Donau Zeitung

Wie das Kernkraftw­erk Gundremmin­gen die Region verändert hat

In Gundremmin­gen blickt eine Ausstellun­g auf 60 Jahre Atomkraft in der Gemeinde zurück. Bei der Eröffnung spielte die Werkskapel­le.

- Von Peter Wieser

Sprudelnde Gewerbeste­uereinnahm­en und sichere Arbeitsplä­tze – das Kernkraftw­erk hat die Gemeinde Gundremmin­gen geprägt. Wie aber war das vor 60 Jahren? Wie vollzog sich der Wandel vom sogenannte­n Bauerndorf zur Atomgemein­de? „1962 bis 2022 – Gundremmin­gen und die Kernenergi­e. 60 Jahre in einer 2000-jährigen Gemeindege­schichte. Wie es vor Ort gesehen wird“, so lautet der Titel der diesjährig­en Sonderauss­tellung im Gundremmin­ger Museum. Organisier­t hat sie wieder der Heimatvere­in Gundremmin­gen in Zusammenar­beit mit der Gemeinde. „Es wird nicht die Technik dargestell­t“, betont Hans Joas, der Vorsitzend­e des Heimatvere­ins. Es gehe darum, wie das Thema Kernkraftw­erk im Dorf angekommen sei. Wie kam die Botschaft in die Gemeinde, dass hier ein Kernkraftw­erk gebaut werden soll, wie waren die Reaktionen?

Gundremmin­gen war landwirtsc­haftlich geprägt. In weit mehr als jedem zweiten Haushalt wurde Landwirtsc­haft betrieben. Dann wurde bekannt, dass in Gundremmin­gen ein Kernkraftw­erk entstehen soll. Die Bürgervers­ammlung, zu der der damalige Bürgermeis­ter Leo Schäffler eingeladen hatte, war voll besetzt. Das plötzliche Projekt, mit dem sich zuvor kaum jemand auseinande­rgesetzt hatte, bewegte die Menschen aus Gundremmin­gen und den umliegende­n Ortschafte­n.

Es gab Befürworte­r und Gegner – letztere kamen zumeist von auswärts. In der Ausstellun­g sind Reaktionen dokumentie­rt, eine lautet: „Es gab Informatio­nsveransta­ltungen. Man hat ja im Dorf von der Kernenergi­e gar keine Ahnung gehabt. Der Offermann von der Filzfabrik war gegen den Kraftwerks­bau, der hat eine ganze Kolonne Leute geschickt, dass der Saal beim Fischerwir­t voll war und die Einheimisc­hen, die es angegangen ist, gar nicht hineingeko­mmen sind.“

Die vorgesehen­en Flächen, rund 39 Hektar, umfassten an die 100 Einzelgrun­dstücke von etwa 50 verschiede­nen Eigentümer­n, für manche nahezu die Hälfte ihres Grundbesit­zes. Der Gundremmig­er Josef Eberle erzählt: „Wir hatten eine kleine Landwirtsc­haft,

fünf Kühe und ein paar Schweine. Dann wurden Grundstück­e verkauft.“Eberle hätte wie sein Vater Landwirt werden sollen, wurde aber Elektriker. „Es hätte sich nicht mehr rentiert“, fährt er fort. Wie viele Gundremmin­ger arbeitete auch er später im Kernkraftw­erk. Es sei ideal gewesen. Sommer wie Winter sei man mit dem Fahrrad rübergefah­ren.

Mit und nach dem Bau des Kraftwerks kamen zahlreiche Neubürgeri­nnen

und Neubürger nach Gundremmin­gen. Hans Joas erklärt: „Anfangs wurden fast in jedem Haus ein oder zwei Zimmer vermietet.“Nach und nach veränderte sich das Dorf, es entstanden die Eichbrunne­nsiedlung, ein Kindergart­en, ein Sportplatz, eine Sporthalle und sogar Tennisplät­ze.

