„Betrieben droht im Januar der Stillstand“
Hans Peter Wollseifer warnt davor, dass Handwerksbetrieben das Geld für Gas und Strom ausgeht, bevor die Hilfen greifen. Was er vorschlägt und wo er am Ende seiner Amtszeit die künftigen Herausforderungen sieht.
Herr Wollseifer, Deutschland steuert auf eine Rezession zu. Wie stark trifft es das Handwerk?
Hans Peter Wollseifer: Auch im Handwerk gibt es inzwischen Vorboten für deutlich rauere Zeiten: Betriebe berichten uns, dass die Neuaufträge stark zurückgehen und es zu Auftragsstornierungen kommt. Die konsumnahen Handwerke spüren bereits eine zunehmende Kaufzurückhaltung, weil die Kundinnen und Kunden angesichts sinkender Realeinkommen sparsamer mit ihrem Geld umgehen. Unsere Betriebe können die massiven Kostensteigerungen für Energie, aber auch für viele Rohstoffe und Vorprodukte nur selten vollständig über Preisanpassungen weitergeben. Und nach wie vor bestehen Lieferengpässe. Das alles bleibt natürlich nicht ohne Folgen.
Wie sehen die Folgen aus?
Wollseifer: So viel ist sicher: Die Handwerkskonjunktur wird an Schwung verlieren, diesmal auch am Bau, der in vorausgegangenen Krisen ein wichtiger Konjunkturanker war. Wie heftig der Einbruch sein wird, ist allerdings wegen der derzeitigen Risiken und Unwägbarkeiten nicht vorauszusagen. Eine Art Sonderkonjunktur könnte es geben für die Betriebe, die in der Umsetzung der Energiewende tätig sind – etwa bei der Installation von Wärmepumpen und Energieeffizienzmaßnahmen. Doch auch hier machen Materialmangel und fehlende Fachkräfte Probleme.
Welche Schwierigkeiten sehen Sie für das Handwerk in den kommenden Monaten?
Wollseifer: Kurzfristig betrachtet bereiten fehlende Anschlussverträge mit Gas- oder Stromversorgern vielen Betrieben ziemliches Kopfzerbrechen. Wenn hier keine schnellen Lösungen gefunden werden, droht die Produktion wie auch das Erbringen von Dienstleistungen in den betroffenen Betrieben stillzustehen. Das könnte schon im Januar bei vielen Betrieben so kommen. Solche Betriebsstillstände will sicher niemand. Da braucht es jetzt zwingend eine rasche Lösung.
Das hört sich dramatisch an ...
Wollseifer: Brenzlig kann für zahlreiche Betriebe, besonders die energieintensiven, im Januar und Februar die Liquiditätslage werden: Weil die Gas- und Strompreisbremsen erst im März rückwirkend gewährt werden, müssen die Betriebe
zu Jahresbeginn in die Vorfinanzierung der hohen Energierechnungen gehen. Doch die Reserven sind bei vielen noch aus Corona aufgezehrt. Damit diese Betriebe die Zeit bis März überstehen und sie liquide bleiben, sind Härtefallhilfen nötig. Generell ist es für alle Handwerksbetriebe derzeit sehr schwierig, überhaupt noch rentabel zu arbeiten. Die stark gestiegenen Kosten können oft gar nicht oder nur anteilig weitergegeben werden, bei lang laufenden Verträgen ohne Preisgleitklauseln oder solchen mit öffentlichen Auftraggebern mündet das oft schon von vorneherein in ein Verlustgeschäft. Das kann kein Betrieb auf Dauer durchhalten.
Die Bundesregierung führt ja eine
Strom- und Gaspreisbremse ein. Sind damit alle Energieprobleme für das Handwerk gelöst?
Wollseifer: Ganz sicher nicht. Da klafft für zahlreiche energieintensive Betriebe noch eine Liquiditätslücke für Januar und Februar – wie von mir beschrieben. Daher erwarten wir von der Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Bundeskanzler am 8. Dezember 2022 klare Aussagen und Beschlüsse zu Härtefallhilfen für die betroffenen energieintensiven Betriebe, damit sie die Zeitspanne bis zum Start der Bremsen überbrücken können. Zudem sollten die Härtefallhilfen auch die Nutzung anderer Energieträger wie Öl und Holzpellets in den Blick nehmen. Und Politik muss sich auch Gedanken dazu machen, wie Betriebe unterstützt
werden können, die trotz der Bremsen mit dem „New Normal“überfordert sein werden. Und natürlich bringen diese Bremsen auf längere Sicht keine Antwort darauf, wie gesichert werden kann, dass Energie unseren Betrieben bezahlbar und verlässlich auch in der Zukunft zur Verfügung steht.
Das Handwerk klagt über einen großen Fachkräftemangel. Wie groß ist die Lücke?
Wollseifer: Bei der Bundesagentur für Arbeit sind derzeit knapp 153.000 offene Stellen im Handwerk gemeldet – der tatsächliche Fachkräftebedarf liegt aber deutlich höher, da nicht alle Betriebe ihre offenen Stellen bei den Arbeitsagenturen melden. Wir gehen davon aus, dass derzeit geschätzt rund 250.000 qualifizierte Fachkräfte im Handwerk fehlen – Tendenz steigend. Jedes Jahr bleiben etwa 20.000 Ausbildungsplätze unbesetzt, weil es dafür keine Bewerberinnen und Bewerber gibt. Doch für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes müssen sich wieder mehr junge Menschen für eine berufliche Ausbildung im Handwerk entscheiden, weil die geplanten Transformationen nur mit dem Handwerk gelingen können.
Die Regierung will ja die Einwanderung für Fachkräfte erleichtern. Hilft das Ihnen?
Wollseifer: Eine zu Recht geforderte stärkere Zuwanderung ist wichtig und es ist insofern auch gut, die Regelungen zur Zuwanderung stetig weiterzuentwickeln, denn hier muss noch einiges verbessert werden. Aber ganz klar ist auch, dass Zuwanderung nicht das Allheilmittel sein kann, sondern nur einen ergänzenden Beitrag leisten kann, um die Fachkräftelücke zu schließen. Hunderttausende Zuwanderer werden wir in Deutschland vermutlich auch mit den besten Regelungen nicht sehen. Daher muss der Fokus auf dem Inland liegen, hier müssen wir die Fachkräfte ausbilden und finden. Das Ausbildungsengagement der Handwerksbetriebe ist ungebrochen sehr hoch. Doch deren Motivation wird nicht ausreichen ohne die nötige politische und gesellschaftliche Flankierung.
Sie hören dieses Jahr als Präsident des Handwerks auf. Was planen Sie für die Zeit nach dem Amt?
Wollseifer: Ich freue mich darauf, nach neun Jahren wieder ein ganzes Wochenende mit meiner Frau und meiner Familie zu verbringen. Und unter der Woche wird mir die Arbeit sicher nicht ausgehen. Ich bin noch für ein paar Jahre in Köln als Präsident der Handwerkskammer gewählt und kann mich jetzt wieder komplett den regionalen Handwerksthemen widmen. Auch für den Betrieb habe ich noch ein paar Sachen auf der To-do-Liste. An Beschäftigung mangelt es mir also sicher auch künftig nicht.
Zur Person
Hans Peter Wollseifer, 67, ist Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks. Der Maler und Lackierer stammt aus Hürth bei Köln.