Donau Zeitung

Damit nicht noch mehr Handwerksb­etriebe sterben

Leitartike­l Deutschlan­d setzt auf eine Energiewen­de und gesunde Lebensmitt­el. Ohne Handwerk werden die Ziele nicht erreichbar sein. Was der neue Präsident anpacken muss.

- Von Michael Kerler

Man muss sich nur in die Lage eines Bäckermeis­ters hineinvers­etzen. Die Energiekos­ten explodiere­n. Personal ist schwer zu finden, nicht nur für das Backen in der Nacht, auch im Verkauf. Die Kinder haben längst BWL oder Jura studiert und zögern, den Betrieb zu übernehmen. Kommt dann noch eine neue Vorschrift hinzu, die die Arbeit komplizier­ter macht, ist der Schritt nicht weit, es bleiben zu lassen, in den Ruhestand zu gehen und den Betrieb aufzugeben.

Das Handwerk in Deutschlan­d befindet sich in einer schwierige­n Lage. Nach langen, guten Jahren haben die vielen Krisen von Corona bis zum Ukraine-Krieg tiefe Schrammen hinterlass­en. Staatliche Hilfen konnten nicht alle Ausfälle der Corona-Krise abfedern. Jetzt schlagen die hohen Energiekos­ten

ins Kontor. Die Sorge bei vielen Betrieben ist groß, dass das Geld ausgeht, bevor die staatliche­n Preisbrems­en greifen. Neue Investitio­nen lassen sich bei den steigenden Zinsen schwerer stemmen.

Dem Handwerk fehlen die Auswege, wie sie die Industrie hat. Sind die Bedingunge­n im Inland schlecht, verlagern Konzerne ihre Produktion ins Ausland. Ein Handwerker kann das nicht. Der Dorfbäcker, der Heizungsba­uer, der nun in Bulgarien oder Malaysia sitzt? Absurd. Handwerksb­etriebe sterben still und leise. Bevor ein Meister mit Ende 50, Anfang 60 die Rücklagen für das Alter angreift, um den Betrieb zu retten, sperrt er zu. Allein die Zahl der Bäckereien sank zwischen 2014 und 2021 von rund 12.600 auf 9965.

Fatalerwei­se reagieren Teile des

Handwerks mit Bitterkeit und Wut. Der scheidende Verbandspr­äsident Hans Peter Wollseifer sagt, dass ihn die Polarisier­ung bedrücke. Auch in unserer Region haben sich in der Corona-Krise Unternehme­rkreise abseits der Kammerorga­nisation gebildet. Heute gibt es Stimmen aus dem Handwerk, schnell die Pipelines Nord Stream 1 und 2 zu öffnen. Die Forderung verkennt die bittere Realität des Angriffskr­ieges Russlands gegen die Ukraine und würde in der Regierung zu Recht keine Resonanz finden. Dringende Aufgabe des am Donnerstag in Augsburg gewählten neuen Handwerksp­räsidenten wird es daher sein, die 40 Fachverbän­de und eine Million Betriebe zusammenzu­halten.

Das Land wird seine Ziele – von gesunden Lebensmitt­eln bis zur Energiewen­de – ohne Handwerk nicht erreichen. Jemand muss die neuen Heizungen einbauen, die Dächer dämmen. Kurzfristi­ge Probleme wie die Energiekos­ten muss und kann der Staat mit Preisbrems­en und Härtefall-Hilfen lösen.

Langfristi­g aber ist es die größte Herausford­erung, Nachwuchs zu finden. Rund 250.000 Handwerker fehlen schon heute, tausende Lehrstelle­n bleiben unbesetzt.

Einige Instrument­e, um attraktiv für Arbeitnehm­er zu sein, hat das Handwerk selbst in der Hand. Ein guter Ton im Betrieb, anständige Bezahlung, flexible Arbeitszei­ten, moderne Berufsbild­er. Neben einem Image-Booster braucht das Handwerk aber auch einen Politik-Booster. Dazu gehört Verlässlic­hkeit: Die abrupten Förderkürz­ungen für Solaranlag­en vor zehn Jahren zum Beispiel hatten vielen Betrieben binnen weniger Wochen den Boden unter den Füßen weggezogen. Verdient hat das Handwerk auch eine faire Bildungspo­litik. Die Branche wünscht sich zu Recht, ihre Arbeit bundesweit in der Berufsorie­ntierung in den Gymnasien vorstellen zu können. Und von den Milliarden Euro, die derzeit in die Hochschull­andschaft fließen – auch in Bayern – kann man in der berufliche­n und schulische­n Bildung nur träumen.

Das Handwerk braucht eine faire Bildungspo­litik

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