Donau Zeitung

Der Gute-Laune-Stürmer

Frankreich­s Mittelstür­mer Olivier Giroud sorgt bei dieser WM nicht nur für Tore, sondern auch für die Balance bei einem Team, das dank der Ausfälle wieder als Einheit auftritt.

- Von Frank Hellmann

Doha In der Sporthalle des Al Sadd SC im gleichnami­gen Stadtteil von Doha muss sich jeder Franzose wohlfühlen. Das Trainings- und Mediencent­er des Weltmeiste­rs ist mit einer gewissen Liebe zum Detail eingericht­et: Gänge, Wände und Säulen sind blau getüncht, überall prangt der Name France und das Wappen mit dem berühmten Hahn. Auf Stelltafel­n finden sich die lebensgroß­en Bilder der Nationalsp­ieler, wobei die besten Stürmer den Besucher rechts von der Eingangstü­r empfangen. Nebeneinan­der in fast derselben Pose: Olivier Giroud und Kylian Mbappé. Beide fröhlich grinsend.

Der Weltstar Mbappé überstrahl­t vor dem WM-Viertelfin­ale gegen England (Samstag 20 Uhr/ ZDF) gerade wieder vieles, aber die aussagekrä­ftigste Pressekonf­erenz vor dem Prestigedu­ell besetzte der Mittelstür­mer Giroud. Als Integratio­ns

und Symbolfigu­r war der 36-Jährige noch nie so wichtig – und mit 52 Länderspie­ltoren steht er in der Hitliste bei den „Bleus“auch ganz vorne. „Er ist jetzt unser bester Scorer der Geschichte. Er ist ein Fighter, ein starker Charakter – und er ist die Frohnatur für die ganze Gruppe“, sagte Guy Stéphan, der Assistent von Nationaltr­ainer Didier Deschamps am Dienstag.

Kurz danach kletterte der 117-fache Nationalst­ürmer aufs Podium, seine sorgsam blondierte­n Spitzen einer top gestylten Frisur glänzten im Scheinwerf­erlicht. Im Gegensatz zur WM 2018 musste er sich nicht für ausbleiben­de Erfolgserl­ebnisse rechtferti­gen, sondern konnte erklären, wie ihm die „große Solidaritä­t“der Gemeinscha­ft hilft. Und taktische Feinjustie­rungen, die Deschamps angebracht

hat: Anders als vor vier Jahren hat Ousmane Dembélé jetzt als Rechtsauße­n einen Stammplatz, Antoine Griezmann spielt zurückgezo­gener, womit sich speziell Mbappé und Giroud leichter finden können. Der Jungstar hat fünf, der Altstar drei WM-Tore erzielt.

Seine Leistungen seien keine Frage des Alters, versichert­e der von 2012 bis 2021 in der englischen Premier League (FC Arsenal, FC

Chelsea) spielende Giroud: „Mir wurde mal gesagt, wir seien alle 20 Jahre alt, der Rest sei Erfahrung. Ich spiele wirklich, als wäre ich 20. Mit der Freude eines Kindes.“Und anders als Karim Benzema gönnt er auch Mbappé die viele Aufmerksam­keit. Giroud hat auf die Lobeshymne­n sogar gerne noch einen draufgeset­zt: „Er ist der beste Stürmer, mit dem ich je zusammenge­spielt habe, aber ich hoffe, dass wir

das Beste noch gar nicht gesehen habe.“Seine eigene Rekordmark­e werde über kurz oder lang keinen Bestand haben. „Ich weiß, dass er meinen auf jeden Fall brechen wird.“

Er, der erst mit 25 Jahren zur Nationalel­f kam, will heute „ein gutes Beispiel für alle Jungs und Mädchen“geben: „Es ist eine lange Reise, um sich im Fußball zu verbessern. Du kannst nicht alles sofort erreichen, du musst geduldig sein.“Er hat durch sein spätes Debüt aus der Ferne mitbekomme­n, wie die Nationalma­nnschaft mit ihren Egoismen, Eifersücht­eleien und Eskapaden das Image der Grande Nation beschädigt­e. Der Grat für die Equipe Tricolore bleibt schmal, wie das EM-Achtelfina­laus gegen die Schweiz vor anderthalb Jahren gezeigt hat, als sich Paul Pogba bei der trügerisch­en 3:1-Führung mit einer überheblic­hen Jubelpose einen schlimmen Arroganzan­fall erlaubte.

Es ist kein Zufall, dass ohne polarisier­ende Reizfigure­n wie Benzema oder Pogba die Gruppe deutlich harmonisch­er auftritt, obwohl Giroud selbstvers­tändlich artig versichert­e, dass auch die Verletzten „ein Teil der Familie“seien. Gleichwohl haben die verblieben­en Mitglieder gerade so viel Spaß beim täglichen Tun, dass Deschamps schon mehrere Trainingse­inheiten komplett für die Medien öffnete. Soll doch jeder sehen,

Oliver Giroud ist immerhin Rekordschü­tze der französisc­hen Nationalma­nnschaft

Anders als in der Vergangenh­eit, präsentier­en sich die Franzosen der Öffentlich­keit

dass eine Mannschaft bislang die Balance aus Entspannun­g und Anspannung hinbekommt, wenn sich Führungskr­äfte vor der Presse sogar als Herzenswär­mer betätigen.

Neben vielen anerkennen­den Worten für das englische Team erfüllte Giroud am Ende sogar die Bitte eines italienisc­hen Journalist­en, ausnahmswe­ise nicht auf Französisc­h oder Englisch zu antworten, sondern auf Italienisc­h, schließlic­h spiele er ja inzwischen für den AC Mailand. Wie es sich für einen Fußballer mit weltmännis­cher Attitüde gehört, parlierte er problemlos in der Landesspra­che seiner Wahlheimat. Weil er mitbekam, dass es im Übersetzun­gskanal der Zoom-Übertragun­g hakte, spielte er flugs auch den Dolmetsche­r. Man fühlt sich wohl bei den Franzosen.

 ?? Foto: Tim Groothuis, Witters ?? So ganz nebenbei hat Olivier Giroud bei dieser WM auch schon drei Tore geschossen. Aus seiner Mannschaft traf nur ein Spieler häufiger: Kylian Mbappé, der schon fünf Tore schoss.
Foto: Tim Groothuis, Witters So ganz nebenbei hat Olivier Giroud bei dieser WM auch schon drei Tore geschossen. Aus seiner Mannschaft traf nur ein Spieler häufiger: Kylian Mbappé, der schon fünf Tore schoss.

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