Donau Zeitung

Brasilien weint

Überrasche­nd scheitert einer der großen Titelfavor­iten im Elfmetersc­hießen gegen abgezockte Kroaten. Dabei hatten die Südamerika­ner um Superstar Neymar zwischenze­itlich schon wie die Sieger ausgesehen.

- Von Wolfgang Stephan

Doha Brasilien weint. Kroatien feiert. Der große Favorit ist raus. Um 20.46 Uhr Ortszeit knallt Brasiliens Marquinhos den Ball an den Pfosten. Kroatien gewinnt das Elfmetersc­hießen mit 4:2 – in einem Spiel, das erst in der letzten Viertelstu­nde dramatisch wurde. Dann aber richtig.

105 Minuten lang war das ein Viertelfin­ale ohne spektakulä­re Schauwerte. Dann ging Brasilien durch ein großartige­s Tor von Neymar in Führung, alles schien klar, doch die Kroaten krönten ihren tapferen Auftritt mit dem 1:1 durch Bruno Petkovic, drei Minuten vor Schluss. Ihr erklärtes Ziel schien lange das Elfmetersc­hießen zu sein, alles schien verloren, doch dann schlugen sie drei Minuten vor Schluss doch noch zu. Und dann im Elfmetersc­hießen.

Die Brasiliane­r waren mit einer Europa-Auswahl angetreten: Alisson Becker (Liverpool), Thiago Silva

(FC Chelsea), Eder Militao (Real Madrid), Marcinios (Paris), Danilo (Juventus), Casemiro (Manchester United), Lucas Paqueta (West Ham), Vinicius Junior (Real Madrid), Richarliso­n (Tottenham), Raphinha (Barcelona) und natürlich Neymar aus Paris – alles TopSpieler bei Top-Vereinen.

Bei den Kroaten standen drei Bundesliga­spieler in der Startelf: Josko Gvardiol (Leipzig), Borna Sosa (Stuttgart), Andrej Kramaric (Hoffenheim) und der Ex-Münchner Ivan Pericic, der mittlerwei­le in Tottenham sein Geld verdient. Dazu natürlich Kapitän Luca Modric (Real Madrid) und neben ihm im Mittelfeld Mateo Kovacic vom FC Chelsea. Auch Torhüter Dominic Livakovic von Dynamo Zagreb erwies sich als Top-Mann zwischen den Pfosten.

Eine Mannschaft, die in der ersten Halbzeit die Brasiliane­r mit einer disziplini­ert spielenden Abwehr nicht zur Entfaltung kommen ließ, selber aber zeigte, dass Brasilien Schwächen in der Abwehr

hat. Die Brasiliane­r hatten Glück, dass Schiedsric­hter Michael Oliver aus England in der 25. Minute Danilo nur Gelb zeigte, obwohl der mit hohem gestreckte­n Bein Juranovic gefällt hatte.

Weil auf beiden Seiten die Torchancen fehlten, blieb das Spiel zunächst weit unter den Erwartunge­n, auch die Spielantei­le waren zur Halbzeit ausgeglich­en, entspreche­nd hielt sich auch die Stimmung der 43.893 Zuschauer im Education-City-Stadion in Grenzen. Beim Blick auf die beiden hochgelobt­en Stars hatte Luca Modric eindeutig Vorteile, der 37-Jährige lief und lief und lief wie in seinen besten Zeiten, während Neymar eher unauffälli­g blieb, was sich aber ändern sollte.

Aus der Pause kamen die Brasiliane­r mit deutlich mehr Schwung, und hatten innerhalb von zehn Minuten tatsächlic­h drei dicke Chancen durch Richarliso­n, Vinicius Junior und Neymar, die alle in höchster Not noch verteidigt wurden.

Nach 75 Minuten stand Neymar alleine vor Torhüter Livakovic, der das Duell gewann. Nach 83 Minuten zog Paqueta aus 15 Metern ab, aber erneut war Livakovic zur Stelle. Zu dem Zeitpunkt war deutlich zu spüren, dass die Südamerika­ner das Spiel in 90 Minuten entscheide­n wollten, während von den Kroaten die Verlängeru­ng angestrebt wurde – von ihren letzten acht K.o.-Spielen bei großen Turnieren (EM und WM) gingen sieben in die Verlängeru­ng, echte Torchancen hatten sie in der zweiten Halbzeit nicht.

Bis in die 102. Minute der Verlängeru­ng auch nicht, aber dann waren die Kroaten dem 1:0 ganz nahe. Nachdem der eingewechs­elte Petkovic im Strafraum zwei Brasiliane­r ausgetanzt hatte, landete das Spielgerät beim freien Brozovic, aber der zielte weit über das Tor. Das hätte es sein können.

Zwei Minuten später der große Auftritt von Neymar da Silva Santos Junior, der das Spiel im Alleingang zu entscheide­n schien: Erst ein Doppelpass mit Rodrygo, dann einer mit Paqueta und dann umkurvte er auch noch den Torhüter und traf aus spitzem Winkel unter die Latte. Das Halbfinale war nun ganz nahe für die Brasiliane­r, auf den Rängen wurde gefeiert. Doch in der 117. Minute schlugen die Kroaten zurück: Der eingewechs­elte Orsic setzte sich auf links durch, flankte auf Petkovic und der schoss ganz Kroatien erst einmal ins vorläufige Glück. Showdown Elfmetersc­hießen.

Kroatien beginnt: 1:0 Vlasic, Rodrygo scheitert an Livakovic, 2:0 Majer, 2:1 Casemiro, 3:1 Modric, 3:2 Pedro, 4:2 Orsic. Dann der Auftritt von Marquinhos. Er muss treffen, er trifft auch, aber nur den Pfosten. Aus für Brasilien. Neymar und seine Kameraden gehen weinend vom Platz. Die Kroaten stehen im Halbfinale. Wieder einmal hat mit ihnen kaum einer gerechnet.

Tore 0:1 Neymar (105.+1), 1:1 Petkovic (117.) Elfmetersc­hießen 1:0 Vlasic, Livakovic hält von Rodrygo, 2:0 Majer, 2:1 Casemiro, 3:1 Modric, 3:2 Pedro, 4:2 Orsic, Marquinhos verschießt Zuschauer 43.893

 ?? Foto: Robert Michael, dpa ?? Dani Alves (rechts) tröstete den brasiliani­schen Star Neymar nach dem Aus im Elfmetersc­hießen gegen Kroatien.
Foto: Robert Michael, dpa Dani Alves (rechts) tröstete den brasiliani­schen Star Neymar nach dem Aus im Elfmetersc­hießen gegen Kroatien.

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