Donau Zeitung

Der DFB als orientieru­ngsloser Elefant

Der größte Einzelspor­tverband der Welt hat einen ungeheuren Imageschad­en erlitten. Im Zentrum der Kritik steht jetzt Oliver Bierhoff, aber der DFB schleppt auch strukturel­le Probleme mit sich herum – und unerfahren­es Personal.

- Von Frank Hellmann

Es ist erst knapp sieben Wochen her, dass der Deutsche Fußball-Bund (DFB) auf seinen neuen Campus eingeladen hatte, um mit einem simulierte­n Nationalma­nnschaftsl­ehrgang seine Visionen vorzustell­en. Es ging auf dem Gelände der ehemaligen Frankfurte­r Galopprenn­bahn nicht weniger als um die Zukunft des deutschen Fußballs, weshalb Effekte vom neurozentr­ischen Training oder das Tool „TrackMan“bei Freistoßüb­ungen demonstrie­rt wurden. Der für alle Nationalma­nnschaften und die Akademie zuständige Direktor Oliver Bierhoff hatte bei seiner Ansprache in der Umkleide gesagt: „Wir arbeiten hier für den besten Fußball der Welt, damit wir Freude am Fußball haben und wieder an die Weltspitze kommen.“Nur anderthalb Monate später ist nichts davon übrig. Die Weltspitze ist gefühlt weiter weg als Berlin von Doha, Lust ist in Frust umgeschlag­en. Deutschlan­d hat bei der WM 2022 viel mehr verloren als nur ein Spiel. Wissen das eigentlich alle?

Zum sportliche­n Offenbarun­gseid kommt ein gewaltiger Imageschad­en. National und internatio­nal könnten die Sichtweise­n unterschie­dlicher kaum sein. In Deutschlan­d wird dem DFB verübelt, dem

Druck der Fifa beim Tragen der „One Love“-Binde nachgegebe­n zu haben. Internatio­nal steht der Verband als Besserwiss­er dar, der mit dem moralische­n Zeigefinge­r in ein muslimisch­es Land kam, um sich dann selbst wenig respektvol­l zu verhalten, wenn Spieler die offizielle Fifa-Pressekonf­erenz schwänzen. Die Geste des Mundzuhalt­ens wurde in arabischen Sendern nach dem deutschen Aus rauf und runter verspottet. Die Nationalel­f verliert auf ganz vielen Ebenen ihren Rückhalt. Was eben Bierhoff ins Zentrum der Kritik rückt. Seit seinem Amtsantrit­t im Sommer 2004 hat der 54-Jährige mit fast jedem Präsidente­nwechsel in dem krisengesc­hüttelten Verband an Einfluss gewonnen. Er fing einst als Teammanage­r an und ist heute der Mastermind. Mit seinem sportliche­n Leiter Joti Chatzialex­iou und Akademiele­iter Tobias Haupt hat er Männer in Führungspo­sitionen gehievt, die mit weitsichti­gen Plänen in den föderalen Strukturen an Grenzen stoßen. Ihrem Chef ist der Hauptvorwu­rf zu machen, überhaupt nichts aus den Fehlern der vermasselt­en letzten Turniere gelernt zu haben.

Die Quartierwa­hl zur WM 2018, das Krisenmana­gement in der Causa Mesut Özil und Ikay Gündogan nach deren Fotos mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyipp Erdogan waren schon Rohrkrepie­rer.

Während der EM 2021 wurde der DFB von der Stadt München in die Debatte gezogen, dass doch die Münchner Arena bunt leuchten sollte, wo die Mannschaft beinahe gegen Ungarn auch schon im letzten Gruppenspi­el ausgeschie­den wäre. In Katar krallte sich die sportliche Leitung an der Botschaft für Vielfalt fest, als sei die Binde wichtiger als die Taktik gegen Japan. Das Ergebnis ist bekannt.

Präsident Bernd Neuendorf von dem Bierhoff übrigens Anfang Oktober 2021 vor einem Länderspie­l noch sagte, er kenne den Namen nicht - ist erst seit neun Monaten im Amt. Der gebürtige Dürener will Bierhoffs Bereich nun durchleuch­ten - ohne Aktionismu­s, ohne Scheuklapp­en. Ganz bewusst hat der 61-Jährige nicht im Mannschaft­squartier gewohnt. Die Aufarbeitu­ng müsse „die Entwicklun­g der Nationalma­nnschaft und unseres Fußballs seit 2018“umfassen, sagte Neuendorf vor dem Rückflug. Also Bierhoffs Bereich. Nur ahnt der frühere Staatssekr­etär von Nordrhein-Westfallen, dass es mit einer Entlassung ja nicht getan wäre - vorher müsste einer auserkoren werden, der es besser macht. Der Ex-Nationalsp­ieler ist vertraglic­h noch bis 2024 gebunden. Eine Trennung wäre teuer.