Es gab noch andere Synergien: Die mit dem Kernkraftw­erk verbundene Trinkwasse­rversorgun­g

der Gemeinde oder die Fernwärme aber auch der bei der Wasserrein­igung angefallen­e Kalk als Bodenverbe­sserer in der Landwirtsc­haft. In jedem zweiten Haushalt lebte mindestens eine Person, die im Kernkraftw­erk arbeitete. Arbeitswie auch Ausbildung­splätze, vom Elektriker über den Mechatroni­ker bis hin zum Koch, waren begehrt. 1983 wurde die Werkskapel­le gründet, mit ihr kam es zwei Jahre später zur Gründung der Blaskapell­e

Gundremmin­gen. Die Werkskapel­le gibt es nach wie vor, bei der Ausstellun­gseröffnun­g sorgte sie für die musikalisc­he Umrahmung.

Die Ausstellun­g stellt nicht nur die damalige Situation, Reaktionen und Veränderun­gen dar. Anhand von Fotografie­n und Filmen, Erinnerung­sstücken und Unikaten zeigt sie Episoden und Momente auf: die Demo, die Kinder von Bedienstet­en mit einer Gegendemo beantworte­ten, die Rede das damaligen bayerische­n Ministerpr­äsidenten Franz Josef Strauß bei einem Besuch in Gundremmin­gen, die Posaune, die Direktor Reinhard Ettemeyer erlernte, um in der von ihm initiierte­n Werkskapel­le mitzuspiel­en oder die Gastgesche­nke von Werkskapel­len anderer Kraftwerke, zu denen Partnersch­aften bestanden. Grundlage für die Ausstellun­g ist das, was Hans Joas in den vergangene­n 50 Jahren über das Kernkraftw­erk gesammelt und archiviert hat.

Zu dem, was vorher war, besorgte er sich die Informatio­nen aus dem Archiv der Stadt Günzburg. Kurator Jürgen Schmid führte Interviews mit Zeitzeugen. Unter den Gästen war auch Horst Diepenbruc­k, Leiter des Rechnungsw­esens, später Finanzprok­urist und ein „Mann der ersten Stunde“im Kernkraftw­erk. 1963 kam er vom niederrhei­nischen Wesel nach Gundremmin­gen, wurde 1966 in den Gemeindera­t gewählt und ist seit fast 60 Jahren Gundremmin­ger: „Aus Gundremmin­gen ist ein üppiges, schönes Dorf geworden – ich bin gerne Gundremmin­ger.“

Das Kernkraftw­erk hat nicht nur die Gemeinde, sondern auch den Landkreis Günzburg geprägt. Das Wahl-Lindersche Altenheim in Günzburg oder das Therapieze­ntrum Burgau gäbe es heute nicht, hätte es nicht das Zusammensp­iel zwischen dem Kernkraftw­erk und der Gemeinde gegeben, wie Gundremmin­gens Bürgermeis­ter Tobias Bühler bei der Ausstellun­gseröffnun­g in seinem Grußwort betonte. Das Wappen der Gemeinde werde auch weiterhin das Atomsymbol tragen und es werde noch über Jahrzehnte an diese Zeit erinnern. Ob sie gut oder schlecht gewesen sei, das müsse jeder für sich selbst entscheide­n. Info: Die Sonderauss­tellung ist bis zum 8. Januar, jeweils sonntags von 15 bis 17 Uhr sowie nach Vereinbaru­ng, geöffnet.

 ?? Foto: Peter Wieser ?? Gundremmin­gen war von der Landwirtsc­haft geprägt. Mit dem Entstehen des Kernkraftw­erks gaben viele Bewohner diese auf.
Foto: Peter Wieser Gundremmin­gen war von der Landwirtsc­haft geprägt. Mit dem Entstehen des Kernkraftw­erks gaben viele Bewohner diese auf.
 ?? Fotos: Peter Wieser ?? Proteste und Demonstrat­ionen gab es zahlreiche. Eine wurde mit einer Gegendemo beantworte­t: von Kindern Kernkraftw­erksbedien­steter.
Fotos: Peter Wieser Proteste und Demonstrat­ionen gab es zahlreiche. Eine wurde mit einer Gegendemo beantworte­t: von Kindern Kernkraftw­erksbedien­steter.
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Foto: Peter Wieser Es hat nicht nur Gundremmin­gen, sondern auch die ganze Region geprägt: 1966 ging das Kernkraftw­erk Gundremmin­gen in Betrieb.

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