Genehmigte Zerstörung?
Im Streit um einen ausgebaggerten Wildbach in einem Allgäuer Naturschutzgebiet taucht ein Aktenvermerk auf, der das Landratsamt in Erklärungsnot bringt.
Oberstdorf Fast einen Monat lang ließ eine Alpgenossenschaft im Allgäuer Rappenalptal mit Baggern einen Wildbach umgraben. Aber wie konnten die Arbeiten mitten im Naturschutzgebiet so lange unbemerkt bleiben, obwohl lediglich ein punktueller Eingriff vorab mit dem Landratsamt abgesprochen wurde? Ein Aktenvermerk der Kreisbehörde, der unserer Redaktion vorliegt, wirft neue Fragen auf. Konnte die Alpgenossenschaft dieses Schreiben so interpretieren, dass der Bach tatsächlich ausgebaggert und kanalisiert werden darf?
Die Alpgenossenschaft berief sich jedenfalls in einem Verfahren am Verwaltungsgericht Augsburg auf den Aktenvermerk des Landratsamts, der – so die Ansicht der Älpler – als Baugenehmigung missverstanden werden konnte. Dies wies das Gericht ab, weil äußeres Erscheinungsbild und Inhalt nicht als Genehmigung interpretiert werden könnten. Bei den durchgeführten Arbeiten handle es sich um einen Gewässerausbau, der ein Genehmigungsverfahren voraussetze.
Obwohl so juristisch geklärt ist, dass der Aktenvermerk keiner Genehmigung gleichzusetzen ist, sorgt das Dokument für Diskussionen. Naturschützer kritisieren es als „Freibrief“. Darin wird ein Projekt beschrieben, das den durchgeführten Arbeiten zumindest recht nahekommt: „Es ist geplant mit einem Bagger das Flussbett so zu modellieren, dass es in der Mitte tiefer wird und das Wasser abführt und zu den seitlichen Böschungen ansteigt“, formuliert es der Behördenmitarbeiter. „Es soll etwa ein Trapezprofil hergestellt werden, wohlwissend, dass sich das Geschiebe mit der Zeit wieder umverteilen wird.“Und es ist festgehalten: „Naturschutzfachlich ist die Maßnahme wünschenswert, da hochwertiges Grünland rechts und links des Bachbettes wieder hergestellt wird.“
„Die teilweise meterhoch überschütteten Flächen entlang des Bachbettes dürfen geräumt werden“, schreibt der Sachbearbeiter der Kreisbehörde. „Der Kies kann innerhalb des aktuellen Bachbettes so modelliert werden, dass ein tieferes Gerinne in der Mitte entsteht und die Böschungen maximal im Verhältnis 1:1 steigen.“Als Ziel wird in dem Schreiben festgehalten: „Der Bach soll wieder in ein schmaleres Bett gebracht werden, welches durch erhöhte Fließgeschwindigkeit auch mehr Kies abtransportiert.“
In dem Schreiben seien nur kleinere, punktuelle Maßnahmen zum Gewässerunterhalt beschrieben, die weniger als eine Woche dauern sollten und keiner Genehmigung bedürfen, erklärte Landrätin Indra Baier-Müller bei einer Pressekonferenz am Donnerstag in Sonthofen. Von den vor Ort besprochenen Maßnahmen seien keine Auswirkungen auf das Schutzgebiet zu erwarten gewesen. Der Aktenvermerk sei dagegen eine Gesprächsnotiz, heißt es beim Landratsamt. „Ein Genehmigungsantrag für einen Gewässerausbau umfasst in der Regel mehrere Aktenordner an Unterlagen“, sagte Baier-Müller.
Die Landrätin stellte die Chronologie der Ereignisse vor. Dabei verfolgte sie nach eigener Aussage das Ziel, den Vorwurf zu entkräften, die Behörden hätten schon früher Bescheid gewusst. Das
Landratsamt hat laut Baier-Müller erst Anfang Oktober vom Ausmaß der Bauarbeiten erfahren, als die Alpgenossenschaft eine E-Mail mit Bildern der Baustelle übermittelte. Dann verhängte die Kreisbehörde einen Baustopp. Die Frage, warum von Behördenseite niemand kontrollierte, ob die Arbeiten weitergingen, beantwortete die Landrätin nicht. Nachfragen waren bei der Pressekonferenz nicht erlaubt. Zu einem Eklat kam es am Rande der Veranstaltung: Der Oberallgäuer Kreisrat Thomas Frey (Grüne) wurde des Saales verwiesen, weil er kein Medienvertreter sei. Frey ist schwäbischer Regionalreferent beim Bund Naturschutz. Dieser hatte die Zerstörung des Biotops publik gemacht.
Der Eingriff im Rappenalptal hatte bayernweit für Empörung gesorgt und auch den Landtag beschäftigt. Umweltminister Thorsten Glauber machte sich vor Ort ein Bild der Schäden und sagte, der ähnle nun mehr einer „Kraterlandschaft als einem mäandernden Flusslauf“. Er kündigte daraufhin an, strafrechtliche Schritte wegen der Baggerarbeiten prüfen zu lassen.