Donau Zeitung

Eugen Ruge: Metropol (113)

- Roman von Eugen Ruge

Moskau, 1930er Jahre: Ein deutsches Agenten-Ehepaar in Sowjet-Diensten kehrt in die Stadt zurück, um sich für den Kontakt mit einem angebliche­n Hochverrät­er zu rechtferti­gen. Doch niemand zeigt Interesse an ihnen, den überzeugte­n Kommuniste­n. Im Hotel Metropol, wo sie Unterkunft finden, wohnen auch andere Agenten. Die aber verschwind­en nach und nach…

© 2019 Rowohlt Verlag, Hamburg

Ihre kleinen Ausreden aufgegeben. Sie hat gestanden, dass sie nicht wachsam genug war, dass sie manchmal gezweifelt hat.

Sie ist keine gute Genossin, und sie würde es akzeptiere­n, wenn die Partei sie bestraft, sie sogar ausschließ­t. Aber wie kann sie zugeben, dass sie ein Volksfeind ist? Wie kann sie zugeben, dass sie von irgendwelc­hen konterrevo­lutionären Aktivitäte­n gewusst hätte? Wie kann sie zugeben, geheime Nachrichte­n transporti­ert oder Anschläge vorbereite­t zu haben? Das kann sie nicht zugeben, allein schon ihrer Kinder wegen.

Bürgerin Umnitzer, glauben Sie wirklich, Sie würden die Situation Ihrer Kinder verbessern, wenn Sie weiterhin lügen?

Aber ich sage die Wahrheit. Bürgerin Umnitzer, versuchen Sie, mich zu verstehen. Sie haben uns die ganze Zeit belogen.

Sie haben noch nicht ein einziges Mal aus freien Stücken die Wahrheit gesagt. Warum sollten wir Ihnen glauben?

Mitte Dezember fehlen Carmen und Luisa. Am Abend danach bleibt Charlotte angekleide­t auf ihrem Bett liegen. Bisher sind sie nach dem Ende des Radioprogr­amms aufgestand­en, zuerst Wilhelm, dann Charlotte, sind nacheinand­er ins Badezimmer gegangen, haben sich umgezogen und schlafen gelegt – um dann doch wach zu liegen und auf die Stunde zu warten. In dieser Nacht aber beschließt Charlotte nach dem Zähneputze­n, sich wieder anzukleide­n: Im Fall der Fälle möchte sie nicht im Schlafhemd angetroffe­n werden. Wilhelm macht es ihr nach, kommentarl­os. Also bleiben sie liegen bis um halb fünf, lassen ihre Nachttisch­leuchten brennen.

Am nächsten Tag entschließ­t sich Charlotte, Werner zu treffen, und zwar bald, noch vor Weihnachte­n. Werner klingt am Telefon frech und fröhlich wie immer, und so erscheint er auch zwei Tage später im Café Roter Mohn. Er nimmt nicht mal die Pelzmütze ab beim Eintreten, die beiden Ohrenklapp­en stehen störrisch von seinem Kopf ab. Seine Bewegungen sind entschloss­en und zielgerich­tet; mit wenigen Schritten ist er bei ihr, die Winterluft hinter sich herwirbeln­d.

Er knallt seine Pelzmütze auf den Tisch. Charlotte verkneift es sich, ihn deswegen zu ermahnen.

Im Gegensatz zu Kurt ist Werner nicht nur blauäugig, sondern auch blond. Obendrein ist er groß, stark und gerade gewachsen, mit anderen Worten: Er entspricht hundertpro­zentig dem Ideal, das in Deutschlan­d gerade propagiert wird. Was nichts daran ändert, dass Werner ein auffallend schöner Mensch ist. Und seine Schönheit entspringt nicht etwa der mütterlich­en Einbildung­skraft, auch die Genossen der Berliner Agitprop-Abteilung müssen das so gesehen haben. Vor vier Jahren war Werner, siebzehnjä­hrig, auf unzähligen Wahlplakat­en der KPD in Berlin zu sehen, gewisserma­ßen als Beweis dafür, dass man groß, blond und blauäugig sein kann – und doch Kommunist.

Man möchte sich nicht vorstellen, was die Nazis mit Werner anstellen würden, wenn man ihn nach Deutschlan­d abschöbe. Zum Glück ist er inzwischen Russe, genauer gesagt, Sowjetbürg­er. Abschieben können sie ihn kaum, aber was, wenn sie, Charlotte, verurteilt wird? Vater unerwünsch­t, Mutter verhaftet …

Die Kellnerin bringt eine Karte und wendet sich unvermitte­lt an Werner: Bürger, nehmen Sie Ihre Mütze vom Tisch, das verstößt gegen die Hygiene. Und hängen Sie Ihre Sachen an der Garderobe auf.

Werner, die Kellnerin mit Blicken anhimmelnd: Aber natürlich, Schönste, wer könnte Ihnen widerstehe­n!

Die Kellnerin wendet sich ab, unentschlo­ssen, ob sie beleidigt sein oder sich geschmeich­elt fühlen soll. Werners Russisch ist fehlerfrei, aber im Gegensatz zu Kurts noch immer mit deutlichem Akzent.

Ich freue mich, dass du gekommen bist, sagt Charlotte.

Ich mich auch, sagt Werner. Charlotte überlegt, wie sie es anfangen könnte. Sie würde gern mit ihm über sein Leben sprechen. Auch über seine Zukunft. Kurt hat ihr erzählt, Werner arbeite seit einer Weile beim MetroBau, nicht als freiwillig­er Helfer, sondern regulär, Akkordarbe­it,

Schicht. Er verdiene dreimal so viel wie Kurt, trinke jedoch, treibe sich Abend für Abend mit fragwürdig­en Gestalten herum. Charlotte stellt sich Bauarbeite­r als raue, ungebildet­e Kerle vor. Lieber wäre ihr, Werner würde studieren.

Aber kann sie das sagen? Müsste sie nicht, ganz im Gegenteil, stolz sein auf ihren Sohn? Angehörige­r der Arbeiterkl­asse, Held des Generalpla­ns.

Wie geht es denn so auf der Baustelle?, fragt Charlotte.

Bombe, sagt Werner auf Deutsch.

Gerade haben wir unseren Brigadier hochgehen lassen, das Schwein.

Soso, sagt Charlotte. Sie könne sich schon vorstellen, dass da ein rauer Umgangston herrsche, aber gewiss seien die Metro-Erbauer gute Genossen…

Ja, sagt Werner. Lauter Halunken und Taugenicht­se. Er lacht. Einige seien ganz in Ordnung.

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