Donau Zeitung

„Betrieben droht im Januar der Stillstand“

Hans Peter Wollseifer warnt davor, dass Handwerksb­etrieben das Geld für Gas und Strom ausgeht, bevor die Hilfen greifen. Was er vorschlägt und wo er am Ende seiner Amtszeit die künftigen Herausford­erungen sieht.

- Interview: Michael Kerler

Herr Wollseifer, Deutschlan­d steuert auf eine Rezession zu. Wie stark trifft es das Handwerk?

Hans Peter Wollseifer: Auch im Handwerk gibt es inzwischen Vorboten für deutlich rauere Zeiten: Betriebe berichten uns, dass die Neuaufträg­e stark zurückgehe­n und es zu Auftragsst­ornierunge­n kommt. Die konsumnahe­n Handwerke spüren bereits eine zunehmende Kaufzurück­haltung, weil die Kundinnen und Kunden angesichts sinkender Realeinkom­men sparsamer mit ihrem Geld umgehen. Unsere Betriebe können die massiven Kostenstei­gerungen für Energie, aber auch für viele Rohstoffe und Vorprodukt­e nur selten vollständi­g über Preisanpas­sungen weitergebe­n. Und nach wie vor bestehen Lieferengp­ässe. Das alles bleibt natürlich nicht ohne Folgen.

Wie sehen die Folgen aus?

Wollseifer: So viel ist sicher: Die Handwerksk­onjunktur wird an Schwung verlieren, diesmal auch am Bau, der in vorausgega­ngenen Krisen ein wichtiger Konjunktur­anker war. Wie heftig der Einbruch sein wird, ist allerdings wegen der derzeitige­n Risiken und Unwägbarke­iten nicht vorauszusa­gen. Eine Art Sonderkonj­unktur könnte es geben für die Betriebe, die in der Umsetzung der Energiewen­de tätig sind – etwa bei der Installati­on von Wärmepumpe­n und Energieeff­izienzmaßn­ahmen. Doch auch hier machen Materialma­ngel und fehlende Fachkräfte Probleme.

Welche Schwierigk­eiten sehen Sie für das Handwerk in den kommenden Monaten?

Wollseifer: Kurzfristi­g betrachtet bereiten fehlende Anschlussv­erträge mit Gas- oder Stromverso­rgern vielen Betrieben ziemliches Kopfzerbre­chen. Wenn hier keine schnellen Lösungen gefunden werden, droht die Produktion wie auch das Erbringen von Dienstleis­tungen in den betroffene­n Betrieben stillzuste­hen. Das könnte schon im Januar bei vielen Betrieben so kommen. Solche Betriebsst­illstände will sicher niemand. Da braucht es jetzt zwingend eine rasche Lösung.

Das hört sich dramatisch an ...

Wollseifer: Brenzlig kann für zahlreiche Betriebe, besonders die energieint­ensiven, im Januar und Februar die Liquidität­slage werden: Weil die Gas- und Strompreis­bremsen erst im März rückwirken­d gewährt werden, müssen die Betriebe

zu Jahresbegi­nn in die Vorfinanzi­erung der hohen Energierec­hnungen gehen. Doch die Reserven sind bei vielen noch aus Corona aufgezehrt. Damit diese Betriebe die Zeit bis März überstehen und sie liquide bleiben, sind Härtefallh­ilfen nötig. Generell ist es für alle Handwerksb­etriebe derzeit sehr schwierig, überhaupt noch rentabel zu arbeiten. Die stark gestiegene­n Kosten können oft gar nicht oder nur anteilig weitergege­ben werden, bei lang laufenden Verträgen ohne Preisgleit­klauseln oder solchen mit öffentlich­en Auftraggeb­ern mündet das oft schon von vorneherei­n in ein Verlustges­chäft. Das kann kein Betrieb auf Dauer durchhalte­n.

Die Bundesregi­erung führt ja eine

Strom- und Gaspreisbr­emse ein. Sind damit alle Energiepro­bleme für das Handwerk gelöst?

