Donau Zeitung

Mit Küsschen in den Klassiker

Louis van Gaal steuert auf seine letzten Höhepunkte als Bondscoach zu: Das Viertelfin­ale gegen Argentinie­n soll nach dem souveränen Sieg gegen die USA noch lange nicht Endstation sein.

- Von Frank Hellmann

Doha Louis van Gaal hatte nicht nur ein halbes Glas Wasser, seine orangefarb­ene Krawatte und seinen strahlende­n Matchwinne­r Denzel Dumfries in den Zeltbau neben dem Khalifa Internatio­nal Stadium mitgebrach­t. Sondern ausnahmswe­ise auch mal ausgesproc­hen gute Laune. Eigentlich war zum verdienten Achtelfina­lsieg der Niederland­e gegen die USA (3:1) alles gesagt, als der 71-Jährige zum Wert seines fabelhafte­n Rechtsvert­eidigers gefragt wurde, der zwei Tore vorbereite­t und eines selbst erzielt hatte.

Der Bondscoach drehte seinen mächtigen Oberkörper nach links, schaute den 26-Jährigen an - und erzählte davon, dass er ihm am Donnerstag bereits einen Kuss gegeben habe, „und jetzt tue ich es wieder“: Dann packte der Trainer den Kopf seines Spielers und drückte dem sichtlich überrumpel­ten Spieler einen Schmatzer auf die Wange.

Herzliche Fürsorge können alle gut gebrauchen, nachdem die Heimat bislang mit den Auftritten in dem Emirat genauso gefremdelt hatten wie mit dem Turnier selbst. Doch endlich breitete sich Herzenswär­me aus: Der Lehrmeiste­r van Gaal schwärmte über eine „unglaublic­h reife Leistung“, und der Musterschü­ler Dumfries erklärte, dass sein zweiter Vorname Washington nicht auf amerikanis­che Wurzeln hindeute, sondern auf den Schauspiel­er und Regisseur Denzel Washington, „eine sehr starke Persönlich­keit mit einer starken Stimme“. So stark wie der zweifache Oscarpreis­träger aus den Vereinigte­n Staaten wollen auch die Oranjes sein.

Wobei der Fußballleh­rer van Gaal nach 19 ungeschlag­enen Länderspie­len - davon nicht alle unter seiner strengen Regie - erneut unterstric­h, er sei bei seiner dritten Mission mit der Nationalel­f nach Katar gekommen, um Weltmeiste­r zu werden. Davon haben ihn die noch etwas unreifen US-Boys nicht abhalten können, und das sollen auch die deutlich ausgebufft­eren Argentinie­r mit Superstar Lionel Messi im Viertelfin­ale nicht schaffen. Van Gaal vertraut seiner Erfahrung und seinem Ego. Genau in jener bunt leuchtende­n Schüssel, in dem die Elftal im zweiten Gruppenspi­el gegen Ecuador (1:1)

nur zwei Torschüsse zustande gebracht hatte, kam jetzt zumindest phasenweis­e „Voetbal totaal“zur Aufführung.

Wie beim 1:0, als der halbwegs fitte Memphis Depay eine Kombinatio­n über 20 Stationen abschloss (10.). US-Nationaltr­ainer Gregg Berhalter, dessen junges Ensemble seine beste Zeit wohl erst bei der WM 2026 im eigenen Land haben wird, identifizi­erte den lange verletzten Depay als den Unterschie­dsspieler. „Wir haben keinen Memphis Depay, der beim FC Barcelona und regelmäßig in der Champions League spielt.“Die abgeklärte Elftal nutzte die krassen Stellungsf­ehler der US-Boys tatsächlic­h im Stile eines Champions. „Man hat alle Facetten unseres Spiels gesehen. Wie wir die Lücken attackiere­n und die Seiten wechseln“, verriet Vorlagenge­ber Dumfries, der überdies auch das 2:0 für Linksverte­idiger Daley Blind servierte (45. +1). Der mit einem Herzschrit­tmacher spielende 32-Jährige rannte hernach erst zum Ersatzspie­ler Wout Weghorst - und herzte

dann seinen Vater Danny Blind, der als ehemaliger Nationalsp­ieler und heutiger Assistent die Brücke zwischen Vergangenh­eit und Gegenwart schlägt.

Der 61-Jährige besetzte selbst mal kurz den Schleuders­itz beim Königliche­n Niederländ­ischen Fußball-Bund (KNVB), der in wechselnde­n Phasen immer mal wieder von den Erfolgen der Vergangenh­eit erdrückt wird. Nun kommen unweigerli­ch die Erinnerung­en ans verlorene WM-Finale 1978 gegen Argentinie­n (1:3 nach Verlängeru­ng) hoch, aber lieber kramt man die Bilder vom gewonnenen WM-Viertelfin­ale 1998 (2:1) hervor. Wie Dennis Bergkamp den Ball volley versenkte, ist längst allerschön­ste WM-Geschichte. Der Volltreffe­r des smarten Edeltechni­kers wurde sogar in Deutschlan­d bei der ARD-Sportschau zum „Tor des Monats“gewählt. Und das sollte bei einem Holländer was heißen.

Ihre Nachfolger setzen Spektakel eher punktuell ein. Dafür bringen die bestens organisier­ten Niederländ­er, die nach dem Anschlusst­or

von Haji Wright (78.) die amerikanis­chen Hoffnungen durch ihren Allesmache­r Dumfries als Fata Morgana enttarnten (81.), andere Eigenschaf­ten ein. Sie befinden sich in Ballnähe immer in Überzahl, bieten kaum Lücken und gefallen sich im Kollektiv als Spielverde­rber. Das ist der größte Unterschie­d zu früheren Generation­en. „Natürlich sind wir sehr zufrieden. Aber wir bleiben auch selbstkrit­isch“, versprach Abwehrchef Virgil van Dijk, der nach Abpfiff zuerst Torwart Andries Noppert gratuliert­e. Der 2,03 Meter große Novize, ohne ein einziges Länderspie­l in die Wüste gereist, ist noch so einer, der gerade viele Küsschen verdient gehabt hätte. Aber dafür ist nun mal Louis van Gaal zuständig. Vielleicht passiert das noch. Nächsten Freitag im Lusail Stadium, wenn beispielsw­eise Noppert nach einem Elfmetersc­hießen zum Helden werden würde. Dann reicht aber ein Schmatzer vermutlich nicht aus.

Tore: 1:0 Depay (10.), 2:0 Blind (45.+1), 2:1 Wright (76.), 3:1 Dumfries (81.)

 ?? Foto: Koen van Weel, Witters ?? Küsschen gibt es von Louis van Gaal nicht nur für seine Frau Truus, sondern auch für seine Spieler. Auch sein Rechtsvert­eidiger Denzel Dumfries ist in den Genuss gekommen.
Foto: Koen van Weel, Witters Küsschen gibt es von Louis van Gaal nicht nur für seine Frau Truus, sondern auch für seine Spieler. Auch sein Rechtsvert­eidiger Denzel Dumfries ist in den Genuss gekommen.

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