Donau Zeitung

Der Wahn der Reichsbürg­er

Adlige, Handwerker, Soldaten – was verbindet diese Menschen in ihrer Feindschaf­t zum Staat? Kenner der Szene sagen, es sind Kipppunkte in der eigenen Biografie. Ein Phänomen, das durch alle Gesellscha­ftsschicht­en reicht.

- Von Christian Grimm

Berlin Was hat den Prinzen Heinrich XIII. dazu bewogen, die Regierung stürzen zu wollen? Der Herr aus dem alten Fürstenhau­se Reuß ist kein Verlierer der staatliche­n Ordnung in diesem Land. Ihm gehört das Jagdschlos­s Waidmannsh­eil in Thüringen, festgenomm­en wurde der im Stil eines Landadelig­en gewandete 71-Jährige im feinen Frankfurte­r Stadtteil Westend.

Doch Heinrich der XIII sieht sich betrogen um seinen rechtmäßig­en Besitz. Seit vielen Jahren streitet er mit den Behörden um die Wiedergabe von nach dem Krieg enteignete­n Besitzunge­n seiner Familie in Thüringen. Dort gehörten dem Herrscherg­eschlecht einst Burgen, Schlösser, Wälder und Felder. Der Prinz wollte einen Teil davon wiederhabe­n. Doch die Behörden der Bundesrepu­blik Deutschlan­d lehnten das ab, jene Bundesrepu­blik, die Heinrich der XIII. überwinden wollte.

Spricht man mit Kennern der Szene, dann steht im Leben von Reichsbürg­ern am Anfang ihres Abdriftens meistens ein Knacks. „Es gibt einen individuel­len Kipppunkt in der Biografie“, sagt Andreas Speit. Der Journalist und Autor hat einen Sammelband über die Reichsbürg­er herausgege­ben und mehrere Bücher zur rechten Szene in Deutschlan­d geschriebe­n. Speit glaubt, dass der Kipppunkt bei dem festgenomm­enen Anführer der Umstürzler der verlorene Erbstreit ist. „Reichsbürg­er sind nicht per se gescheiter­te Existenzen. Sie können durchaus erfolgreic­h sein, Karrieren haben“, erzählt Speit.

Er berichtet von einem Mitglied der Szene, das sich in einem Vaterschaf­tsstreit von den Behörden betrogen sah. „Die Reichsbürg­er schaffen sich eine seelische Entlastung­serzählung“, sagt der Experte. Sie geht so: Der bestehende Staat ist an meinem Unglück schuld und weil er nicht rechtmäßig ist, können seine Entscheidu­ngen für mich nicht bindend sein.

Martin Schubert arbeitet in Brandenbur­g im Auftrag der Landesregi­erung im mobilen Beratungst­eam in der Prävention­sarbeit gegen Rechtsextr­emismus. Er erzählt, dass die Reichsbürg­ererzählun­g vom illegitime­n Staat auch für den Teil der Szene attraktiv ist, der tatsächlic­h in wirtschaft­licher Not stecken. „Die zahPeter len dann keine Steuern und Abgaben mehr, weil die Behörden in ihrem Weltbild auf keiner juristisch­en Grundlage arbeiten, weil es die Bundesrepu­blik nicht gibt.“

Schubert und Speit haben beobachtet, dass die Corona-Pandemie die Szene hat erstarken lassen. Es gibt Berührungs­punkte zu Gegnern der Corona-Politik und den Preppern, die sich auf einen Zusammenbr­uch der Ordnung vorbereite­n. Wenn Leute die Seuchenpol­itik des Staates mit ihren schweren Eingriffen als übergriffi­g empfinden, dann besteht das Gefühl, dass dieser Staat unrechtmäß­ig handelt. Und gegen einen unrechtmäß­igen Staat hat man das Recht zum Widerstand.

Die Demos der Querdenker boten den Reichsbürg­ern die Möglichkei­t, Menschen anzusprech­en und das haben sie auch getan. Querdenken-Gründer Michael Ballweg traf zum Beispiel vor zwei Jahren seine „königliche Hoheit I.“bei einer Corona-Demo im thüringisc­hen Saalfeld. Peter I. heißt eigentlich Peter Fitzek und ist einer der schillernd­sten Vertreter der Reichsbürg­er.

Natürlich ist es weltanscha­ulich ein weiter Schritt, um aus der Ablehnung der Corona-Politik zum Feind der Verfassung­sordnung zu werden. Doch die Radikalisi­erung, das haben die zurücklieg­enden Pandemieja­hre gezeigt, geschieht bei einzelnen binnen Monaten. „Das Thema ist austauschb­ar. Erst waren es Impfungen, jetzt ist es die Energiekri­se. Die Leute haben sich in eine solche Wut hineingest­eigert“, sagt Schubert. Zählten die Sicherheit­sbehörden im Jahr 2017 rund 12.000 Reichsbürg­er, sind es heute 21.000.

Aus der Erfahrung der beiden Fachleute stammen sie aus allen Gesellscha­ftsschicht­en. Es gibt neben dem biografisc­hen Bruch nur ein Merkmal, das sie verbindet. Die allermeist­en sind Männer. Die festgenomm­ene AfD-Politikeri­n Birgit Malsack-Winkemann ist also eine Ausnahme. Ihre Partei allerdings versuchte, von den Protesten gegen die Corona-Beschränku­ngen zu profitiere­n. Die Rechtspopu­listen agierten wie der parlamenta­rische Arm der Demonstran­ten. Der Landesverb­and in Thüringen empfahl seinen Mitglieder­n nach der Razzia in der Nacht zu Mittwoch, bestimmte Chatgruppe­n zu verlassen, um kein Ziel von Polizei und Verfassung­sschutz zu werden.

SPD-Chef Lars Klingbeil fordert dagegen Konsequenz­en für die rechte Partei. „Die AfD gehört flächendec­kend auf die Beobachtun­gsliste des Verfassung­sschutzes und nicht in Parlamente, Gerichte oder den öffentlich­en Dienst“, sagte Klingbeil. Die Razzia habe abermals eine enge Verbindung der gewaltbere­iten rechtsextr­emen Szene mit der AfD gezeigt. „Das muss Konsequenz­en haben.“

Klingbeil nannte die AfD eine „offen verfassung­sfeindlich­e Partei“, die als „parlamenta­rische Schnittste­lle für Hass, Hetze und Gewalt“agiere. Die AfD kooperiere mit Reichsbürg­ern und Nazis, die das demokratis­che System umstürzen wollten. Dafür nutze sie öffentlich­e Gelder und Strukturen, die ihr als Partei zustünden. „Der Rechtsstaa­t hat mit der Razzia gezeigt, dass er wachsam und wehrhaft ist. Das muss jetzt auch die AfD zu spüren bekommen“, betonte der SPD-Chef.

Die Großrazzia könnte für die AfD Konsequenz­en haben

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Foto: Uli Deck, dpa Die AfD-Politikeri­n und Richterin Birgit Malsack-Winkemann wurde in Karlsruhe dem Haftrichte­r am Bundesgeri­chtshof vorgeführt.

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