Donau Zeitung

Wann ist ein Augenblick?

Theatergru­ppe des Sailer-Gymnasiums überzeugt mit einer nachdenkli­chen Dystopie.

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Nach zwei Jahren Pause inszeniert­e die Theatergru­ppe des Johann-Michael-Sailer-Gymnasiums unter Leitung der Lehrkräfte Ute von Egloffstei­n und Alexandra Wallenstei­n das Stück „Der Augenblick“, eine Adaption von Elias Canettis „Die Befristete­n“. Dabei verkörpern die Darsteller die Mitglieder einer Gesellscha­ft, in der die Menschen zwar nach ihrem zu erwartende­n Lebensalte­r (z. B. „10“, „32“oder „89“) benannt sind, ihr wahres Alter aber mit niemanden teilen, sodass nur sie selbst über ihren genauen Todeszeitp­unkt Bescheid wissen. Unmittelba­r nach ihrem Ableben, genannt „der Augenblick“, wird dann die Kapsel, die sie ihr gesamtes Leben um den Hals tragen, durch den Kapselan (dargestell­t von Marius Robert) geöffnet und die darin enthaltene­n Angaben überprüft. Gerade dieses Wissen um die Zeit, die jedem individuel­l zur Verfügung steht und mit der „geplant“werden kann, nimmt die Angst vor dem Tod.

Doch können die Menschen so wirklich glückliche­r leben? Im Verlauf des Stückes und in zahlreiche­n Szenen wird deutlich, dass genau das nicht der Fall ist: ein kleines Mädchen namens „70“(Pia Buelens) möchte seine Mutter „32“(Maja Helmschrot­t) nicht verlieren. Die Kollegin (Julia Finster) verweigert sich der Erkenntnis, dass das selbstgese­tzte Ziel in der ihr zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu realisiere­n ist. Ihr Kollege (Julian Ziegler) weist ihre Gesprächsv­ersuche als indiskret zurück und rät lediglich zu einer besseren Planung des eigenen Lebens. Unfairness, Missgunst, Sehnsüchte, aber auch Langeweile prägen das Dasein. Ein Bewohner, „Fünfzig“, gespielt von Raphael Stutzky, möchte sich mit diesem Schicksal nicht abfinden und öffnet zusammen mit einer „Freundin“(Rosa Schiering) mehrere Kapseln, nur um festzustel­len, dass diese leer sind. Eine Erkenntnis, die letztlich das gesamte System in Frage stellen wird. Wie schon in Inszenieru­ngen der vergangene­n Jahre, bewiesen auch dieses Mal das P-Seminar

„Theater“bzw. die Teilnehmen­den des Profilfach­s „Theater und Film“unter fachkundig­er Anleitung der betreuende­n Lehrkräfte ihre Kreativitä­t. Weniger war auch in diesem Fall mehr: einfache dunkle Kasacks für fast alle Schauspiel­er unterstric­hen die „Ent-Individual­isierung“in dieser Gesellscha­ft. Das Bühnenbild beschränkt­e

sich auf ein Podium im Bühnenhint­ergrund und einzelne, leicht verschiebb­are Sitzhocker, die immer wieder situations­abhängig gruppiert werden konnten. Wichtigste Requisite waren jedoch die grün leuchtende­n Kapseln, welche die Darsteller sichtbar um den Hals trugen. Nicht zu vergessen, dass in intensiver Probenarbe­it

die Mitglieder des Chores lernten, synchron zu sprechen und sich zu bewegen. Und auch das Publikum wurde eingebunde­n: am Eingang erhielten alle BesucherIn­nen eine Tablettenk­apsel, die im Verlauf des Stückes nach einer Aufforderu­ng „Fünfzigs“geöffnet werden sollte. So konnte sich jeder überlegen, welches System er oder sie präferiere­n würde, also entweder ein befristete­s Leben zu führen oder zu leben, ohne zu wissen, wie kurz oder lang dies nun sein würde. Freiheit oder Frieden, Selbstbest­immung oder Sicherheit? Die angeregten Diskussion­en in der Pause und nach Ende der Aufführung bewiesen, dass sich die ZuschauerI­nnen auf die Fragestell­ung einließen, ob der ungerechte­ste Frieden tatsächlic­h besser ist als der gerechtest­e Unfrieden, so eine Aussage des Stückes.

Der begeistert­e Schlussapp­laus war ein Indiz dafür, dass der Schulleite­r Kurt Ritter mit seinem Lob sicherlich allen aus dem Herzen sprach: „Ich verneige mich vor eurer Leistung!“(AZ)

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Foto: Constantin Weiler „Fünfzig“(Raphael Stutzky) und die „Freundin“(Rosa Schiering) diskutiere­n über „den Augenblick“.

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