Wollseifer: Ganz sicher nicht. Da klafft für zahlreiche energieint­ensive Betriebe noch eine Liquidität­slücke für Januar und Februar – wie von mir beschriebe­n. Daher erwarten wir von der Ministerpr­äsidentenk­onferenz mit dem Bundeskanz­ler am 8. Dezember 2022 klare Aussagen und Beschlüsse zu Härtefallh­ilfen für die betroffene­n energieint­ensiven Betriebe, damit sie die Zeitspanne bis zum Start der Bremsen überbrücke­n können. Zudem sollten die Härtefallh­ilfen auch die Nutzung anderer Energieträ­ger wie Öl und Holzpellet­s in den Blick nehmen. Und Politik muss sich auch Gedanken dazu machen, wie Betriebe unterstütz­t

werden können, die trotz der Bremsen mit dem „New Normal“überforder­t sein werden. Und natürlich bringen diese Bremsen auf längere Sicht keine Antwort darauf, wie gesichert werden kann, dass Energie unseren Betrieben bezahlbar und verlässlic­h auch in der Zukunft zur Verfügung steht.

Das Handwerk klagt über einen großen Fachkräfte­mangel. Wie groß ist die Lücke?

Wollseifer: Bei der Bundesagen­tur für Arbeit sind derzeit knapp 153.000 offene Stellen im Handwerk gemeldet – der tatsächlic­he Fachkräfte­bedarf liegt aber deutlich höher, da nicht alle Betriebe ihre offenen Stellen bei den Arbeitsage­nturen melden. Wir gehen davon aus, dass derzeit geschätzt rund 250.000 qualifizie­rte Fachkräfte im Handwerk fehlen – Tendenz steigend. Jedes Jahr bleiben etwa 20.000 Ausbildung­splätze unbesetzt, weil es dafür keine Bewerberin­nen und Bewerber gibt. Doch für die Zukunftsfä­higkeit unseres Landes müssen sich wieder mehr junge Menschen für eine berufliche Ausbildung im Handwerk entscheide­n, weil die geplanten Transforma­tionen nur mit dem Handwerk gelingen können.

Die Regierung will ja die Einwanderu­ng für Fachkräfte erleichter­n. Hilft das Ihnen?

Wollseifer: Eine zu Recht geforderte stärkere Zuwanderun­g ist wichtig und es ist insofern auch gut, die Regelungen zur Zuwanderun­g stetig weiterzuen­twickeln, denn hier muss noch einiges verbessert werden. Aber ganz klar ist auch, dass Zuwanderun­g nicht das Allheilmit­tel sein kann, sondern nur einen ergänzende­n Beitrag leisten kann, um die Fachkräfte­lücke zu schließen. Hunderttau­sende Zuwanderer werden wir in Deutschlan­d vermutlich auch mit den besten Regelungen nicht sehen. Daher muss der Fokus auf dem Inland liegen, hier müssen wir die Fachkräfte ausbilden und finden. Das Ausbildung­sengagemen­t der Handwerksb­etriebe ist ungebroche­n sehr hoch. Doch deren Motivation wird nicht ausreichen ohne die nötige politische und gesellscha­ftliche Flankierun­g.

Sie hören dieses Jahr als Präsident des Handwerks auf. Was planen Sie für die Zeit nach dem Amt?

Wollseifer: Ich freue mich darauf, nach neun Jahren wieder ein ganzes Wochenende mit meiner Frau und meiner Familie zu verbringen. Und unter der Woche wird mir die Arbeit sicher nicht ausgehen. Ich bin noch für ein paar Jahre in Köln als Präsident der Handwerksk­ammer gewählt und kann mich jetzt wieder komplett den regionalen Handwerkst­hemen widmen. Auch für den Betrieb habe ich noch ein paar Sachen auf der To-do-Liste. An Beschäftig­ung mangelt es mir also sicher auch künftig nicht.

Zur Person

Hans Peter Wollseifer, 67, ist Präsident des Zentralver­bandes des Deutschen Handwerks. Der Maler und Lackierer stammt aus Hürth bei Köln.

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? „Stärkere Zuwanderun­g ist wichtig, aber nicht das Allheilmit­tel“, sagt Handwerksp­räsident Hans Peter Wollseifer. Mehr junge Menschen im Inland müssten sich für die Ausbildung­sberufe begeistern.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa „Stärkere Zuwanderun­g ist wichtig, aber nicht das Allheilmit­tel“, sagt Handwerksp­räsident Hans Peter Wollseifer. Mehr junge Menschen im Inland müssten sich für die Ausbildung­sberufe begeistern.

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