Der Wahn der Reichsbürger
Adlige, Handwerker, Soldaten – was verbindet diese Menschen in ihrer Feindschaft zum Staat? Kenner der Szene sagen, es sind Kipppunkte in der eigenen Biografie. Ein Phänomen, das durch alle Gesellschaftsschichten reicht.
Berlin Was hat den Prinzen Heinrich XIII. dazu bewogen, die Regierung stürzen zu wollen? Der Herr aus dem alten Fürstenhause Reuß ist kein Verlierer der staatlichen Ordnung in diesem Land. Ihm gehört das Jagdschloss Waidmannsheil in Thüringen, festgenommen wurde der im Stil eines Landadeligen gewandete 71-Jährige im feinen Frankfurter Stadtteil Westend.
Doch Heinrich der XIII sieht sich betrogen um seinen rechtmäßigen Besitz. Seit vielen Jahren streitet er mit den Behörden um die Wiedergabe von nach dem Krieg enteigneten Besitzungen seiner Familie in Thüringen. Dort gehörten dem Herrschergeschlecht einst Burgen, Schlösser, Wälder und Felder. Der Prinz wollte einen Teil davon wiederhaben. Doch die Behörden der Bundesrepublik Deutschland lehnten das ab, jene Bundesrepublik, die Heinrich der XIII. überwinden wollte.
Spricht man mit Kennern der Szene, dann steht im Leben von Reichsbürgern am Anfang ihres Abdriftens meistens ein Knacks. „Es gibt einen individuellen Kipppunkt in der Biografie“, sagt Andreas Speit. Der Journalist und Autor hat einen Sammelband über die Reichsbürger herausgegeben und mehrere Bücher zur rechten Szene in Deutschland geschrieben. Speit glaubt, dass der Kipppunkt bei dem festgenommenen Anführer der Umstürzler der verlorene Erbstreit ist. „Reichsbürger sind nicht per se gescheiterte Existenzen. Sie können durchaus erfolgreich sein, Karrieren haben“, erzählt Speit.
Er berichtet von einem Mitglied der Szene, das sich in einem Vaterschaftsstreit von den Behörden betrogen sah. „Die Reichsbürger schaffen sich eine seelische Entlastungserzählung“, sagt der Experte. Sie geht so: Der bestehende Staat ist an meinem Unglück schuld und weil er nicht rechtmäßig ist, können seine Entscheidungen für mich nicht bindend sein.
Martin Schubert arbeitet in Brandenburg im Auftrag der Landesregierung im mobilen Beratungsteam in der Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus. Er erzählt, dass die Reichsbürgererzählung vom illegitimen Staat auch für den Teil der Szene attraktiv ist, der tatsächlich in wirtschaftlicher Not stecken. „Die zahPeter len dann keine Steuern und Abgaben mehr, weil die Behörden in ihrem Weltbild auf keiner juristischen Grundlage arbeiten, weil es die Bundesrepublik nicht gibt.“
Schubert und Speit haben beobachtet, dass die Corona-Pandemie die Szene hat erstarken lassen. Es gibt Berührungspunkte zu Gegnern der Corona-Politik und den Preppern, die sich auf einen Zusammenbruch der Ordnung vorbereiten. Wenn Leute die Seuchenpolitik des Staates mit ihren schweren Eingriffen als übergriffig empfinden, dann besteht das Gefühl, dass dieser Staat unrechtmäßig handelt. Und gegen einen unrechtmäßigen Staat hat man das Recht zum Widerstand.
Die Demos der Querdenker boten den Reichsbürgern die Möglichkeit, Menschen anzusprechen und das haben sie auch getan. Querdenken-Gründer Michael Ballweg traf zum Beispiel vor zwei Jahren seine „königliche Hoheit I.“bei einer Corona-Demo im thüringischen Saalfeld. Peter I. heißt eigentlich Peter Fitzek und ist einer der schillerndsten Vertreter der Reichsbürger.
Natürlich ist es weltanschaulich ein weiter Schritt, um aus der Ablehnung der Corona-Politik zum Feind der Verfassungsordnung zu werden. Doch die Radikalisierung, das haben die zurückliegenden Pandemiejahre gezeigt, geschieht bei einzelnen binnen Monaten. „Das Thema ist austauschbar. Erst waren es Impfungen, jetzt ist es die Energiekrise. Die Leute haben sich in eine solche Wut hineingesteigert“, sagt Schubert. Zählten die Sicherheitsbehörden im Jahr 2017 rund 12.000 Reichsbürger, sind es heute 21.000.
Aus der Erfahrung der beiden Fachleute stammen sie aus allen Gesellschaftsschichten. Es gibt neben dem biografischen Bruch nur ein Merkmal, das sie verbindet. Die allermeisten sind Männer. Die festgenommene AfD-Politikerin Birgit Malsack-Winkemann ist also eine Ausnahme. Ihre Partei allerdings versuchte, von den Protesten gegen die Corona-Beschränkungen zu profitieren. Die Rechtspopulisten agierten wie der parlamentarische Arm der Demonstranten. Der Landesverband in Thüringen empfahl seinen Mitgliedern nach der Razzia in der Nacht zu Mittwoch, bestimmte Chatgruppen zu verlassen, um kein Ziel von Polizei und Verfassungsschutz zu werden.
SPD-Chef Lars Klingbeil fordert dagegen Konsequenzen für die rechte Partei. „Die AfD gehört flächendeckend auf die Beobachtungsliste des Verfassungsschutzes und nicht in Parlamente, Gerichte oder den öffentlichen Dienst“, sagte Klingbeil. Die Razzia habe abermals eine enge Verbindung der gewaltbereiten rechtsextremen Szene mit der AfD gezeigt. „Das muss Konsequenzen haben.“
Klingbeil nannte die AfD eine „offen verfassungsfeindliche Partei“, die als „parlamentarische Schnittstelle für Hass, Hetze und Gewalt“agiere. Die AfD kooperiere mit Reichsbürgern und Nazis, die das demokratische System umstürzen wollten. Dafür nutze sie öffentliche Gelder und Strukturen, die ihr als Partei zustünden. „Der Rechtsstaat hat mit der Razzia gezeigt, dass er wachsam und wehrhaft ist. Das muss jetzt auch die AfD zu spüren bekommen“, betonte der SPD-Chef.
Die Großrazzia könnte für die AfD Konsequenzen haben