Donau Zeitung

Die Moral ist rund

One Love – alles gut? Damit der Fußball endlich die Welt heilen kann: Eine Gegenbewer­bung für das Amt des Fifa-Präsidente­n. Am besten aus Deutschlan­d. Denn nirgends scheinen Ballsport und Gewissen zugleich so zu Hause.

- Von Wolfgang Schütz

Womöglich steckt die Lösung für das Dilemma der Welt und des Fußballs, das sich aktuell an der Weltmeiste­rschaft in Katar und damit im Herzen der Fernseh-LiveWirkli­chkeit zeigt, im bis heute größten Spiel aller Zeiten. Es fand vor 50 Jahren statt. Und es hätte keinen besseren Ort dafür geben können als jenen, der kurz darauf erstmals WM-Hort wurde, später wieder, als „Die Welt zu Gast bei Freunden“war, und inzwischen auch noch mit einer Arena aufwarten kann, die diversität­sfreudigst in Regenbogen­farben zu erstrahlen vermag: München. Die Lösung also könnte aus Deutschlan­d kommen. Aber zunächst muss man ja das Problem verstehen. Also:

Liebe Freundinne­n und Freunde des Fußballs, werte Verächteri­nnen und Verächter seiner aktuellen Ausprägung, es geht um viel. Ja, um alles. Um nicht weniger nämlich als die Widerlegun­g einer doch eigentlich zeitlos scheinende­n Wahrheit, in Worte gegossen vom Rasenball-Philosophe­n Adi Preißler in den Fuffzigern. „Grau is’ im Leben alle Theorie, aber entscheide­nd is’ auf ’m Platz“– vulgo: „Die Wahrheit is auf ’m Platz.“Is’ sie nämlich nicht. Wenn die Katar-WM etwas zeigt, dann doch das. Der längst nicht mehr lederne Ball mag noch in der aktuellen High-Tech-Variante rund sein und ins Eckige gezirkelt sein – aber mit dem ganzen Rest ist es eben komplizier­t. Die Theorie aber ist dafür nicht mehr grau, sondern schwarz und weiß.

Liebe Freundinne­n und Freunde des Fußballs, werte Verächteri­nnen und Verächter seiner aktuellen Ausprägung, Sie wissen schon: die Milliarden – und die Moral. Wie soll daraus je wieder eine runde Sache werden? Wer sich als Gegenkandi­dat bei der fälligen Wahl des Fifa-Chefs im kommenden Frühling bewirbt gegen den infamen Infanten, der regiert, scheint darauf eine Antwort finden zu müssen meint. Quasi: Ich habe einen Traum! Ich habe einen Traum, dass eines Tages jedes Tal erhöht und jeder Hügel und Berg erniedrigt werden. Die unebenen Plätze werden flach und die gewundenen Plätze gerade…

„One Love“: Als hätte der Fußball heute nötig, was Martin Luther King damals der Welt verhieß. 1963, als er das tat, war übrigens gerade Brasilien Fußballwel­tmeister, gekrönt in einem Turnier, das samt Attacken und Anarchie bis heute als das härteste, unfairste und hässlichst­e aller Zeiten gelten kann. Aber egal. Irgendwie galt ja noch das Preißler’sche Diktum.

Inzwischen aber is’ die Wahrheit und der Anspruch darauf eben vor allem auch neben dem Platz, auf den Presse- und Ehrentribü­nen, wo Armbinden mit Botschafte­n

zur Schau getragen werden, die auf dem Platz gerade nicht in Erscheinun­g treten dürfen. Damit ist auch der Fußball endgültig in der medialen Moderne angekommen, in der nichts mehr als das erscheint, was es ist – sondern vor allem sich in Inszenieru­ng und behauptete­r Bedeutung erzeugt. Und ist dadurch nur noch größer geworden. Im hochkapita­lisierten Weltfußbal­l-Event samt dem Gewese um ihn herum bildet sich einerseits die herrschend­e Weltunordn­ung besser ab als je zuvor – und zugleich wird in den moralische­n Forderunge­n, die sich an ihn richten, das umso verzweifel­tere Bedürfnis nach klarer Ordnung offenkundi­g.

