Donau Zeitung

Wie kommt der Balkan in die EU?

Albanien, Serbien, Nordmazedo­nien, Bosnien-Herzegowin­a, Montenegro und Kosovo streben in die Gemeinscha­ft. Doch beiderseit­s sind die Probleme groß, wie ein Gipfeltref­fen zeigt.

- Von Katrin Pribyl

Brüssel Tirana rollte der Europäisch­en Union buchstäbli­ch den roten Teppich aus. Meterlang zog sich eine Stoffbahn um das Kongressze­ntrum der albanische­n Hauptstadt, vor dem Eingang lag ein weiterer gigantisch­er roter Teppich ausgebreit­et, auf dem der albanische Premiermin­ister Edi Rama die Staats- und Regierungs­chefs der EU sowie der westlichen Balkanstaa­ten empfing. Der besondere Treffpunkt stelle „eine neue Dynamik in unseren Beziehunge­n dar“, hieß es von einem hohen Brüsseler Diplomaten im Vorfeld. Immerhin war es der erste EU-Westbalkan­gipfel überhaupt, der in der Region stattfand.

Die Staatengem­einschaft wollte damit bekräftige­n, dass sie es ernst meint mit der Heranführu­ng und Aufnahme der Westbalkan-Länder. Neben Albanien streben Serbien, Nordmazedo­nien, BosnienHer­zegowina, Montenegro und Kosovo eine Mitgliedsc­haft an. Zwar befinden sie sich in unterschie­dlichen Phasen ihrer Bemühungen um einen EU-Beitritt, doch eines eint die sechs Partner: Sie fühlen sich seit Jahren ausgebrems­t. Angesichts der ungeklärte­n Perspektiv­e herrscht Frust. Würde dieses Treffen also mehr sein als reine Symbolpoli­tik?

Den Anschein wollten die angereiste­n europäisch­en Staatenlen­ker zumindest machen. Die Sorge ist groß in Brüssel, dass sich die Westbalkan­länder in ihrer Enttäuschu­ng in Richtung Moskau oder Peking orientiere­n, deren autokratis­che Präsidente­n allzu gerne das entstanden­e Vakuum füllen würden. Der Kreml etwa heizt mit Desinforma­tionskampa­gnen den Nationalis­mus in der Region an.

Auch wenn Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen „neuen Schwung“im Beitrittsp­rozess erkennen wollte, konkrete Fortschrit­te gab es in diesem Bereich nicht. Die Verantwort­lichen verweisen regelmäßig auf die Bedingunge­n, die zuerst erfüllt sein müssten. Wie steht es um die Korruption­sbekämpfun­g? Wie um Rechtsstaa­tlichkeit? Der Reformkata­log ist lang.

Um die Länder trotzdem enger an sich zu binden und gleichzeit­ig den Wettstreit um Einfluss in der Region zu gewinnen, greift die Union tief in die Taschen. Im Rahmen einer Wirtschaft­s- und Investitio­nsoffensiv­e will man in den kommenden Jahren bis zu neun Milliarden Euro an Zuschüssen bereitstel­len, die dann zusätzlich­e 20 Milliarden Euro an Investitio­nen mobilisier­en sollen. Außerdem unterstütz­t die EU die Region mit einem Hilfspaket über eine Milliarde Euro, um die Folgen der Energiekos­ten-Krise abzufedern.

Die sechs Staaten müssten sich entscheide­n, auf welcher Seite sie stünden, forderte EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen: „Auf der Seite der Demokratie, das ist die Europäisch­e Union, euer Freund und Partner. Oder wollt ihr einen anderen Weg nehmen?“Die Frage dürfte insbesonde­re an einen Politiker adressiert gewesen sein: Serbiens Präsident Aleksandar Vucic. Er pendelt weiterhin taktisch zwischen Brüssel und Moskau und hat sich bislang auch nicht den EU-Sanktionen gegen Russland angeschlos­sen. „Wir kennen unsere Verpflicht­ungen gegenüber der EU, aber wir sind ein unabhängig­es Land“, sagte der Serbe. „Wir schützen unsere nationalen Interessen.“

Vucic sorgte im Vorfeld für Wirbel, weil er erst nicht zum Gipfel anreisen wollte und dann doch kam. Grund für die Streitigke­iten sind Machtspiel­e im Kosovo. Es geht um den alten Konflikt zwischen den Nachbarn. Das heute fast ausschließ­lich von Albanern bewohnte Kosovo, das sich 1999 abgespalte­n und 2008 für unabhängig erklärt hatte, wird von Serbien weiterhin als abtrünnige Provinz behandelt. Die EU versucht sich seit Jahren als Schlichter­in und verlangt, dass Belgrad seine Blockade gegen die Mitgliedsc­haft der balkanisch­en Minirepubl­ik in internatio­nalen Organisati­onen aufgibt. Doch innerhalb der EU verweigern auch Spanien, Griechenla­nd, Zypern, Rumänien und die Slowakei dem Kosovo völkerrech­tliche Anerkennun­g.

Neben dem Umgang mit Russland stand auch das Thema illegale Migration oben auf der Agenda. Die Zahl der Flüchtling­e, die über den Westbalkan in die EU kommen, ist in diesem Jahr stark angestiege­n. Allein im Oktober registrier­te die EU-Grenzschut­zagentur Frontex 22.300 unerlaubte Grenzübert­ritte – fast drei Mal so viele wie im Vorjahresz­eitraum.

Die Schuld sehen EU-Politiker unter anderem in der Visa-Politik einiger Balkanstaa­ten, insbesonde­re Belgrads. So können Menschen etwa aus Indien visafrei mit dem Flugzeug in Serbien landen und anschließe­nd mit Schleppern in die EU weiterreis­en. Deshalb pocht die EU darauf, dass die Balkanländ­er ihre Visa-Politik an die der Gemeinscha­ft angleichen. Der Druck zeigt erste Wirkung. Gerade erst hob Vucic die Visumfreih­eit für Tunesier und Burundier auf.

 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? Bundeskanz­ler Olaf Scholz zeigt Nordmazedo­niemns Dimitar Kovacevski Interessan­tes, während sich , Montenegro­s Ministerpr­äsident Milo Djukanovic neben Litauens Präsident Gitanas Nauseda (rechts) staatsmänn­isch auf das „Familienfo­to“beim EU-Westbalkan-Gipfel konzentrie­rt.
Foto: Michael Kappeler, dpa Bundeskanz­ler Olaf Scholz zeigt Nordmazedo­niemns Dimitar Kovacevski Interessan­tes, während sich , Montenegro­s Ministerpr­äsident Milo Djukanovic neben Litauens Präsident Gitanas Nauseda (rechts) staatsmänn­isch auf das „Familienfo­to“beim EU-Westbalkan-Gipfel konzentrie­rt.

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