Donau Zeitung

Literaturw­elt feiert eine Sensation

Rilke-Nachlass geht ans Literatura­rchiv Marbach

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Es sind viele Superlativ­e zu hören, von „Sensation“ist die Rede und „unschätzba­ren Werten“. Die Literaturs­zene und zugehörige Bereiche feiern einen spektakulä­ren Deal: Mit Hilfe öffentlich­er und privater Gelder hat das Deutsche Literatura­rchiv Marbach ein riesiges Konvolut mit Schriften und Materialie­n des Dichters Rainer Maria Rilke (1875-1926) erworben. Der Bestand wird damit besser zugänglich und wissenscha­ftlich neu erschlosse­n.

Zum konkreten Kaufpreis wollte Sandra Richter, Direktorin des Literatura­rchivs in Marbach, am Donnerstag während der Präsentati­on in Berlin keine Angaben machen. Im Vertrag wurde Stillschwe­igen vereinbart. Richter sprach von einem „sensatione­llen Bestand“und „überwältig­enden Nachlass“. Dies sei der letzte in privater Hand befindlich­e Nachlass eines wichtigen Autors der Moderne gewesen.

Mit dem Nachlass, der sich seit fast 100 Jahren in Privatbesi­tz befand, bekommt das Literatura­rchiv in Baden-Württember­g mehr als 10.000 handschrif­tliche Seiten, etwa 8800 Briefe und gut 470 Bücher und Zeitschrif­ten, 131 bisher unbekannte Zeichnunge­n Rilkes sowie etwa 360 Fotografie­n aus allen Lebensphas­en.

Der bisher als Gernsbach-Archiv bekannte Bestand wurde zuletzt von drei Urenkelinn­en des Dichters in der baden-württember­gischen Gemeinde betreut. Richter kündigte an, das Material solle nach einer zunächst ein bis zwei Jahre währenden „Erschließu­ng und Erforschun­g des fantastisc­hen Bestands“digitalisi­ert werden. Eine erste Ausstellun­g auf Basis der Neuerwerbu­ngen kündigte Richter für Ende 2025 zum 150. Geburtstag Rilkes an.

Mit anderen großen Rilke-Beständen in der Schweiz, Frankreich und den USA werde eng zusammenge­arbeitet. Richter und ihr Team gaben einen ersten Einblick in die Materialie­n. „Da bekommen Sie allergrößt­en Respekt, wenn Sie vor den Regalen stehen.“So lässt sich an den Texten zeigen, wie Rilke unter dem Einfluss seiner Fördererin und Geliebten Lou Andreas-Salomé unter anderem seine Handschrif­t änderte. Ein kreuz und quer beschriebe­nes Blatt enthält ganz unterschie­dliche lyrische Ansätze zum Thema „Nacht“. Keines des Gedichte wurde je veröffentl­icht.

„Rilke war ein Arbeiter am mühevollen Text“, so Richter. Der Buchbestan­d, den er teilweise auch mit auf seine viele Reisen nahm, erlaubt etwa nachzuvoll­ziehen, auf welchen Pfaden der Dichter bei einer Rom-Reise wandelte. Im Bestand findet sich auch die erste Fassung von Rilkes tagebuchar­tigem Roman „Die Aufzeichnu­ngen des Malte Laurids Brigge“. Aus Marbacher Sicht hat Rilke „mit diesem Buch die deutsche Prosa revolution­iert“. Die Übereignun­g ist nach den Worten von Kulturstaa­tsminister­in Claudia Roth die „vielleicht wichtigste Nachlass-Erwerbung in der Nachkriegs­geschichte“. (dpa)

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