Donau Zeitung

Als der Krieg nach Russland kam

- Von Margit Hufnagel

In dieser Woche sind ukrainisch­e Drohnen so nah bei Moskau eingeschla­gen wie noch nie. Was das für den weiteren Verlauf der Kämpfe und die Anforderun­gen an den Westen bedeutet.

Augsburg/Kiew Es ist einer der erstaunlic­heren Auftritte des russischen Präsidente­n in diesen an Erstaunlic­hkeiten nicht gerade armen Zeiten. Wladimir Putin hält sein Sektglas in der rechten Hand, er wippt von einem Bein aufs andere, immer wieder grinst er, zieht die Augenbraue­n nach oben. Ausgerechn­et Putin, der disziplini­erte und kontrollie­rte Staatsmann, sieht sich mit hämischen Kommentare­n konfrontie­rt, ob er vielleicht angetrunke­n sei. Und das bei einer Rede zum Krieg. Der PutinExper­te Anders Aslund schrieb auf Twitter: „Dies ist das erste Mal, dass ich Putin in irgendeine­m Zusammenha­ng betrunken gesehen habe. Er redet wie immer Unsinn, aber er scheint zu erkennen, dass er ein Versager ist. Sehr interessan­t und vielverspr­echend.“

Fast täglich muss der 70-Jährige hinnehmen, dass Gegenschlä­ge von ukrainisch­er Seite mit Drohnen oder anderen Waffen nun die in Russland für das Militär und die Energiever­sorgung wichtige Infrastruk­tur treffen. Die Bilder von Bränden und Rauchwolke­n, die etwa auch am Donnerstag wieder in Belgorod in Grenznähe zur Ukraine zu sehen waren, gelten als verheerend für das vom Kreml gezeichnet­e Bild der Unverletzl­ichkeit Russlands. Die britischen Geheimdien­ste werteten die jüngsten Angriffe auf russische Militärflu­ghäfen als signifikan­ten Rückschlag für Putin. Sollte Russland die Explosione­n als gezielte Attacken einstufen, sei dies wohl ein schweres Versagen beim Schutz der eigenen Truppen, schrieb das britische Verteidigu­ngsministe­rium in dieser Woche in seinem täglichen Geheimdien­stbericht auf Twitter.

Doch was bedeuten die Schläge, die so weit ins russische Landesinne­re reichen, wie noch nie in diesem Krieg? „Es bedeutet derzeit nicht sehr viel“, dämpft Joachim Krause, Chef des Instituts für Sicherheit­spolitik in Kiel, die Erwartunge­n an ein Ende des nun schon fast zehn Monate währenden Krieges. Die Ukraine habe zwar mit alten Drohnen sowjetisch­er Bauart und neuer Zielerfass­ungstechno­logie die russische Luftabwehr einige Male überlisten können und kleine Erfolge erzielt. „Ich vermute, dass das nicht dauerhaft zu einem Problem für Russland wird, es sei denn, dass findige Ingenieure heimlich eine Wunderwaff­e entwickelt haben“, sagt der Experte. „Bei

der furchtbare­n – und möglicherw­eise kriegsents­cheidenden – Asymmetrie zugunsten Russlands bei den Fähigkeite­n, Ziele tief im gegnerisch­en Gebiet anzugreife­n, wird es wohl bleiben.“

Der Angriff tief im russischen Hinterland kam nicht völlig überrasche­nd. Bereits 2020 war der Prototyp einer Kampfdrohn­e mit dem Namen Sokil-300 (Deutsch: Falke-300) vom Kiewer Entwicklun­gsbüro Lutsch präsentier­t worden. Die Angriffe auf das südrussisc­he Gebiet Saratow erfolgten mit Drohnen vom Typ Tu-141 „Strisch“(Deutsch: Segler) mit einer Reichweite von bis zu 600 Kilometern. Von Kiew nach Moskau sind es Luftlinie 760 Kilometer.

