Donau Zeitung

Das Grauen in der Lausitz

Die neue Folge „Abgrund“des „Polizeiruf 110“führt tief in den Osten.

- Ronald Hinzpeter

Große Stars gibt es viele, der vielleicht größte von allen nennt sich schlicht F60. Er überragt nicht nur die vernarbte Tagebau-Landschaft in der Lausitz, sondern auch diesen „Polizeiruf 110“(Sonntag, 20.15, ARD). In der Folge „Abgrund“ist der gigantisch­e ausrangier­te Bagger der wahre Star. Er war mal das größte bewegliche Arbeitsger­ät der Welt und rostet nun vor sich hin. Er steht für die untergehen­de Welt des Braunkohle­tagebaus und symbolisch auch ein bisschen für den „Polizeiruf “aus dem deutschpol­nischen Grenzland. Der verliert mit dieser Folge schon die zweite tragende Figur. Nach dem Abgang von Olga Lenski (Maria Simon) gibt auch ihr ehemaliger Partner Adam Raczek (Lucas Gregorowic­z) seine Dienstmark­e ab. Schade um diesen struppigen, verschloss­enen Eigenbrötl­er-Bullen. Die nächste Folge muss etwas geschlecht­sflexibler sein. Der kajalumran­dete Kollege Vincent Ross (André Kaczmarzyk) muss sie allein auf seine schmalen Schultern nehmen, die diesmal von reichlich Kunstfell gewärmt werden.

Die Geschichte ist eine klassische, gute Serienkill­er-Story, in der mehrere Frauen mit einer Plastiktüt­e

über dem Kopf das Zeitliche segnen müssen. Sie spielt rund um den aufgegeben­en Tagebau von Lichterfel­d, über dem das gigantisch­e Baggergest­änge von F60 in die Landschaft ragt wie das Gerippe einer Urweltechs­e im paläontolo­gischen Museum.

Es ist nicht wirklich schön, doch im Dämmerlich­t gefilmt, entwickelt es eine ungeahnte Schönheit, die Ästhetik des Verfalls.

Und mit Verfall kennen sich die Menschen in dieser Gegend aus, die einst als Dunkeldeut­schland galt und auch jetzt wenig Anheimelnd­es ausstrahlt. So ziemlich jeder, der in „Abgrund“eine tragende Rolle spielt, trägt dunkle Flecken auf der Seele. Je weiter die Handlung fortschrei­tet, desto mehr Grauen tritt zutage – bis zur finalen Verfolgung­sjagd über die stählernen Knochen von F60. Einen würdigen Abgang verschaffe­n Regisseur Stephan Rick und die Autoren Peter Dommaschk und Ralf Leuther da dem Fahnder Raczek, den seine Arbeit ziemlich auf den Hund kommen lässt. Seelisch sieht es bei ihm offenbar ähnlich wüst aus wie im Tagebau.

Wäre schade, wenn mit seinem Ausscheide­n auch diese Gegend aus dem „Polizeiruf“verschwind­en würde, denn hier wird immer wieder Deutschlan­d von „ganz hinten“beleuchtet, mit Landstrich­en, die auf keine Postkarte passen, aber trotzdem zu unserem Land gehören. Das hat seinen eigenen Reiz.

Ach ja: Diese Folge war auch die letzte von Hauptmeist­er Neumann: Fritz Roth spielt hier, sichtbar von schwerer Krankheit gezeichnet, seine letzte Rolle in der Filmreihe. Im August starb er mit 67 Jahren.

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