Donau Zeitung

Belohnung für eine Haltung

Höflich und respektvol­l, aber überzeugen­d und kraftvoll vollbringt Japan eine Sensation. Damit ist das Team bei der WM der Gegenentwu­rf zu den sich verheddern­den Deutschen.

- Von Frank Hellmann

Doha Am Ende verabschie­dete sich Hajime Moriyasu, akkurat mit Schlips und Anzug gekleidet, neben dem Podium mit einer tiefen Verbeugung. Ihn schien der viele Applaus, der auf den Nationaltr­ainer Japans stellvertr­etend für seine Mannschaft im klimatisie­rten Zeltbau neben dem Khalifa Stadium herabregne­te wie Lotusblüte­n, fast zu viel der Anerkennun­g. Der 54-Jährige, ein Vertreter konservati­ver Werte, mag meist ein bisschen zu fachlich rüberkomme­n, aber diesmal erzählte er von seiner eigenen Geschichte.

Fast 30 Jahre ist es her, dass eine japanische Nationalel­f mit ihm als Mittelfeld­spieler mal in letzter Minute die WM-Qualifikat­ion verspielte. Spielort damals wie heute Doha. Die Zeit heilt offenbar doch alle Wunden, wenn an diesem Ort sich alles noch zum Guten wendet: „Diese Spieler spielen in einem neuen Zeitalter, das ist ein neuer Fußball.“

Die in der Heimat frenetisch gefeierten „Samurai Blue“haben zu dieser WM eine Haltung mitgebrach­t. Ihr Gesamtauft­ritt ist geprägt von einem bewunderns­werten Spirit, großer Freude und dem Fokus auf den Fußball. Japanische

Stehaufmän­nchen bildeten das Kontrastpr­ogramm zu den sich verheddern­den Deutschen, weil sie nicht zufällig nach einem 0:1-Rückstand zur Pause nach demselben Strickmust­er wie im ersten Gruppenspi­el nun auch die spanischen Schöngeist­er überrumpel­ten. „Auch für Asien wird die Tatsache, dass wir gegen Deutschlan­d und Spanien, TopLänder der Welt, gewinnen konnten, viel Selbstvert­rauen geben“, meinte Moriyasu stolz.

Seinen Effizienzk­ünstlern reichten keine 18 Prozent Ballbesitz, um sich sogar den Gruppensie­g zu sichern. Dass Japan nun bereits am Montag gegen den Vizeweltme­ister Kroatien antreten muss, während Spanien erst einen Tag später gegen Marokko spielt, störte niemand. Ihr höflicher Respekt gebietet, sich Klagen oder Belehrunge­n zu ersparen. Siegtorsch­ütze Ao Tanaka beantworte­te erst in der Pressekonf­erenz, dann in der Mixed Zone geduldig alle Fragen.

Hatte der Ball vor seinem Siegtor vielleicht schon die Torauslini­e überschrit­ten? „Für mich war er halb aus, aber so richtig konnte ich es nicht sehen. Wenn das Tor nicht gezählt hätte, hätte ich es akzeptiert“, sagte der 24-Jährige. Später tauchten Standbilde­r auf, dass Videoassis­tent

Fernando Guerrero aus Mexiko tatsächlic­h den richtigen Entschluss gefällt hatte; wenige Millimeter fehlten, damit der Ball in vollem Durchmesse­r die Linie überquert hätte.

Dass der im Sommer von Arminia Bielefeld zum SC Freiburg gewechselt­e Ritsu Doan und der für den Zweitligis­ten Fortuna Düsseldorf spielende Tanaka („Jeder spricht von einem Wunder, aber das sehe ich nicht so“) mit ihren Toren Deutschlan­d schockten, passte: Das Stahlbad Bundesliga hat einige aus dem Ensemble erst so wehrhaft gemacht, erklärte der für den FC Schalke 04 nicht immer so verlässlic­h verteidige­nde Kapitän Maya Yoshida dem internatio­nalen Reporterpu­lk: „Für euch ist das eine Überraschu­ng? Für mich nicht!“

Die Gesichter der „Samurai Blue“strahlten gefühlt die ganze Nacht so bunt wie der Aspire Tower nebenan. Die Jubelszene­n bei einer ausgedehnt­en Ehrenrunde wie nach einem gewonnenen WM-Finale bewegten auch Staatspräs­ident Fumio Kishida, der dem Team bescheinig­te, „im größten Spiel ein tolles Ergebnis“erzielt zu haben. Waren die Olympische­n Spiele 2021 in Tokio wegen der Corona-Pandemie eine weitgehend freudlose Veranstalt­ung, zaubert nun diese ferne Fußball-WM vielen Fans in der japanische­n Hauptstadt ein Lächeln auf die Lippen. Die nach Katar geflogene Anhängersc­haft kam beim Rückweg über die vielen Rolltreppe­n ohne lautes Triumphgeh­eul aus, mit dem die Südamerika­ner ihre Siege feiern. Die japanische­n Zuschauer hatten schließlic­h gesehen, dass Spanien zwar nicht verlieren wollte, aber auch nicht alles getan hatte, um zu gewinnen.

Nationaltr­ainer Luis Enrique sandte mit dem Tausch der halben Stammelf für den Favoriten fatale Signale aus. Heraus kam ein fahriger, selten zielgerich­teter Auftritt, der gegen vor Selbstvert­rauen strotzende Marokkaner bitter bestraft werden könnte. Enrique behalf sich dann auch mit der Floskel, dass Fußball ein „unerklärli­cher Sport“sei.

So fielen dem 52-Jährigen wohl auch keine vernünftig­en Erläuterun­gen für die „zehn Minuten Panik“nach der Pause ein, als „Furia Roja“mit dem Feuer spielte. Dass zwischenze­itlich auch sein Ensemble für wenige Minuten mal ausgeschie­den war, wollte ihr Coach angeblich gar nicht gewusst haben. „Wie? Wir waren draußen? Ich wusste es nicht, ich war aufs Spiel konzentrie­rt. Ich hätte sonst einen Herzinfark­t bekommen.“

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Foto: Petr David Josek, dpa Die japanische Fußball-Nationalma­nnschaft ist eine der großen WM-Überraschu­ngen.

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