Es ist die größte Bühne der beliebtest­en Sportart, die doch im Grund ein einfaches Spiel ist: Da muss sich doch in Schwarz und Weiß zeigen, was gut und böse ist, da muss die Welt doch moderierba­r sein wie ein solches Spiel, zur Detail-Entscheidu­ng höchstens noch ein Video Assistant Referee vonnöten! Aber der Fußball ist längst wie andere Global Player von Apple bis zur katholisch­en Kirche. Vielleicht tönt noch Weltverbes­serungspat­hos von der Spitze – und bestenfall­s zeigt das auf die Marke, so es denn glaubwürdi­g ist in Inszenieru­ng und behauptete­r Bedeutung. Also ließe sich doch sagen: Wer tritt derzeit weltweit mit größerem moralische­n Impetus in der Welt auf als Deutschlan­d? Wo wird sonst noch so sehr durch Schwarz–Weiß-Kommentato­ren die Moral-Kompetenz kritisch befragt und trainiert? Woher sollte also der passendere neue Fifa-Chef kommen, oder noch besser: die Chefin?

Liebe Freundinne­n und Freunde des Fußballs, werte Verächteri­nnen und Verächter seiner aktuellen Ausprägung, verehrte Träumende aller Geschlecht­er von einer besseren, einer letztlich besten aller möglichen Welten, ein Programm findet sich dazu schnell: Nicht nur Bewerbunge­n von Austragung­sorten werden künftig neben der zum gemeinnütz­igen Verein verwandelt­en Fifa von Amnesty, Transparen­cy Internatio­nal und Human Rights Watch beurteilt – auch die teilnehmen­den Mannschaft­en bekommen je nach Moral-Fortschrit­t im Land seit der letzten WM einen Fairness-Koeffizien­ten, mit dem die erzielten Tore zum endgültige­n Ergebnis multiplizi­ert werden (eventuell zu überlegen: eine Zusammenle­gung mit der FrauenWM und ein Querverrec­hnen der Resultate zu einem Ergebnis). Die teils martialisc­hen Nationalhy­mnen werden abgeschaff­t, dafür wird „One“von U2 oder „Heal The World“von Michael Jackson in die Welthilfss­prache Volapük übersetzt gemeinsam gesungen … Nicht, dass das alles je als Wahrheit tatsächlic­h zurück auf ’n Platz käme (dazu müsste wohl eine eigene FifaWM-Insel irgendwo gebaut werden, ähnlich dem Reichen-Projekt ProSpera oder dem Vatikan, aber halt inzestuös problemati­sch). Es ginge ja bloß um die erweiterte Wahrheit in der Ziel-Inszenieru­ng und dann der realpoliti­schen ohnehin zeitgemäße­n Mängel-Kommunikat­ion. Oder, liebe Freundinne­n und Freunde…: Genügt die Wahl des relativ offenbar geringeren Übels zuvor, einer gekauften WM in Deutschlan­d, einer in Russland?

Im größten Spiel aller Zeiten standen sich 1972 Deutschlan­d und Griechenla­nd im Grünwalder Stadion gegenüber. In Szene gesetzt von den britischen Satiriker von Monty Python’s. Ein Spiel der Philosophe­n, bei den Deutschen samt Kant und Hegel und Heidegger, bei den Griechen samt Platon und Aristotele­s und Epikur. In dem bis zur 90. Minute nichts passiert (außer einer Gelben Karte für Nietzsche), der Ball auf dem Anstoßpunk­t liegen bleibt, weil alle mit Debattiere­n und Nachdenken beschäftig­t sind. Um wohl die tatsächlic­he Komplexitä­t von Spiel und Wahrheit und Moral zu erfassen? Wenn das je auf ’n Platz käme, die Welt innehielte, sich besönne, wäre wohl einzig möglich, was hülfe: ein Neuanfang. Bloß nutzte wohl, wie im Sketch dann Sokrates in der 90. Minute, sicher irgendeine­r, die Gesetze des Milliarden­spiels erkennend („Heureka!“), zum Ball und netzte, rund in eckig, das nächste Geschäft ein.

 ?? Foto: Stefan Matz0,ke, dpa ?? Symbolträc­htig unharmonis­ch bei der WM in Katar: Fifa-Chef Infantino und die deutsche Innenminis­terin Faeser mit der von ihm unerwünsch­ten „One Love“-Armbinde.
Foto: Stefan Matz0,ke, dpa Symbolträc­htig unharmonis­ch bei der WM in Katar: Fifa-Chef Infantino und die deutsche Innenminis­terin Faeser mit der von ihm unerwünsch­ten „One Love“-Armbinde.

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