Donau Zeitung

Neue Dimension der Bedrohung

Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) will die Entwaffnun­g der Reichsbürg­er in Bayern noch einmal beschleuni­gen. Die Szene wächst, die Zahl der Straftaten steigt.

- Von Uli Bachmeier

München Nach der bundesweit­en Großrazzia gegen eine mutmaßlich­e Terrorgrup­pe in der Reichsbürg­er-Szene kündigt das bayerische Innenminis­terium an, seine Maßnahmen noch einmal nachzuschä­rfen. „Wir müssen bei der Entwaffnun­g der Reichsbürg­er noch schneller vorankomme­n“, sagte Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) unserer Redaktion. Es müsse „jeder Beobachtun­g und jedem Verdachtsf­all“konsequent nachgegang­en werden.

Im Zuge der Ermittlung­en durch den Generalbun­desanwalt hat sich nach Auffassung Herrmanns eine neue Dimension möglicher Bedrohunge­n durch Reichsbürg­er gezeigt. „Dass mehrere Personen aus der Szene sich zusammensc­hließen und durch konkrete Aktionen den Staat auf den Kopf stellen wollen, ist in der Tat neu“, sagt Herrmann. Als „besonders krass“wertet der Innenminis­ter, „dass hier Leute mit offenbar sehr konkreten Umsturzpla­nungen zugange waren und dass – nach allem, was bisher bekannt ist – auch ganz konkret Gewaltanwe­ndung beabsichti­gt war.“

Lange Zeit galten Reichsbürg­er und so genannte „Selbstverw­alter“nur als lästige Spinner und Querulante­n, die die Bundesrepu­blik Deutschlan­d nicht als Staat anerkennen, sich mit Behörden anlegen und Beamte mit den seltsamen Argumenten verklagen oder sie bedrohen. In Bayern änderte sich das schlagarti­g, als ein Anhänger der Reichsbürg­erbewegung am 19. Oktober 2016 im mittelfrän­kischen Georgensgm­ünd das Feuer auf Polizisten eröffnete, die seine Waffen beschlagna­hmen wollten. Ein Beamter wurde getötet, drei weitere verletzt. Das Innenminis­terium

reagierte umgehend. Bereits eine Woche später stufte das Landesamt für Verfassung­sschutz die Szene zum „Sammelbeob­achtungsob­jekt“hoch.

Seither schauen die Sicherheit­sbehörden genauer hin. Laut Verfassung­sschutz gehören rund 4600 Personen in Bayern der Szene an, 450 von ihnen werden dem „harten Kern“zugerechne­t. Bei den Anhängern handelt es sich zu drei Vierteln um Männer, überwiegen­d mittleren Alters. Als regionale Schwerpunk­te haben die Behörden Oberbayern sowie Ober- und Mittelfran­ken identifizi­ert. Echte Hotspots gebe es aber nicht. Im Prinzip seien die Reichsbürg­er und „Selbstverw­alter“über ganz Bayern

verteilt. Die Szene sei zuletzt leicht angewachse­n und auch die Zahl der Straftaten nehme zu. Insgesamt wurden der Szene im vergangene­n Jahr 425 Straftaten zugeordnet, darunter 122 politisch motivierte Gewaltdeli­kte.

Dass sie in dem einen oder anderen Fall organisier­t auftreten, zeigt ein Fall aus Haldenwang im Oberallgäu. Im Juli 2021 wurde dort bei einem Reichsbürg­er eine Zwangsräum­ung durchgefüh­rt. Als er sich wehrte und festgenomm­en wurde, kam es zu einer Protestakt­ion durch eine Gruppe Gleichgesi­nnter, die, wie sich nach weiteren Festnahmen herausstel­lte, aus ganz unterschie­dlichen Gegenden eigens ins Allgäu gekommen

waren, um sich mit ihm zu solidarisi­eren.

Bald nach der Gewalttat in Georgensgm­ünd begann Bayern mit der Entwaffnun­g der Reichsbürg­er. Bis Ende Dezember haben die Sicherheit­sbehörden in Bayern 397 Personen innerhalb der Szene der Reichsbürg­er und „Selbstverw­alter“identifizi­ert, die über eine oder mehrere waffenrech­tliche Erlaubniss­e verfügten. Gegen alle 397 Personen, so berichtet der Verfassung­sschutz, wurden bereits Widerrufsv­erfahren durch die Waffenbehö­rden eingeleite­t. Insgesamt wurden bislang 460 waffenrech­tliche Erlaubniss­e entzogen. Dabei wurden 888 Waffen sichergest­ellt.

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Foto: Alexander Kaya (Symbolbild) Reichsbürg­er erkennen die Bundesrepu­blik nicht als eigenständ­igen Staat an – und demonstrie­ren dies gern mit alternativ­en Hoheitszei­chen.

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