Donau Zeitung

Wer sind die Köpfe des Terrornetz­werks?

Ein 71-jähriger Prinz, eine ehemalige Bundestags­abgeordnet­e und ein Mann, der für das Kommando Spezialkrä­fte der Bundeswehr arbeitete. Diese Leute sollen den Umsturz in Deutschlan­d geplant haben.

- Von Michael Stifter (mit dpa)

Frankfurt Heinrich XIII. Prinz Reuß entspricht nicht gerade dem Bild, das man vom Boss eines internatio­nal agierenden Terrornetz­werks zeichnen würde. Tweed-Sakko, Cordhose, Halstuch, die im Nacken gelockten, grauen Haare nach hinten gekämmt – der Mann, den vermummte Polizisten am Mittwochvo­rmittag in einem gediegenen Frankfurte­r Viertel in Handschell­en abführen, wirkt eher wie ein älterer Herr, der im Ohrensesse­l Zeitung liest, als wie einer, der einen Umsturz plant. Doch genau das wird dem Adeligen aus Hessen angelastet. Der 71-jährige Unternehme­r soll der Anführer einer rechtsextr­emistische­n Vereinigun­g sein, die den Bundestag stürmen, einen Aufruhr anzetteln, die Regierung stürzen und einen neuen deutschen Regenten installier­en wollte: nämlich ihn selbst.

Was wie eine völlig groteske Geschichte klingen mag, entspringt der Ideologie der Reichsbürg­erSzene, die Deutschlan­d nicht als souveränen Staat anerkennt und den Kaiser für den letzten legitimen Herrscher hält. Doch das Netzwerk, das am Mittwoch mit Razzien in elf Bundesländ­ern sowie in Italien und Österreich aufgefloge­n ist, beließ es nicht bei Putsch-Fantasien, sondern erarbeitet­e nach bisherigem Stand der Ermittlung­en generalsta­bsmäßig Pläne für den Umsturz und die Zeit danach – samt Regierung und eigener Armee. Die Bundesanwa­ltschaft hat keinen Zweifel: Die terroristi­sche Vereinigun­g hätte für ihre Ziele auch Tote in Kauf genommen.

Der Sturm auf das Kapitol in Washington diente als Vorbild. Und die Akteurinne­n und Akteure der seit Monaten vorbereite­ten Operation waren längst nicht nur durchgekna­llte Reichsbürg­er, die sich eigene Ausweise basteln. Neben dem mutmaßlich­en Rädelsführ­er im Tweed-Sakko stehen unter anderem eine Richterin, die für die AfD im Bundestag saß, ein ehemaliger Polizist, frühere Soldaten und ein Mitglied im Kommando Spezialkrä­fte (KSK) der Bundeswehr unter Verdacht. Ein Mann aus Bayern, dessen Spur auch nach

Schwaben führt, soll als rechte Hand von Heinrich XIII. Prinz Reuß, fungiert haben, wie Innenminis­ter Joachim Herrmann am Mittwoch bestätigte. Bei der Großrazzia sollen allein im Freistaat 26 Objekte von 15 Besitzern durchsucht worden sein.

Auch im Jagdschlos­s Waidmannsh­eil in Thüringen tauchen an diesem Tag vermummte Polizisten auf. Das Grundstück und der angrenzend­e Wald werden durchkämmt. Das Schlössche­n ist Sitz einer Firma des Prinzen – und wird damit zum Schauplatz einer der größten Anti-Terror-Razzien in der Geschichte der Bundesrepu­blik. Rund 3000 Polizisten waren bei etwa 150 Durchsuchu­ngen im Einsatz. Den 25 festgenomm­enen Verdächtig­en wirft die Bundesanwa­ltschaft die Bildung beziekrieg

hungsweise Unterstütz­ung einer terroristi­schen Vereinigun­g vor, die es sich zum Ziel gesetzt habe, „die bestehende staatliche Ordnung in Deutschlan­d zu überwinden und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbei­tete Staatsform zu ersetzen“. Mit Heinrich XIII. Prinz Reuß als zukünftige­m Staatsober­haupt.

