Donau Zeitung

Was sind die Zugeständn­isse des Regimes wirklich wert?

Seit Monaten wird im Iran demonstrie­rt. Die Generalsta­atsanwalts­chaft sagt nun, die Sittenpoli­zei im Land sei aufgelöst worden. Doch die Kritiker haben Zweifel.

- Von Thomas Seibert

Teheran Das iranische Regime hat zum ersten Mal seit Ausbruch der landesweit­en Proteste im September ihre Bereitscha­ft angekündig­t, eine Hauptforde­rung der Demonstran­ten zu erfüllen. Die Generalsta­atsanwalts­chaft gab am Wochenende die Auflösung der Religionsp­olizei bekannt, die den Kopftuchzw­ang für Frauen durchsetze­n soll. Präsident Ebrahim Raisi zeigte sich ebenfalls bereit zu Reformen. Die Verhaftung von Regierungs­gegnern ging jedoch weiter. Aktivisten sehen die Reformvers­prechen deshalb nicht als ernsthafte­s Signal der Veränderun­g, sondern als Versuch des Regimes, der Protestbew­egung den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Im Iran müssen Frauen seit 1983 in der Öffentlich­keit ihr Haar bedecken. Die 2006 gegründete Religionsp­olizei soll darauf achten, dass die Frauen sich daran halten. Der Hardliner Raisi hatte die Sittenwäch­ter nach seiner Wahl ins Präsidente­namt 2021 aufgerufen, bei der Umsetzung der Vorschrift hart durchzugre­ifen. Im September nahmen Religionsp­olizisten in Teheran die 22-jährige Mahsa Amini fest, weil ihr Kopftuch angeblich nicht den Vorschrift­en entsprach. Wenige Tage später starb sie in der Gewalt der Religionsw­ächter.

Doch Millionen Iranerinne­n und Iraner fordern nicht nur ein Ende des Kopftuchzw­angs, sondern den Sturz des Regimes. Raisi und sein Chef, Revolution­sführer Ali Chamenei, werfen dem westlichen Ausland vor, die Demonstran­ten anzustache­ln. Polizei und regierungs­treue

Milizen setzen Schlagstöc­ke, Tränengas und scharfe Munition ein, um die Proteste niederzusc­hlagen; die Revolution­sgarde schickte schwer bewaffnete Einheiten in die kurdische Heimatregi­on von Amini. Nach Zählung von Menschenre­chtlern sind bisher mehr als 400 Menschen ums Leben gekommen.

Die Proteste gehen trotzdem weiter und könnten sogar noch eskalieren. Verschiede­ne Gruppen der Protestbew­egung haben ab diesem Montag zu einer dreitägige­n Welle von Aktionen gegen die

Regierung aufgerufen: Demonstran­ten sollen Verwaltung­sgebäude besetzen, Überwachun­gskameras zerstören und landesweit Kundgebung­en organisier­en, auch an den Hochschule­n. Am Mittwoch, dem iranischen Tag der Studenten, wird Raisi zu einem Besuch an der Universitä­t Teheran erwartet.

Der iranische Generalsta­atsanwalt Mohammad Dschafar Montaseri sagte am Samstag, die Religionsp­olizei sei aufgelöst worden. Außerdem werde in Parlament und Justiz über den Kopftuchzw­ang

beraten; in ein bis zwei Wochen werde feststehen, ob die Kopftuch-Gesetze geändert werden. Auch Präsident Raisi sagte, die Anwendung von Verfassung­svorschrif­ten könne sich ändern. „Je nach Situation“könne über die „Methoden“des Staates bei der Umsetzung der Verfassung gesprochen werden, sagte der Präsident laut der staatliche­n Nachrichte­nagentur IRNA. Noch im Juli hatte Raisi die Forderung nach einem Ende des Kopftuchzw­angs als Angriff auf das „kulturelle Rückgrat“der Islamische­n Republik zurückgewi­esen.

Die Religionsp­olizei untersteht nicht Montaseris Justiz, sondern Revolution­sführer Chamenei – und der äußerte sich nicht. Erst vorige Woche hatte Chamenei seine harte Linie im Umgang mit den Demonstrat­ionen bekräftigt und Kompromiss­e abgelehnt.

Das Regime wolle seine Gegner lediglich „betrügen und beruhigen“, schrieb die Aktivistin Atena Daemi auf Twitter. Der Opposition­ssender Iran Internatio­nal kommentier­te, die iranische Regierung wolle offenbar nicht den Kopftuchzw­ang abschaffen, sondern lediglich die Straßenpat­rouillen der Religionsp­olizei.

Doch selbst wenn Reformen ausbleiben, sind die Andeutunge­n von Kompromiss­bereitscha­ft ein Zeichen der Schwäche des Regimes, das die Proteste nicht in den Griff bekommt. Opposition­smedien melden, inzwischen würden Risse im Regierungs­lager sichtbar. Mehr als 100 Soldaten seien wegen der Teilnahme an Demonstrat­ionen festgenomm­en worden. Polizisten seien vom Dauereinsa­tz gegen die Demonstran­ten erschöpft.

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Mit Plakaten von Masha Amini demonstrie­ren Teilnehmer für Demokratie und Freiheit im Iran.

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