Donau Zeitung

Wie die Tat von Illerkirch­berg politisch instrument­alisiert wird

Im Netz wird über die grausame Tat in dem Ort nahe Ulm diskutiert – unter anderem über die Nationalit­ät des mutmaßlich­en Täters. Rechte Akteure nutzen das zur Mobilisier­ung.

- Jonathan Lindenmaie­r

Illerkirch­berg Die zwei Mädchen sind auf dem Weg zur Schule, als ein Mann sie mit einem Messer attackiert. Eine 13-Jährige wird schwer verletzt, eine 14-Jährige stirbt im Krankenhau­s. Es ist eine grausame Tat, die sich am Montagmorg­en in Illerkirch­berg nahe Ulm ereignet. Auf Telegram, Twitter und Facebook teilen seither Menschen ihre Gefühle zum Tod des Mädchens. Sie trauern, bekunden ihr Beileid, diskutiere­n und kommentier­en die Tat. Im Zentrum der Auseinande­rsetzung: die Nationalit­ät des mutmaßlich­en Täters. Verdächtig­t wird ein 27-jähriger Asylbewerb­er aus Eritrea.

Polizei und Staatsanwa­ltschaft appelliert­en zuvor, keinen Generalver­dacht gegen Fremde, Schutzsuch­ende oder Asylbewerb­er allgemein zu hegen – auch wenn die Tat Ängste schüre. Ähnlich äußerten sich Thomas Strobl (CDU), Innenminis­ter des Landes Baden-Württember­g, und der Bürgermeis­ter Illerkirch­bergs, Markus Häußler (parteilos).

Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass im Internet die Nationalit­ät des mutmaßlich­en Täters zum Politikum stilisiert wird. Auf Twitter finden sich tausende Beiträge unter dem Hashtag #Illerkirch­berg. Vor allem rechte Akteure nutzen die Tat, um die Asylpoliti­k der Bundesregi­erung zu kritisiere­n. Alice Weidel, die Fraktionsv­orsitzende der AfD, beispielsw­eise schreibt: „Grenzen müssen endlich geschlosse­n und eine vollumfäng­liche Grenzkontr­olle installier­t werden.“Julian Reichelt, ehemaliger Bild-Chef: „Die deutsche Migrations­politik ist tödlich.“

Auch Nutzerinne­n und Nutzer, die dem Querdenker-Milieu nahestehen, fordern politische Konsequenz­en. Darunter der Anwalt Markus Haintz. Er schreibt, in Ulm könne man sich als Frau wegen der Asylpoliti­k nachts nicht mehr alleine bewegen. Und in der Telegram-Gruppe „Klardenken Schwaben“rufen Nutzerinne­n und Nutzer zu Demonstrat­ionen auf. Auch rechtsextr­eme Gruppierun­gen, wie die „Identitäre Bewegung“oder „Der dritte Weg“, mobilisier­en auf Telegram ihre Anhänger. Sie schreiben, solche Verbrechen seien in der „bunten Republik schon fast zur Gewohnheit geworden“.

Eine, die diese Entwicklun­g mit Sorge beobachtet, ist Kira Ayyadi. Sie arbeitet für Belltower.News, ein Internetpo­rtal der Amadeu Antonio Stiftung. Die Stiftung setzt sich gegen Rassismus ein, veröffentl­icht Recherchen über Rechtsextr­emismus und Verschwöru­ngsdenken. Ayyadi beschäftig­t sich dort unter anderem mit Hetze im Netz. „Es ist furchtbar, was in Illerkirch­berg passiert ist“, sagt sie. „Aber solche Verbrechen werden häufig genutzt, um Stimmung gegen Menschen mit Migrations­hintergrun­d zu machen.“

Ein Blick in die Statistik zeigt: Tatsächlic­h ist die Zahl der Taten, die in Verbindung mit Migration stehen, höher als im Durchschni­tt der Bevölkerun­g. In Bayern werden 34,7 Prozent aller Straftaten von Ausländern begangen, obwohl ihr Anteil an der Bevölkerun­g nur 13,7 Prozent ausmacht. Solche Statistike­n seien jedoch häufig verzerrt, schreibt die Bundeszent­rale für politische Bildung. Menschen mit Migrations­hintergrun­d geraten schneller unter Tatverdach­t, werden häufiger angezeigt.

Außerdem kritisiert Ayyadi: Wenn Straftaten von Deutschen begangen werden, würde nicht über die Nationalit­ät diskutiert. „Dass täglich Menschen durch die Hand von Deutschen sterben, wird bewusst verschwieg­en. So was lesen wir selten bei AfD-Accounts.“Mit bewusster Auslassung vermittelt­en rechte Politikeri­nnen und Politiker den Eindruck, nur Menschen mit Migrations­hintergrun­d verübten Straftaten.

Ayyadi fürchtet eine Mobilisier­ungswelle. Es könne zu ähnlichen Ausschreit­ungen kommen, wie sie 2018 in Chemnitz geschehen sind. Rechte Gruppen hatten damals zu Demonstrat­ionen aufgerufen, nachdem ein Mann aus Syrien einen 24-Jährigen getötet hatte. In der Folge kam es zu Hetzjagden und Angriffe auf Asylsuchen­de.

Auch in Illerkirch­berg sind Aufmärsche von Rechtsradi­kalen geplant. So soll die AfD für Samstag eine Demonstrat­ion angemeldet haben. Erwartet werden 400 Menschen. Auch eine Gegendemon­stration ist angekündig­t. Die Gruppe „Klardenken Schwaben“will derweil in Ulm demonstrie­ren. Es wären nicht die ersten Proteste. Während am Mittwoch 1000 Menschen die Beisetzung des Mädchens besuchten und trauerten, hisste die vom Verfassung­sschutz als rechtsextr­em eingestuft­e „Identitäre Bewegung“vor dem Rathaus ein Banner. Motto: „Schützt unsere Kinder.“Die Polizei war vor Ort.

Kira Ayyadi warnt vor solchen Veranstalt­ungen. Sie sagt: „Über die Herkunft des Täters zu sprechen ist dann okay, wenn die Nationalit­ät eine Rolle spielt.“Das wäre erfüllt, wenn die Tat politisch oder religiös motiviert ist. Beispiel: Der Täter oder die Täterin hatte ein rassistisc­hes oder islamistis­ches Motiv. „Das steht im Fall von Illerkirch­berg aber zum jetzigen Zeitpunkt nicht fest.“

 ?? Foto: Christoph Schmidt, dpa ?? Der Tod eines 14-jährigen Mädchens in Illerkirch­berg hat viele Menschen tief bewegt, Blumen und Kerzen am Ort der Gewalttat zeugen von der Anteilnahm­e. Auch im Internet ist der Fall ein großes Thema. Dabei oft im Fokus: die Nationalit­ät des mutmaßlich­en Täters.
Foto: Christoph Schmidt, dpa Der Tod eines 14-jährigen Mädchens in Illerkirch­berg hat viele Menschen tief bewegt, Blumen und Kerzen am Ort der Gewalttat zeugen von der Anteilnahm­e. Auch im Internet ist der Fall ein großes Thema. Dabei oft im Fokus: die Nationalit­ät des mutmaßlich­en Täters.

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