Wer sind die Köpfe des Terrornetzwerks?
Ein 71-jähriger Prinz, eine ehemalige Bundestagsabgeordnete und ein Mann, der für das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr arbeitete. Diese Leute sollen den Umsturz in Deutschland geplant haben.
Frankfurt Heinrich XIII. Prinz Reuß entspricht nicht gerade dem Bild, das man vom Boss eines international agierenden Terrornetzwerks zeichnen würde. Tweed-Sakko, Cordhose, Halstuch, die im Nacken gelockten, grauen Haare nach hinten gekämmt – der Mann, den vermummte Polizisten am Mittwochvormittag in einem gediegenen Frankfurter Viertel in Handschellen abführen, wirkt eher wie ein älterer Herr, der im Ohrensessel Zeitung liest, als wie einer, der einen Umsturz plant. Doch genau das wird dem Adeligen aus Hessen angelastet. Der 71-jährige Unternehmer soll der Anführer einer rechtsextremistischen Vereinigung sein, die den Bundestag stürmen, einen Aufruhr anzetteln, die Regierung stürzen und einen neuen deutschen Regenten installieren wollte: nämlich ihn selbst.
Was wie eine völlig groteske Geschichte klingen mag, entspringt der Ideologie der ReichsbürgerSzene, die Deutschland nicht als souveränen Staat anerkennt und den Kaiser für den letzten legitimen Herrscher hält. Doch das Netzwerk, das am Mittwoch mit Razzien in elf Bundesländern sowie in Italien und Österreich aufgeflogen ist, beließ es nicht bei Putsch-Fantasien, sondern erarbeitete nach bisherigem Stand der Ermittlungen generalstabsmäßig Pläne für den Umsturz und die Zeit danach – samt Regierung und eigener Armee. Die Bundesanwaltschaft hat keinen Zweifel: Die terroristische Vereinigung hätte für ihre Ziele auch Tote in Kauf genommen.
Der Sturm auf das Kapitol in Washington diente als Vorbild. Und die Akteurinnen und Akteure der seit Monaten vorbereiteten Operation waren längst nicht nur durchgeknallte Reichsbürger, die sich eigene Ausweise basteln. Neben dem mutmaßlichen Rädelsführer im Tweed-Sakko stehen unter anderem eine Richterin, die für die AfD im Bundestag saß, ein ehemaliger Polizist, frühere Soldaten und ein Mitglied im Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr unter Verdacht. Ein Mann aus Bayern, dessen Spur auch nach
Schwaben führt, soll als rechte Hand von Heinrich XIII. Prinz Reuß, fungiert haben, wie Innenminister Joachim Herrmann am Mittwoch bestätigte. Bei der Großrazzia sollen allein im Freistaat 26 Objekte von 15 Besitzern durchsucht worden sein.
Auch im Jagdschloss Waidmannsheil in Thüringen tauchen an diesem Tag vermummte Polizisten auf. Das Grundstück und der angrenzende Wald werden durchkämmt. Das Schlösschen ist Sitz einer Firma des Prinzen – und wird damit zum Schauplatz einer der größten Anti-Terror-Razzien in der Geschichte der Bundesrepublik. Rund 3000 Polizisten waren bei etwa 150 Durchsuchungen im Einsatz. Den 25 festgenommenen Verdächtigen wirft die Bundesanwaltschaft die Bildung beziekrieg
hungsweise Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor, die es sich zum Ziel gesetzt habe, „die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland zu überwinden und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen“. Mit Heinrich XIII. Prinz Reuß als zukünftigem Staatsoberhaupt.
In Bad Lobenstein, wo das Jagdschlösschen steht, ist der Adelige ein bekannter Mann. Im Sommer wurde er mit einem Eklat um den damaligen Bürgermeister in Verbindung gebracht. Dieser hatte einen Journalisten angegriffen, während der Prinz in unmittelbarer Nähe stand. Die Reichsbürger-These, Deutschland sei seit dem Zweiten Welt
kein souveräner Staat mehr, sondern werde von Alliierten verwaltet, verbreitete er auch öffentlich. Der Verfassungsschutz rechnet der Reichsbürger-Szene bundesweit rund 21.000 Anhänger zu. „Sie hat im vergangenen Jahr erneut erheblichen Zulauf erhalten“, warnt Behördenchef Thomas Haldenwang. In Thüringen sind die Reichsbürger besonders stark. Genau wie die AfD unter ihrem dortigen Anführer Björn Höcke. Dass eine ehemalige Bundestagsabgeordnete der Partei an den Umsturzplänen beteiligt gewesen sein soll, macht Extremismus-Experten besondere Sorgen. Es handelt sich um die 58-jährige Birgit Malsack-Winkemann, die von 2017 bis 2021 im Parlament saß und zuletzt wieder am Landgericht Berlin als Richterin arbeitete.
Am Mittwoch wurde auch sie festgenommen. Der Verdacht: Mit dem Insiderwissen aus ihrer Zeit als Abgeordnete soll sie den Sturm auf das Reichstagsgebäude mit vorbereitet haben. Sie selbst hat als Sportschützin einen Waffenschein und soll auch legal über Waffen verfügt haben – wie übrigens noch einige weitere Verdächtige, weshalb bei den Razzien aus Sicherheitsgründen viele Spezialkräfte eingesetzt werden mussten. Einer der Beschuldigten soll sogar ein Waffengeschäft betrieben haben.
Den „militärischen Arm“des Terrornetzwerks soll allerdings der ehemalige Fallschirmjäger Rüdiger
Die Extremisten wollten eine eigene Armee aufbauen
P. organisiert haben. Dabei ging es nicht nur um den bewaffneten Sturm auf das Parlamentsgebäude in Berlin, der zum Auftakt für landesweite Unruhen werden sollte. Die Gruppe plante auch eine Schattenarmee und soll sogar Kasernen ins Visier genommen haben, in denen später einmal die eigenen Soldaten in „Heimatschutzkompanien“stationiert werden sollten. Die Extremisten gingen offenbar davon aus, dass sich ihrem Umsturzversuch im ganzen Land Menschen anschließen würden, und suchten aktiv auch nach Unterstützung in den Reihen von Polizei und Bundeswehr. „Einzelne Mitglieder dieses militärischen Armes waren nach unserer Erkenntnis in der Vergangenheit auch aktiv in der Bundeswehr tätig“, sagte Generalbundesanwalt Peter Frank.
Bereits vor einem Jahr soll sich das Netzwerk gegründet haben. Schon bald geriet es ins Visier der Ermittler, die Chatgruppen überwachten, Gespräche abhörten und Verdächtige observierten. Bis sie genug Material gegen die Drahtzieher hatten und am Mittwoch im Morgengrauen die kruden Umsturzfantasien des Heinrich XIII. Prinzen Reuß, dessen Adelsgeschlecht einst im Vogtland herrschte, beendeten.