Damit nicht noch mehr Handwerksbetriebe sterben
Leitartikel Deutschland setzt auf eine Energiewende und gesunde Lebensmittel. Ohne Handwerk werden die Ziele nicht erreichbar sein. Was der neue Präsident anpacken muss.
Man muss sich nur in die Lage eines Bäckermeisters hineinversetzen. Die Energiekosten explodieren. Personal ist schwer zu finden, nicht nur für das Backen in der Nacht, auch im Verkauf. Die Kinder haben längst BWL oder Jura studiert und zögern, den Betrieb zu übernehmen. Kommt dann noch eine neue Vorschrift hinzu, die die Arbeit komplizierter macht, ist der Schritt nicht weit, es bleiben zu lassen, in den Ruhestand zu gehen und den Betrieb aufzugeben.
Das Handwerk in Deutschland befindet sich in einer schwierigen Lage. Nach langen, guten Jahren haben die vielen Krisen von Corona bis zum Ukraine-Krieg tiefe Schrammen hinterlassen. Staatliche Hilfen konnten nicht alle Ausfälle der Corona-Krise abfedern. Jetzt schlagen die hohen Energiekosten
ins Kontor. Die Sorge bei vielen Betrieben ist groß, dass das Geld ausgeht, bevor die staatlichen Preisbremsen greifen. Neue Investitionen lassen sich bei den steigenden Zinsen schwerer stemmen.
Dem Handwerk fehlen die Auswege, wie sie die Industrie hat. Sind die Bedingungen im Inland schlecht, verlagern Konzerne ihre Produktion ins Ausland. Ein Handwerker kann das nicht. Der Dorfbäcker, der Heizungsbauer, der nun in Bulgarien oder Malaysia sitzt? Absurd. Handwerksbetriebe sterben still und leise. Bevor ein Meister mit Ende 50, Anfang 60 die Rücklagen für das Alter angreift, um den Betrieb zu retten, sperrt er zu. Allein die Zahl der Bäckereien sank zwischen 2014 und 2021 von rund 12.600 auf 9965.
Fatalerweise reagieren Teile des
Handwerks mit Bitterkeit und Wut. Der scheidende Verbandspräsident Hans Peter Wollseifer sagt, dass ihn die Polarisierung bedrücke. Auch in unserer Region haben sich in der Corona-Krise Unternehmerkreise abseits der Kammerorganisation gebildet. Heute gibt es Stimmen aus dem Handwerk, schnell die Pipelines Nord Stream 1 und 2 zu öffnen. Die Forderung verkennt die bittere Realität des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine und würde in der Regierung zu Recht keine Resonanz finden. Dringende Aufgabe des am Donnerstag in Augsburg gewählten neuen Handwerkspräsidenten wird es daher sein, die 40 Fachverbände und eine Million Betriebe zusammenzuhalten.
Das Land wird seine Ziele – von gesunden Lebensmitteln bis zur Energiewende – ohne Handwerk nicht erreichen. Jemand muss die neuen Heizungen einbauen, die Dächer dämmen. Kurzfristige Probleme wie die Energiekosten muss und kann der Staat mit Preisbremsen und Härtefall-Hilfen lösen.
Langfristig aber ist es die größte Herausforderung, Nachwuchs zu finden. Rund 250.000 Handwerker fehlen schon heute, tausende Lehrstellen bleiben unbesetzt.
Einige Instrumente, um attraktiv für Arbeitnehmer zu sein, hat das Handwerk selbst in der Hand. Ein guter Ton im Betrieb, anständige Bezahlung, flexible Arbeitszeiten, moderne Berufsbilder. Neben einem Image-Booster braucht das Handwerk aber auch einen Politik-Booster. Dazu gehört Verlässlichkeit: Die abrupten Förderkürzungen für Solaranlagen vor zehn Jahren zum Beispiel hatten vielen Betrieben binnen weniger Wochen den Boden unter den Füßen weggezogen. Verdient hat das Handwerk auch eine faire Bildungspolitik. Die Branche wünscht sich zu Recht, ihre Arbeit bundesweit in der Berufsorientierung in den Gymnasien vorstellen zu können. Und von den Milliarden Euro, die derzeit in die Hochschullandschaft fließen – auch in Bayern – kann man in der beruflichen und schulischen Bildung nur träumen.
Das Handwerk braucht eine faire Bildungspolitik