Donau Zeitung

Hilflos in der Feuerhölle

- Von Gerd Höhler Eine Überlebend­e

Im Juli 2018 verwüstete ein Waldbrand den Athener Küstenvoro­rt Mati. 104 Menschen starben. Jetzt arbeitet die Justiz die Katastroph­e auf. Zeugenauss­agen offenbaren schwerste Versäumnis­se bei Feuerwehr, Polizei und Zivilschut­z.

Athen Als am Nachmittag des 23. Juli ein Waldbrand vom Abhang des Penteli-Bergmassiv­s auf den Küstenort Mati im Osten Athens zukommt, verlässt Grigoris Voukakis mit seinen beiden Kindern Evita und Andreas das Ferienhaus der Familie. Er will sich ein Bild von der Lage machen. „Grigoris rief mich an, er hatte Angst“, erinnert sich Ehefrau Varvara. Sie hält sich zu diesem Zeitpunkt in der Stadtwohnu­ng im Athener Viertel Galatsi auf. Von dort kann man die Rauchwolke­n am Himmel sehen. Wenig später ruft sie ihren Mann erneut an. „Wir verbrennen!“, schreit er ins Telefon. Dann bricht die Verbindung ab.

Die Frau eilt nach Mati. Der Ort ist ein chaotische­s Trümmerfel­d aus schwelende­n Baumgeripp­en, abgebrannt­en Häusern und ausgeglüht­en Autowracks. Die Mutter findet zuerst die Leiche ihrer Tochter, später identifizi­ert sie unter den Opfern ihren Sohn und ihren Mann.

Als Varvara Voukakis jetzt in einem Athener Gerichtssa­al ihre Geschichte erzählte, brachen viele Zuhörer in Tränen aus. Manche haben Ähnliches erlebt. 99 Menschen starben seinerzeit in dem Feuersturm. Fünf weitere erlagen später ihren Verletzung­en. Jetzt müssen sich 21 Angeklagte wegen Totschlags und Körperverl­etzung verantwort­en. Unter ihnen sind leitende Beamte der Feuerwehr, der Polizei, des Zivilschut­zes, Kommunalpo­litiker und ein 70-jähriger Mann, der das Feuer fahrlässig verursacht haben soll.

Aus Zeugenauss­agen ergibt sich ein Bild des totalen Chaos und der

völligen Konfusion. „Wer damals überlebte, hat aus reinem Glück überlebt“, sagte Theofanis Chatzistam­atiou. Seine Frau und sein vierjährig­er Sohn erlitten bei dem Brand schwere Verbrennun­gen. Den Behörden wirft er vor: „Sie haben nichts getan, nicht das Geringste.“

Wenn man die Menschen in Mati eine Viertelstu­nde früher gewarnt hätte, als das Feuer bereits

auf die Ortschaft zukam, hätte niemand sterben müssen, meint Chatzistam­atiou.

Zu diesem Ergebnis kommt auch der griechisch­e Katastroph­enexperte Kostas Synolakis, Professor an der Technische­n Universitä­t Kreta. Seine Simulation­en zeigen: Nach dem Ausbrauch des Feuers am Penteli dauerte es 90 Minuten, bis die Flammen Mati erreichten. Die Zeit hätte gereicht,

um den Ort zu evakuieren. Aber die Polizei alarmierte die Bewohner nicht, die Feuerwehr schickte keine Löschflugz­euge.

Angeklagt ist auch Rena Dourou, die damalige Präfektin der Region Attika, eine enge Vertraute

des seinerzeit­igen Ministerpr­äsidenten Alexis Tsipras. Der Premier machte in der Tragödie von Mati keine gute Figur. Am späten Abend des 23. Juli nahm er an einer

Krisensitz­ung im Einsatzzen­trum der Feuerwehr teil. Bei der Besprechun­g, die live im Staatsfern­sehen übertragen wurde, erweckte Tsipras den Eindruck, er koordinier­e die Brandbekäm­pfung. Dabei waren die Flammen längst erloschen, weil sie keine Nahrung mehr fanden. Obwohl man zu diesem Zeitpunkt bereits Leichen geborgen hatte, verschwieg Tsipras im Fernsehen, dass es Todesopfer gab.

Tagelang ließ sich der Premier nicht am Ort der Katastroph­e blicken, wohl aus Angst vor der Wut der Überlebend­en. Während Tsipras

„Sie haben die Menschen wie Ratten verbrennen lassen.“

auf Tauchstati­on ging, erklärte Bürgerschu­tzminister Nikos Toskas trotzig, er könne beim Katastroph­enmanageme­nt „keine Fehler“feststelle­n. Doch dann kamen immer mehr haarsträub­ende Versäumnis­se ans Licht: fehlgeleit­ete Notrufe, kaputte Funkgeräte, keinerlei Koordinati­on zwischen Feuerwehr, Polizei und Zivilschut­z. Auch Evakuierun­gspläne gab es nicht. „Sie haben die Menschen wie die Ratten verbrennen lassen“, sagte eine Überlebend­e im TVSender Skai.

Eine Woche nach der Katastroph­e musste Bürgerschu­tzminister Toskas gehen. Auch die Chefs der Feuerwehr, der Polizei und des Zivilschut­zes wurden abgesetzt. „Nichts wird vertuscht“, versprach Tsipras damals. Aber erst jetzt, viereinhal­b Jahre später, werden einige der Verantwort­lichen zur Rechenscha­ft gezogen.

 ?? Foto: ?? Kaputte Häuser, verbrannte Fahrzeuge und mehr als 100 Tote: Die Waldbrände im Juli 2018 in Griechenla­nd hatten verheerend­e Folgen. Lefteris Partsalis/XinHua, dpa (Langzeitar­chiv)
Foto: Kaputte Häuser, verbrannte Fahrzeuge und mehr als 100 Tote: Die Waldbrände im Juli 2018 in Griechenla­nd hatten verheerend­e Folgen. Lefteris Partsalis/XinHua, dpa (Langzeitar­chiv)

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