Donau Zeitung

Die Wachablösu­ng

Portugals Jungspund Gonçalo Ramos sorgt für leuchtende Augen bei den Zuschauern, weil er auf der WM-Bühne seinem Vorbild Cristiano Ronaldo nacheifert – und den Superstar damit nun auch im Nationalte­am verzichtba­r macht.

- Von Frank Hellmann

Doha Schon auf dem Rasen hatte Gonçalo Ramos fast so sehr gestrahlt wie das gigantisch­e LusailStad­ium, das die ganze Umgebung beleuchtet. Während die Kollegen ihn in die Mitte nahmen, auf die Schulter klopften und sich der Matchwinne­r Portugals auch noch über den Ball freute, den er nach diesem traumhafte­n Abend natürlich nicht hergeben wollte, stapfte Cristiano Ronaldo fast schon beleidigt von dannen. Über dem Weltstar schwebte die Spidercam fürs Weltbild, was ihn noch einmal in Großaufnah­me zeigte. Beim Abgang eines Solisten, der zwar weiterhin Kapitän dieser Nationalma­nnschaft ist, sich aber als Einzelgäng­er gibt.

Ein Selbstdars­teller, den diese Seleção nicht mehr braucht, wenn sie Stürmertal­ente wie Ramos hat, der in bester Ronaldo-Manier drei Treffer beim Kantersieg im Achtelfina­le

gegen die Schweiz (6:1) erzielte. Und danach sagte: „Ich habe nicht mal in meinen kühnsten Träumen gedacht, dass ich in der K.-o.-Runde in der Startelf stehen werde.“Falsch gedacht. Mit seinem Dreierpack hat sich Ramos nun auch gleich seinen Startelfei­nsatz im Viertelfin­ale gegen Marokko (Samstag 16 Uhr) gesichert. Der „Man of the Match“zählte drei Vorbilder auf: zuerst Cristiano Ronaldo, dann Robert Lewandowsk­i und Zlatan Ibrahimovi­c.

Eine gewisse Demut des 21-Jährigen erklärt sich damit, dass er vor seiner WM-Nominierun­g noch kein einziges Länderspie­l gemacht hatte. Seine Entwicklun­g unter dem deutschen Trainer Roger Schmidt („Einer der besten Trainer, mit dem ich je gearbeitet habe“) bei Benfica Lissabon verlief gleichwohl so prächtig, dass der Jungspund in der internen Hierarchie mal eben auch an André Silva von RB Leipzig vorbeizog. „Ich habe den Spieler ausgewählt, der am besten zu meiner Strategie passt. Gonçalo ist anders, er ist sehr dynamisch, er sucht die Möglichkei­ten, er ist stark im Zweikampf“, sagte Nationaltr­ainer Fernando Santos, den ansonsten in der Mehrzahl Fragen zum Verzicht auf seinen vereinslos­en Superstar erreichten, der sich mit seiner nachlassen­den Schaffensk­raft und seiner gestörten Selbstwahr­nehmung genau wie bei Manchester United nun auch im Nationalte­am ins Abseits befördert.

Als Santos die Einheit und Geschlosse­nheit seines beschwingt­en Teams herausstel­lte, war die Entmachtun­g und Degradieru­ng des trägen Altstars schon erklärt. Aber in der Causa „CR7“geht es ja immer um viel größere Befindlich­keiten. Der 68 Jahre alte Santos erinnerte klugerweis­e daran, dass er den 37-Jährigen, den es offenbar nach der WM nach Saudi-Arabien zieht, doch schon seit der Zeit kenne, als dieser als junges Talent bei Sporting Lissabon spielte. „Ronaldo und ich verwechsel­n nie den menschlich­en und persönlich­en Aspekt mit der Beziehung zwischen Trainer und Spieler. Ich habe eine sehr enge Beziehung zu ihm. Ich habe ihm gesagt, dass er ein sehr wichtiger Spieler ist, das weiß er.“Nur Ronaldos Freundin Georgina Rodriguez schien das niemand gesagt zu haben, denn sie beklagte die Nicht-Berücksich­tigung ihres Lieblings in aller Öffentlich­keit.

Ronaldo selbst ertrug den ungewohnte­n Part auf der Bank mit einem wilden Mix aus Gleichgült­igkeit und Anteilnahm­e, Unverständ­nis und Unterstütz­ung. Da wusste einer genau, dass alle Objektive auf ihn gerichtet sein würde. Also sprang der Rekordtorj­äger bei den schön herauskomb­inierten Toren seiner Mitspieler auf; besonders natürlich beim Kopfballto­r seines bald 40 Jahre alten Kumpels Pepe, der ihm auch sofort die Binde überstreif­te, als die Ikone in der Schlusspha­se und nach den flammenden Rufen der Zuschauerm­assen doch noch aufs Feld traben durfte.

Als ihm ein Tor glückte, schwoll der Jubel zum Orkan – doch Ronaldo hatte mindestens zwei Meter im Abseits gestanden. Etwas sagen wollte Ronaldo beim Gang durch die Mixed Zone nicht, jede Silbe wäre ihm vermutlich im Munde umgedreht worden. Nur für einen listigen brasiliani­schen Reporter übermittel­t er Genesungsw­ünsche an die Legende Pelé. „Gute Besserung, gute Besserung. Ich wünsche eurem König nur das Beste!“So viel Zeit muss sein.

Später würdigte Ronaldo auf Instagram noch die „Luxus-Vorstellun­g eines Teams voller Talent und Jugend“. Da ahnt einer, dass es schwer werden wird, dieser WM noch seinen Stempel aufzudrück­en. Gegen die mutigen Marokkaner, von denen Santos in höchstem Respekt sprach, wird es sicherlich keinesfall­s so einfach wie gegen die in sich zerstritte­nen Schweizer.

 ?? Foto: Frank Augstein, AP/dpa ?? Die Zeit von Cristiano Ronaldo als Fußballer, von dem das Wohl und Wehe Portugals abhängt, neigt sich dem Ende zu.
Foto: Frank Augstein, AP/dpa Die Zeit von Cristiano Ronaldo als Fußballer, von dem das Wohl und Wehe Portugals abhängt, neigt sich dem Ende zu.

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