Seit Langem schon fordert die Ukraine von den USA und anderen Nato-Staaten Angriffswa­ffen mit größerer Reichweite. Der Westen zögert, auch weil er verhindern will, dass der Krieg durch Attacken gegen Russland weiter eskaliert. Vize-Regierungs­sprecherin Christiane Hoffmann betont allerdings: „Nach unserer Ansicht übt die Ukraine ihr Recht auf Selbstvert­eidigung aus“, wie es in Artikel 51 der

UN-Charta verankert sei. „Die Bundesregi­erung hält da, was die Ukraine da macht, für legitim.“

Für den Sicherheit­sexperten Krause sind solche Erklärunge­n zu wenig. „Ich halte dieses Zögern für gefährlich“, sagt er. „Es ist faktisch eine Einladung an Russland, die Ukraine immer stärker zu zerstören und dadurch den Krieg auf der strategisc­hen Ebene zu gewinnen, wenn es auf dem Schlachtfe­ld nicht gelingt.“Denn die Angriffe der Ukraine bleiben Einzelfäll­e, während Russland die massive

Zerstörung der ukrainisch­en Infrastruk­tur fortsetzt. „Zwar helfen Luftabwehr­systeme, aber die Russen können diese saturieren“, sagt Krause. „Es ist mir rätselhaft, dass die US-Regierung Russland nicht vor die Alternativ­e gestellt hat, entweder diese Angriffe einzustell­en oder damit rechnen zu müssen, dass man den Ukrainern Waffen gibt, die tief in den russischen Raum hineinwirk­en können. Die Bereitscha­ft zur Eskalation ist manchmal wichtig, um einen Krieg beenden zu können!“

Deutschlan­d spielt allerdings für Krause in dieser Frage ausdrückli­ch keine Rolle. Die Bundeswehr verfüge nämlich gar nicht über Langstreck­enwaffen, wenn man mal von Kampfflugz­eugen absehe, die theoretisc­h tief in russisches Gebiet eindringen könnten. Deren Transfer nach Russland steht derzeit nicht zur Debatte. „Notwendig wären Marschflug­körper, ballistisc­he Raketen und bewaffnete Drohnen größerer Reichweite, die wir nicht besitzen“, sagt der Experte. Auch die USA besitzen keine landgestüt­zten Mittelstre­ckenrakete­n mit den hier geforderte­n Reichweite­n von über 500 Kilometern. „Was die USA aber machen könnten, wäre HIMARS-Raketenwer­fer

Putin versagt beim Schutz der eigenen Truppen

mit Flugkörper­n auszurüste­n, die Reichweite­n von bis zu 300 Kilometern haben.“Ansonsten verfügen die US-Streitkräf­te über luftgestüt­zte Marschflug­körper, die in ukrainisch­e Kampfflieg­er integriert werden müssten und Kampfdrohn­en, die auch über längere Distanzen eingesetzt werden können. Dies wäre nach Ansicht Krauses vermutlich nur mit erhebliche­m Aufwand an technische­n Umbaumaßna­hmen und Ausbildung­saktivität­en möglich. „Aber die US-Regierung hat sich bislang geweigert, weiterreic­hende Waffen an die Ukraine zu geben“, sagt er. „Man befürchtet eine Eskalation. Ich halte dieses Argument für nicht stichhalti­g und Ausdruck von übertriebe­ner Furcht.“

Putin selbst lächelt und trinkt Sekt. Russland sei um neue Gebiete gewachsen, sagt er. „Das ist doch ein bedeutende­s Ergebnis für Russland.“(mit dpa)

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Foto: Administra­tion of the Kursk regiion, dpa Videos aus der russischen Industries­tadt Kursk zeigten eine große Stichflamm­e im Bereich des Flughafens. Es soll sich um einen ukrainisch­en Drohnenang­riff gehandelt haben.

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