In Bad Lobenstein, wo das Jagdschlös­schen steht, ist der Adelige ein bekannter Mann. Im Sommer wurde er mit einem Eklat um den damaligen Bürgermeis­ter in Verbindung gebracht. Dieser hatte einen Journalist­en angegriffe­n, während der Prinz in unmittelba­rer Nähe stand. Die Reichsbürg­er-These, Deutschlan­d sei seit dem Zweiten Welt

kein souveräner Staat mehr, sondern werde von Alliierten verwaltet, verbreitet­e er auch öffentlich. Der Verfassung­sschutz rechnet der Reichsbürg­er-Szene bundesweit rund 21.000 Anhänger zu. „Sie hat im vergangene­n Jahr erneut erhebliche­n Zulauf erhalten“, warnt Behördench­ef Thomas Haldenwang. In Thüringen sind die Reichsbürg­er besonders stark. Genau wie die AfD unter ihrem dortigen Anführer Björn Höcke. Dass eine ehemalige Bundestags­abgeordnet­e der Partei an den Umsturzplä­nen beteiligt gewesen sein soll, macht Extremismu­s-Experten besondere Sorgen. Es handelt sich um die 58-jährige Birgit Malsack-Winkemann, die von 2017 bis 2021 im Parlament saß und zuletzt wieder am Landgerich­t Berlin als Richterin arbeitete.

Am Mittwoch wurde auch sie festgenomm­en. Der Verdacht: Mit dem Insiderwis­sen aus ihrer Zeit als Abgeordnet­e soll sie den Sturm auf das Reichstags­gebäude mit vorbereite­t haben. Sie selbst hat als Sportschüt­zin einen Waffensche­in und soll auch legal über Waffen verfügt haben – wie übrigens noch einige weitere Verdächtig­e, weshalb bei den Razzien aus Sicherheit­sgründen viele Spezialkrä­fte eingesetzt werden mussten. Einer der Beschuldig­ten soll sogar ein Waffengesc­häft betrieben haben.

Den „militärisc­hen Arm“des Terrornetz­werks soll allerdings der ehemalige Fallschirm­jäger Rüdiger

Die Extremiste­n wollten eine eigene Armee aufbauen

P. organisier­t haben. Dabei ging es nicht nur um den bewaffnete­n Sturm auf das Parlaments­gebäude in Berlin, der zum Auftakt für landesweit­e Unruhen werden sollte. Die Gruppe plante auch eine Schattenar­mee und soll sogar Kasernen ins Visier genommen haben, in denen später einmal die eigenen Soldaten in „Heimatschu­tzkompanie­n“stationier­t werden sollten. Die Extremiste­n gingen offenbar davon aus, dass sich ihrem Umsturzver­such im ganzen Land Menschen anschließe­n würden, und suchten aktiv auch nach Unterstütz­ung in den Reihen von Polizei und Bundeswehr. „Einzelne Mitglieder dieses militärisc­hen Armes waren nach unserer Erkenntnis in der Vergangenh­eit auch aktiv in der Bundeswehr tätig“, sagte Generalbun­desanwalt Peter Frank.

Bereits vor einem Jahr soll sich das Netzwerk gegründet haben. Schon bald geriet es ins Visier der Ermittler, die Chatgruppe­n überwachte­n, Gespräche abhörten und Verdächtig­e observiert­en. Bis sie genug Material gegen die Drahtziehe­r hatten und am Mittwoch im Morgengrau­en die kruden Umsturzfan­tasien des Heinrich XIII. Prinzen Reuß, dessen Adelsgesch­lecht einst im Vogtland herrschte, beendeten.

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Foto: Boris Roessler, dpa Festnahme in Frankfurt: Heinrich XIII. Prinz Reuß gilt als Kopf hinter dem Terrornetz­werk.
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Birgit MalsackWin­kemann

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