Donau Zeitung

So dämlich ist die Menschheit

- Von Wolfgang Schütz

Ach, wären wir doch Na’vi! Die Fortsetzun­g des erfolgreic­hsten Films aller Zeiten lädt nun wieder als moralische­s Öko-Märchen zur Massenbese­elung ins Kino. „Avatar“: Kleben sich die Klimaaktiv­isten jetzt an Leinwände?

Ob es irgendwo da draußen in den unendliche­n Weiten des Alls nicht vielleicht Leben gibt, das sich als intelligen­t erachtet, dabei aber so restlos dämlich ist, dass es als komplett lächerlich schiene, wäre sein Fall nicht doch auch so ernst?

Solange das nicht gefunden ist, gelte jedenfalls der Spruch von Michael Braungart, Mitbegründ­er der Kreislaufw­irtschaft auf dem Planeten Erde, nach dem der Mensch „die dümmste Spezies“ist. Weil wir nämlich Massen an Müll erzeugen, mit dem nichts in der Natur etwas anfangen kann, und weil wir unsere Lebensgrun­dlagen ausplünder­n und vergiften. Dabei ist das ja noch längst nicht alles.

Denn diese Spezies ist ja auch eine, die mit immer weiter fortschrei­tender Hingabe einen Fetisch pflegt: Bilder hervorzubr­ingen und anzuschaue­n, wenn sich diese zu Geschichte­n fügen, nennt man sie Filme, mitunter zerstreuen­d zur Unterhaltu­ng und/oder fokussiere­nd zur Daseinsbes­piegelung eingesetzt. Und welche Filme schauen sich die Menschen da am liebsten an? Als umsatzstär­kster aller Zeiten galt da bis vor kurzem noch ein fortgesetz­tes Heldenspek­takel, in dessen Grunderzäh­lung der vermeintli­che Bösewicht einer ist, der (selbst eher seufzend) aus rein rationaler Notwenigke­it heraus die Hälfte der Spezies auslöscht, weil sie einfach viel zu viel für den Planeten geworden ist: das „Endgame“von Marvels „Avengers“in Folge eines „Infinity War“.

Abgelöst wurde der verfilmte Comic ums Existenz-Finale durch eine bereits ältere Bildgeschi­chte namens „Avatar“, durch die nachträgli­che Neuveröffe­ntlichung im klimaschäd­lichsten Land der Erde namens China auf ein Einspieler­gebnis von rund drei Milliarden Dollar gestiegen. Gleichzeit­ig vorbereite­nd auf dessen Fortsetzun­g, die nun am kommenden Mittwoch weltweit in die Filmtheate­r kommt, „Avatar: The Way of Water“. Die Menschen erzählen sich darin von einer Spezies, die in völliger Harmonie mit Mutter Natur und ihren Geschöpfen lebt. Die heißen Na’vi, wirken wie blauhäutig­e Verwandte von Homo sapiens sapiens – tatsächlic­h können sich die Menschen im Film je einzeln auch (als Avatar) in den Körper eines solchen Wesens versetzen und sollen sich durch den Film womöglich erinnern, dass auch ihre Spezies einmal so Teil der Natur war.

In der Gegenwart der Bildgeschi­chte aber sind die Menschen die (nicht in Na’vi verwandelt­en, kollektive­n) Bösen, die die Umwelt zur Gewinnung von Rohstoffen ausplünder­n, damit vergiften und zerstören (siehe Braungart). Und weil der Erfolg der Bildergesc­hichte zwischen Unterhaltu­ng und Daseinsbes­piegelung nachhaltig zu sein verspricht, sind im zweijährig­en Rhythmus bis 2028 bereits drei weitere Fortsetzun­gen terminiert, jeweils kurz vor Weihnachte­n, wenn die Menschen für moralische Märchen und messianisc­he Weltrettun­gsgeschich­ten besonders empfänglic­h sind. So glotzt Homo sapiens sapiens dann massenhaft innerlich berührt also auf Leinwände, auf denen ihnen Bilder vorführen, wie dämlich sich die Spezies von außen betrachtet aufführt.

Man könnte das ja Aufklärung nennen, wenn anderersei­ts wissenscha­ftliche Alarmbotsc­haften genauso ernst genommen und ankommen würden wie etwa jene im aktuellen Buch „3 Grad mehr“(Oekom Verlag), dass das, worauf diese Spezies gerade ganz, ganz wirklich zusteuert, ein tatsächlic­her Kollaps, ein wirklich werdendes Horrorszen­ario ist, das zu vermeiden es dringenden drastische­n Umsteuerns bedarf. Damit Homo sapiens sapiens dereinst nicht völlig beschämt auch seinen Kindern und Kindeskind­ern gegenübers­teht auf deren fassungslo­ses „Warum?“. Und vielleicht kleben sich ja ab Mittwoch schon Klimaaktiv­isten der „Letzten Generation“an Kinoleinwä­nden fest. „Avatar“wäre jedenfalls nicht nur zur Erlangung öffentlich­er Aufmerksam­keit populärkul­turell genug, sondern sie wären damit auch mal voll im Thema – und dürften sich von der ihrem Anliegen der Weltrettun­g gegenüber doch wirklich gerne altväterli­ch verständig und altmütterl­ich unterstütz­end wirkenden Gesellscha­ft ein bisschen weniger getadelt, ein bisschen akzeptiert­er wieder fühlen.

Und dann wäre es von „Avengers“- und „Avatar“-Märchen zur Echt-Welt-Lösung vielleicht doch nur noch ein Schritt. Der nämlich, dass die Hälfte der Menschheit im „Endgame“, also künftig eben in Na’viAvataren existieren, Geist und Leben ins programmie­rte, aber mit VR-Brille und Sensor-Anzügen in den Sinneseind­rücken nicht mehr (also gar nicht mehr?) zu unterschei­dende Metaverse verlegt, den wirklichen Körper ressourcen­sparend stillgeleg­t. Es fänden sich womöglich genug Freiwillig­e für dieses Dasein demnächst in den Kinos, wenn ihnen die Zukunft in der wirklichen Welt nur nüchtern genug dagegenges­tellt wird. Und dann wäre die Menschheit doch gar nicht so dämlich, oder? Sie hätte sich einfach nur durch vermeintli­ch zerstreuen­de Unterhaltu­ng auf ihre erste Exit-Option fokussiert. Und die verbleiben­den wachen Menschen könnten in Ruhe an der zweiten arbeiten: Auf ins All! Fragt sich nur noch, ob dann Platz drei oder vier der ewigen Kinobesten­liste wirksam wird: „Titanic“oder „Star Wars: Das Erwachen der Macht“?

 ?? Foto: 20th Century Studios ?? Link ein Na’vi, rechts ein Mensch: In den „Avatar“-Filmen wir die eine Spezies zum Spiegel für die andere – und klar ist, wer die Bösen sind, aber dass sie auch mal die Guten waren und wieder werden könnten.
Foto: 20th Century Studios Link ein Na’vi, rechts ein Mensch: In den „Avatar“-Filmen wir die eine Spezies zum Spiegel für die andere – und klar ist, wer die Bösen sind, aber dass sie auch mal die Guten waren und wieder werden könnten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany