Hausarztpraxen kurz vor dem Kollaps
Der Kreis Dillingen ist, was Hausarztpraxen betrifft, offiziell ausreichend versorgt. Die Hausärzte können das nicht verstehen, sprechen von „Pfusch“und sehen das System kurz vor dem Zusammenbruch.
Landkreis Dillingen Der Hilferuf von Hausärzten, die sich an unsere Redaktion gewandt haben, ist eindringlich. „Die medizinische Versorgung auf dem Land ist keine Selbstverständlichkeit mehr.“Das ist das Urteil, das drei Ärzte stellvertretend für ihre Berufskollegen aus dem Kreis gefällt haben. Appelle von Landtagsabgeordneten, vom Kreisvorsitzenden des Gemeindetags, vom Ex-Landrat: Sie alle haben nicht gefruchtet. Die Berichte aus den Praxen im Kreis werden derweil immer dramatischer.
Hilferufe wurden bereits an die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB), das Bundesgesundheitsministerium und sein bayerisches Pendant gesandt. Eine Resolution an die KVB unterzeichneten 27 Bürgermeister aus dem Kreis und der Landrat. Das war im Juli vergangenen Jahres. Auf eine fundierte Antwort auf die Hilfeschreie warte die Dillinger Ärzteschaft bis heute, informiert das Trio.
Was die Zahl der Hausärzte angeht, ist der Kreis Dillingen regelversorgt. Zumindest laut der Bedarfsplanung des Bundes. Die Hausärzte im Kreis sehen das anders. Die Dillinger Ärzte Alexander Zaune und Rainer Schindler sowie ihr Holzheimer Kollege Michael Stegherr befürchten Schlimmes und sagen: „Wenn es so weitergeht, wird das System brechen.“
Um auf die Misere aufmerksam zu machen, müsse nur auf die Anzahl der Hausärzte im Landkreis geblickt werden, so Zaune. In Dillingen praktizierten allein in vier Hausarztpraxen drei Kolleginnen und Kollegen, die über 70 Jahre alt seien. Im Versorgungsgebiet Lauingen sieht die Lage noch dramatischer aus. Die Gegend, die um Lauingen herum nach Finningen, Gundelfingen und bis ins Bachtal reicht, wurde bereits als „drohend unterversorgt“eingestuft.
Schindler erläutert, dass in den Praxen immer mehr Patienten mit immer mehr Diagnosen anklopfen. Das führe dazu, dass die Wartezeiten immer länger würden. Die Situation in den Praxen beschreiben sie als „angespannt“. Den Unmut der Patientinnen und Patienten bekäme vor allem das medizinische Fachpersonal ab. „Was diese in der Regel weiblichen Mitarbeiterinnen an den Schaltstellen unserer Praxen seitens der Patienten anhören müssen, ist oft unter der Gürtellinie“, beklagen die Ärzte. Hier sei ein Mindestmaß an sozialer Höflichkeit gefragt. Der Ärger der Patienten hat jedoch einen Grund. Denn nicht nur die Wartezeiten in den Praxen verlängern sich, es ist auch extrem schwierig geworden, einen Termin zu bekommen.
In den meisten Hausarztpraxen im Landkreis Dillingen herrsche ein Aufnahmestopp für Patienten, die beispielsweise vorher von verstorbenen Kollegen behandelt wurden – oder von Kollegen, die aus Altersgründen ihre Praxis geschlossen haben, weil kein Nachfolger gefunden werden konnte.
Am Aschberg etwa, wo Stegherr praktiziert, gab es früher sechs Hausärzte. Zwei Praxen sind übrig geblieben. Bei Stegherr kämen sogar Patienten aus dem knapp 15 Kilometer entfernten Offingen in die
Praxis. „Wir haben jeweils bis zu 1300 Patienten pro Arzt und Quartal in den Karteien“, so die drei Mediziner. Normal seien zwischen 800 und 900 Menschen.
Die Lage habe jedoch auch Auswirkungen auf die Qualität der medizinischen Versorgung. Der dauernde Zeitdruck im Umgang mit den Patienten gehe an die körperliche und psychische Substanz, sagt Stegherr und fügt hinzu, so könne er irgendwann keinem Patienten mehr gerecht werden. Sein Dillinger Kollege Schindler beklagt zudem die langen Wartezeiten bei den Fachärzten.
„Bei Wartezeiten von bis zu neun Monaten müssen wir als Hausärzte die Therapie so recht und schlecht fortsetzen.“Doch es komme vor, dass er bei manchen Krankheitsverläufen auch irgendwann nicht mehr weiterwisse. „Doch wir müssen die Menschen behandeln, das verlangt unser Berufsethos.“Die Bedarfsplanung für Fachärzte richtet sich nach einem größeren Radius und geht über den Kreis Dillingen hinaus. Doch auch hier sehen die Allgemeinmediziner
eine klare Fehlplanung. Die drei Mediziner nehmen kein Blatt vor den Mund, sprechen über Pfusch bei der Digitalisierung in den Praxen oder von Arroganz seitens der Politik, die die Notlage einfach nicht sehen wolle. Diese Notlage betreffe jedoch das gesamte Gesundheitswesen und nicht nur die Hausarztpraxen. „In Krankenhäusern schließen jedoch Stationen, weil das Fachpersonal fehlt, ebenso in Pflege- und Seniorenheimen. Mit dem Älterwerden der Menschen nehmen auch die Krankheiten zu.“Sie benötigen alle medizinische und pflegerische Betreuung, doch von wem? „Die Pflege ist ebenfalls am Ende“, so die drei Mediziner und eine Besserung sei nicht in Sicht. Und auch in Zukunft sehe es düster aus, so die Ärzte. So sei in Deutschland die Zahl der Studienplätze für Medizin vor der Wende von 16.000 auf 11.000 gekürzt worden. Viele der Absolventen wollten zudem lieber in den Ballungszentren arbeiten, denn der Job als Landarzt werde noch immer als wenig attraktiv angesehen.