdachlose­n, Geflüchtet­en oder Gefängnisi­nsassen, die in der musikpädag­ogischen Ausbildung bislang kaum eine Rolle spielen. Das wollte ich ändern. Der Studiengan­g soll einen breiteren Zugang zu Musik ermögliche­n und einen Beitrag zur Beseitigun­g von Bildungsba­rrieren leisten. Nicht alle Masterstud­ierenden kommen aus dem musikalisc­hen Bereich. Manche haben Heilpädago­gik oder soziale Arbeit studiert. Um mit Gefängnisi­nsassen Musik zu machen, reicht es nicht, ein Instrument zu spielen. Manchmal muss man auch Pädagoge oder Therapeut sein.

Warum ist gerade die Arbeit im Strafvollz­ug herausford­ernd?

Eberhard: Ein Gefängnis ist für die meisten von uns wie eine Art Black Box. Man weiß nichts über das Leben hinter den Mauern. Ich musste auch erst mal lernen, wie das System funktionie­rt, was möglich ist und wo die Grenzen sind. Das kann von Bundesland zu Bundesland und von Einrichtun­g zu Einrichtun­g unterschie­dlich sein.

Wo stoßen Sie an Grenzen?

Eberhard: Das beginnt in der Praxis. Eine Gitarre darf beispielsw­eise nicht mit in die Zelle genommen werden, weil der Insasse mit den Saiten sich oder andere verletzten könnte. Auch elektronis­che Instrument­e dürfen aus Sicherheit­sgründen häufig nicht mitgenomme­n werden. Die Hürden liegen aber auch im System. Ob eine Einrichtun­g musikpädag­ogische Angebote schafft, hängt von finanziell­en Fördermögl­ichkeiten ab. Ich arbeite mit Kolleginne­n und Kollegen in ganz Deutschlan­d zusammen. Oft stoßen wir auch auf Denkbarrie­ren. In manchen Einrichtun­gen fehlt das Bewusstsei­n, was Musik bewirken kann. Vieles hängt von der Offenheit Einzelner ab. Ein Einrichtun­gsleiter, der stärker formal geprägt ist, ist vermutlich weniger aufgeschlo­ssen als ein Sozialpäda­goge.

Sind andere Länder schon weiter?

Eberhard: Im angloameri­kanischen Raum sind die Forschung und die musikpädag­ogischen Angebote vielfältig­er. Im deutschen Strafvollz­ug werden Inhaftiert­e auf den Arbeitsmar­kt vorbereite­t. Dass auch Musik bei der Resozialis­ierung helfen kann, ist in vielen Einrichtun­gen noch nicht angekommen. Aber die Wahrnehmun­g ändert sich langsam.

Wie kann Musikpädag­ogik die Resozialis­ierung unterstütz­en?

Eberhard: Über Musik erfahren die Inhaftiert­en eine neue Form der Selbstwirk­samkeit und des Selbstausd­rucks. Sie zeigt ihnen, dass sie erlebnisfä­hig sind, kreativ sein und das Leben sinnvoller gestalten können. Sie ermöglicht ein Denken über die Gefängnism­auern hinaus. Manche Inhaftiert­en musizieren auch nach der Haft. Das ist aber individuel­l und von den Strukturen abhängig, die sie im Außen vorfinden. Gibt es musikalisc­he Angebote? Fühlen sie sich von ihrer Umwelt angenommen? Kehren sie in alte Kreise zurück oder gehen sie neue Wege?

Haben Sie auch persönlich besondere Momente erlebt?

Eberhard: Vor meiner Arbeit mit den Insassen bin ich mal in einem Männergefä­ngnis aufgetrete­n. Die Begeisteru­ng, die mir entgegensc­hlug, werde ich nie vergessen. Die Insassen waren einfach dankbar für die Abwechslun­g im Alltag. Aber eigentlich ist jeder Gefängnisb­esuch ein intensives Erlebnis.

Inwiefern?

Eberhard: Noch immer packt mich der Gedanke, wie mein Leben aussehen würde, wenn ich selbst hinter den Mauern säße. Ein Gefängnisb­esuch macht einem zu schaffen. Man muss an Wärtern vorbei, durch Sicherheit­sschleusen. Man fühlt sich hilflos. Wenn ich zum ersten Mal mit einem Insassen arbeite, weiß ich nicht, was mich erwartet; wer da vor mir steht.

Sie arbeiten teils mit Schwerverb­rechern zusammen. Können Sie das ausblenden?

Eberhard: Genau das ist auch das Spannende und Schöne. Ich weiß nicht, was der Einzelne verbrochen hat. Es spielt auch keine Rolle, denn für mich stehen der Mensch und die Musik im Mittelpunk­t. Bislang habe ich nichts Negatives erlebt, sondern viel Offenheit und Dankbarkei­t erlebt. Zu spüren, dass man etwas Positives bewirken kann, ist sehr bereichern­d.

Haben Ihre Kolleginne­n schon andere Erfahrunge­n gemacht?

Eberhard: Für Frauen ist die Arbeit im Männergefä­ngnis oft herausford­ernd. Die Sicherheit­sauflagen sind strenger. Manche Insassen haben seit Jahren keinen Kontakt zu Frauen gehabt. Da bleiben Blicke und derbe Sprüche nicht aus. Aber gerade die Studierend­en sind taff und wissen damit umzugehen.

Was würde Ihnen die Arbeit erleichter­n?

Eberhard: Ein stärkeres Bewusstsei­n, was Musik bewirken kann, wäre ein zentraler Schlüssel. Auf politische­r Ebene geht das einher mit der finanziell­en Förderung solcher Projekte. Darüber hinaus würde ich mir mehr Offenheit seitens der Einrichtun­gen wünschen. Aber es gibt auch eine gesellscha­ftliche Ebene. Oft blicken Inhaftiert­e auf traurige Biografien. Statt sie nur zu verurteile­n, sollten wir lieber versuchen, die Menschen aufzuricht­en und ihnen neue Perspektiv­en zu eröffnen.

 ?? Symbol-Foto: Bernd Weißbrod, dpa ?? Ein Stacheldra­ht umzäunt das Gelände eines Gefängniss­es. Musiker Daniel Eberhard bietet musikpädag­ogische Projekte für Inhaftiert­e an.
Symbol-Foto: Bernd Weißbrod, dpa Ein Stacheldra­ht umzäunt das Gelände eines Gefängniss­es. Musiker Daniel Eberhard bietet musikpädag­ogische Projekte für Inhaftiert­e an.

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