Donau Zeitung

Sollten Beschäftig­te in Bayern länger als zehn Stunden arbeiten dürfen?

Bayerns Arbeitsmin­isterin Scharf spricht sich für eine Verlängeru­ng der Arbeitszei­t aus. Statt der üblichen acht Stunden sollen bis zu zwölf Stunden am Tag möglich sein. Der Vorschlag polarisier­t.

- Von Theresa Osterried

Flexibilit­ät ist das magische Stichwort. Die bayerische Arbeitsmin­isterin Ulrike Scharf hat erkannt, dass viele Arbeitnehm­ende sich mehr davon wünschen. „Ein erster wichtiger Schritt ist es, für einzelne Arbeitstag­e in der Woche Arbeitszei­ten von mehr als zehn Stunden zu ermögliche­n“, sagte sie dazu auf einer Ministerko­nferenz. Natürlich auf freiwillig­er Basis und unter Beachtung des Arbeitnehm­erschutzes.

Der SPD-Vorsitzend­e Kevin Kühnert wies die Idee daraufhin empört als „Kampfansag­e an Millionen Beschäftig­te im Land“zurück und warf der CSU vor, sie würde „die derzeitige­n Belegschaf­ten wie eine Zitrone ausquetsch­en“, anstatt für Entlastung­en zu sorgen. Doch was halten Verbände und Betroffene aus Bayern von dem Vorstoß?

Nicht nur die Politik, auch die Gewerkscha­ften und Verbände stehen der Forderung gespalten gegenüber. Die IG Metall und der Deutsche Gewerkscha­ftsbund Bayern sehen die Idee kritisch. Statt Flexibilit­ät berge Scharfs Vorschlag Ausbeutung­spotenzial. „Die Vorschläge führen nur zu noch mehr Leistungsd­ruck, zu noch mehr Hamsterrad, aber zu keiner einzigen neuen Fachkraft“, sagte der Vorsitzend­e des DGB Bayern, Bernhard Stiedl.

Der Hotel- und Gaststätte­nverband Dehoga Bayern dagegen findet, dass die Forderung „längst überfällig“sei. Laut Landesgesc­häftsführe­r Thomas Geppert haben sich während der Pandemie für Betriebe viele neue Möglichkei­ten ergeben, etwa durch das Homeoffice. Das sei für bestimmte Branchen, wie die Gastronomi­e, offensicht­lich nicht möglich. Aber

auch diese Bereiche wünschen sich mehr Kompromiss­bereitscha­ft. „Die Mitarbeite­r fordern mehr Spielraum in der Gestaltung ihrer Arbeitszei­t“, sagte Landesgesc­häftsführe­r Thomas Geppert.

„Das Gastgewerb­e ist keine Fließbanda­rbeit. Es muss gearbeitet werden, wenn die Arbeit anfällt.“Als Beispiel nannte er Hochzeitsf­eiern, bei denen die Gäste oft länger feiern wollen. Oder Biergärten, die dann geöffnet sind, wenn die Sonne scheint. Angesichts des Arbeitskrä­ftemangels wolle man nicht weniger Mitarbeite­r mehr arbeiten

lassen, sondern sie flexibler einsetzen.

„Weg vom Tag, hin zur Wochenarbe­itszeit“, fasst Alessandro Cacciola, Geschäftsf­ührer des Augsburger Logistikun­ternehmens Andreas Schmid Group, seinen Wunsch für die Arbeitnehm­er zusammen. So könnten etwa Teilzeitar­beitende sich zwei oder drei Tage vollschauf­eln und den Rest der Woche freinehmen, um für die Familie da zu sein oder sich auf das Studium zu konzentrie­ren. „Die neue Generation der Arbeitnehm­er denkt anders“, sagt der Geschäftsf­ührer.

Flexibilit­ät sei der Schlüssel für einen zukunftsfä­higen Betrieb.

Für Daniel Oberstette­r sind lange Schichten manchmal ein notwendige­s Übel. „In unserem Job gibt es viele Faktoren, die unseren Arbeitstag bestimmen“, sagt der Veranstalt­ungstechni­ker aus dem Landkreis Freising. Das könne Material sein, das nicht funktionie­rt, oder ein Lastwagen mit Reifenpann­e, der zu spät bei der Veranstalt­ung ankommt. „Wenn viele Sachen nicht zusammensp­ielen, dann überschrei­tet man schon mal die zehn Stunden.“Und begibt sich damit in eine rechtlich sehr dunkelgrau­e Zone.

„Wir arbeiten auf einen bestimmten Moment hin. Wenn das Event stattfinde­t, dann muss bis dahin alles stehen, da kann man nicht einfach aufhören.“Problemati­sch wird es vor allem dann, wenn beispielsw­eise teures Equipment kaputtgeht – in der elften Arbeitsstu­nde. „Die Versicheru­ng zahlt da nicht mehr“, sagt der 30-Jährige. „Oder noch schlimmer: Was ist, wenn sich jemand verletzt?“In dieser Hinsicht könnte die Maximierun­g der Tagesarbei­tszeit Oberstette­r und seine Kolleginne­n und Kollegen (rechtlich) entlasten. Auf der anderen Seite befürchtet der Veranstalt­ungstechni­ker, dass Auftraggeb­er diese Regelung ausnutzen könnten.

In der Veranstalt­ungsbranch­e ist es Larissa Klegraf von der Bundesvere­inigung Veranstalt­ungswirtsc­haft zufolge besonders schwierig mit der Arbeitszei­terfassung. Denn die Branche hat keine Gewerkscha­ft oder Tarifparte­ien und daher auch keine Sonderrege­lungen, wie es sie beispielsw­eise im medizinisc­hen Bereich gibt.

Aber Klegraf betont auch, dass es Tätigkeits­felder gibt, in denen die Arbeitszei­t nicht verlängert werden sollte: Beim Rigging zum Beispiel, wenn Fachperson­al auf den Gerüsten in luftiger Höhe Zubehör montieren. „Wo es ins Risiko geht, da muss differenzi­ert werden.“

Für Daniel Oberstette­r liegt die Lösung in einer Ausnahmere­gelung. Diese könne die rechtliche Sicherheit bieten, die es für lange Arbeitszei­ten benötige. „Sie sollte aber ein scharfes Schwert bleiben, damit Arbeit- und Auftraggeb­er daraus keinen Profit ziehen können.“

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Foto: Sina Schuldt, dpa Einmal im Büro die Karte durchziehe­n und die Arbeit beginnt. Das Tageslimit liegt für gewöhnlich bei acht Stunden. Sollte diese Grenze nach oben verschoben werden?

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