Wohnungsnot verschärft sich
Nach Berechnungen der Bauwirtschaft werden in den nächsten beiden Jahren nicht einmal halb so viele Wohnungen gebaut wie von der Ampel versprochen. Nun nimmt die Branche den Kanzler in die Pflicht.
Berlin Das Wohnungsbau-Barometer leuchtet rot. Der Farbton ist nicht hell, sondern dunkel, ein schrilles Alarmrot. Es weist auf einen Sturm am Wohnungsmarkt hin, der das ganze Land erfassen wird, wenn die Politik nicht gegensteuert.
Noch im vergangenen Jahr wollte die damalige Bundesregierung 350.000 neue Wohnungen bauen. Tatsächlich wurden nicht einmal 300.000 fertig. Für dieses Jahr sieht es noch schlimmer aus. Die Ampel hat 400.000 neue Wohnungen als Ziel ausgegeben. Doch die Experten winken ab. „Wir werden zum zweiten Mal in Folge unter 300.000 Wohnungsfertigstellungen
erleben“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Zentralen Immobilien Ausschusses, Oliver Wittke, am Freitag in Berlin. Für die nächsten beiden Jahre könne man froh sein, wenn die 200.000er-Marke geknackt werde. Die Branche hat sich mit einem in dieser Form bislang einmaligen Appell an die Regierung gewandt und bittet um sofortige Hilfe.
17 Kammern und Verbände der Branche, darunter der Handwerksverband und das Baugewerbe, die Architekten und die Baustoffindustrie, schlagen mit einem gemeinsamen Aufruf Alarm. Da ist zum einen die konjunkturelle Bedeutung: „Wenn wir nicht gegensteuern, bekommt diese Krise einen Dominoeffekt und breitet sich auf die gesamte Wirtschaft aus“, warnt Markus Weidling vom Verband Freier Immobilien- und Wohnungsbauunternehmen. Etwa 4,4 Millionen Menschen sind in der Branche beschäftigt, mehr als in der Autoindustrie. Während anderswo Fachkräfte fehlen, konnte hier über die Jahre ein solides Fundament aufgebaut werden. Vielerorts aber werden Bauprojekte gestrichen, Beschäftigte müssen sich andere Arbeit suchen und kommen eventuell nicht wieder zurück. Und da ist zum anderen die gesellschaftliche Bedeutung: An anderen Stellen lässt sich ein Mangel verschmerzen. Wenn das neue Auto zwölf statt sechs Monate Lieferfrist hat, ist das ärgerlich. Wenn die neue Wohnung nicht fertig wird und es kein Ausweichquartier gibt, ist das ein echtes Problem..
Der Aufruf sei, sagte Wittke, „eine Art Hilferuf, denn wir wollen unserer gesellschaftspolitischen Aufgabe nachkommen, Deutschland mit Wohnungen zu versorgen.“Zwölf Forderungen haben die Unterzeichner formuliert. Sie mahnen weniger Bürokratie und mehr Förderung an, unter anderem durch eine Novelle des Baukindergeldes. Kanzler Olaf Scholz wird aufgefordert, den Wohnungsbau zur Chefsache zu machen – und an dieser Stelle wird es pikant.
Denn die Wohnungswirtschaft ist nicht etwa unzufrieden mit der Arbeit seiner Bauministerin Klara Geywitz. Ganz im Gegenteil, die Arbeit der SPD-Politikerin aus Brandenburg wird kräftig gelobt. Felix Pakleppa etwa, der Hauptgeschäftsführer beim Zentralverband
des Deutschen Baugewerbes, sagt: „Wir sind mit ihr sehr zufrieden, sie hat sich toll in die Themen eingearbeitet.“Die Branche schaut vielmehr mit Sorge auf die Grünen, die teilweise schon den Bau von Einfamilienhäusern verbieten wollen.
Doch 400.000 neue Wohnungen pro Jahr können so nicht entstehen, warnen die Experten. „Deutschland ist nicht fertig gebaut“, betont etwa Oliver Wittke und weist mit seinen Mitstreitern darauf hin, dass das Ziel von der Koalition insgesamt beschlossen wurde und deshalb von allen drei Ampel-Parteien auch gemeinsam umzusetzen sei. Der Kanzler müsse sein Kabinett deshalb schnell „zu einer gemeinsamen Offensive antreiben“.