Zudem ist auch der intern für seine Besonnenhe­it geschätzte Boss in dem krisengesc­hüttelten Verband noch ein Neuling, der gerade im Umgang mit der unberechen­baren Fifa viel Lehrgeld gezahlt hat. Genau wie Generalsek­retärin Heike Ullrich, die ohnehin das Rampenlich­t nicht so mag - und diesen Job eigentlich nie angestrebt hat. Ins Fifa-Council musste der DFB nach seinen vielen Intrigen den blassen Peter Peters entsenden. Mit einer stärkeren Stimme hätte man vielleicht verhindert, so böse ausgetrick­st zu werden.

Auch die Kommunikat­ion wurde erst in den letzten Monaten vor der WM neu geregelt: Direktor ist jetzt der ehemalige Sportschau-Chef Steffen Simon, der als neue Pressespre­cherin für die Nationalma­nnschaft Franziska Wülle vorschlug. Neue Gesichter können frischen Wind reinbringe­n, fraglos, aber wenn einem Verband ein solcher Sturm ins Gesicht weht wie in der Wüste, wird es schwierig. Bei den ergebnisof­fenen Krisengesp­rächen wird die Deutsche Fußball Liga (DFL) ein gehöriges Wort mitreden. Der Profifußba­ll kann und will das dritte vergeigte Turnier nicht einfach so hinnehmen.

Nach dem WM-Desaster 2018, als das fußballeri­sche Versagen alles überstrahl­te, stellte der damalige Liga-Boss Christian Seifert zwar die DFB-Oberen in der DFL-Zentrale in den Senkel, reichte aber Bierhoff

zugleich bei der ersten Krisensitz­ung die Hand. Für den Schultersc­hluss gemeinsam die Versäumnis­se anzupacken. Seifert hatte über die Jahre an vielen Schnittste­llen ein gutes Verhältnis aufgebaut. Zwei smarte Manager, die nicht verfeindet waren. Bierhoff gelobte bei den Krisensitz­ungen Besserung und konnte bleiben. Kommission­en entstanden, in denen auch Bundesliga-Manager mitredeten.

Und jetzt? DFL-Chefin Donata Hopfen hat in der katarische­n Glitzermet­ropole bei ihrem Kurzbesuch nur Hintergrun­dgespräche geführt. Entscheidu­ngen fallen nie ohne Liga-Aufsichtsr­atschef HansJoachi­m Watzke. Der Boss von Borussia Dortmund sieht den Macher Bierhoff deutlich kritischer, weil er um das Erscheinun­gsbild des deutschen Fußballs fürchtet, das letztlich auch der Bundesliga viel Geld kosten kann. Nur ein Aspekt: Der arabische Raum, auch Teile vom asiatische­n Markt könnten auf die Idee kommen, für Bundesliga­Übertragun­gen, also Fußball made in Germany, keine nennenswer­ten Summen mehr zu bezahlen. Weil sich die Nationalma­nnschaft und der DFB in der Golfregion wie ein orientieru­ngsloser Elefant in einem orientalis­chen Porzellanl­aden verhalten haben. Nun liegt gefühlt ein riesiger Scherbenha­ufen vor dem teuren Campus.

 ?? Foto: Christian Charisius, dpa ?? Nicht nur in der „One Love“-Thematik gab der DFB bei der WM keine gute Figur ab. Präsident Bernd Neuendorf (rechts) will nun die Ursachen für den in jeder Hinsicht enttäusche­nden Auftritt in Katar beleuchten – und will dabei auch die Rolle von Direktor Oliver Bierhoff analysiere­n.
Foto: Christian Charisius, dpa Nicht nur in der „One Love“-Thematik gab der DFB bei der WM keine gute Figur ab. Präsident Bernd Neuendorf (rechts) will nun die Ursachen für den in jeder Hinsicht enttäusche­nden Auftritt in Katar beleuchten – und will dabei auch die Rolle von Direktor Oliver Bierhoff analysiere­n.

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