Der Gipfel der Hüttengenüsse
Der junge Allgäuer Simon Schlachter ist hoch oben auf König Ludwigs Lieblingsberg Falkenstein nicht nur Deutschlands höchster Sternekoch. Er serviert seine Menüs wie in der Hütte in der Mitte auf dem Tisch. Nun verrät der Spitzenkoch seine Geheimnisse.
Ungebrochener Spaß am Kochen spiegelt sich in Simon Schlachters Gesichtsausdruck wider, wenn er mit einem schelmischen Grinsen gespannt beobachtet, wie sein Gast eine seiner neuesten Kreationen probiert. Und hätte es der junge Sternekoch nicht schon vorher verraten, rätselten selbst geübte Gaumen darüber, was sich hinter dem kleinen Nocken tiefroten Eises verbirgt. Passend zur Jahreszeit serviert Schlachter in seinem aktuellen Menü ein Sorbet aus Roter Bete, auf einem Gelee aus Gelatine, Aperol und Rosmarin. Doch Schlachter befreit den roten Rübensaft durch mehrmaliges Einkochen gänzlich von jenem erdigen Geschmack, der das Gemüse so oft in Fans und Gegner spaltet.
Und selbst in kleinen Würfelchen hat er die Rote Bete in einem Zuckersud mit einem kleinen Spritzer speziellen Safts in eine scheinbar geheimnisvolle Zitrusfrucht verwandelt: „Das kommt vom Yuzu-Saft. Das ist eine japanische Frucht mit einem sehr besonderen, komplexen und intensiven Zitrusaroma“, erklärt der 30-Jährige. „So ein kleines Fläschchen kostet 15 Euro, aber es lohnt sich, weil man nur sehr wenig davon braucht. Aber das haben heute auch sehr viele Hobbyköche zu Hause.“
Als Simon Schlachter vor drei Jahren erstmals einen Michelin-Stern bekam, war er der jüngste Sternekoch Bayerns. Und nach wie vor ist der junge Allgäuer aus Pfronten, geografisch gesehen, der höchste Sternekoch. Sein Restaurant „Pavo“im Burghotel Falkenstein befindet sich auf 1250 Metern Höhe knapp unter dem Gipfel der berühmten mittelalterlichen Burgruine bei Pfronten im Allgäu. König Ludwig II. wollte hier oben auf dem Gipfel sein viertes Märchenschloss bauen: Einen kleineren Zwilling von Schloss Neuschwanstein, das Gäste von hier oben bei klarer Sicht Richtung Füssen erspähen können.
Hohes Niveau im doppelten Sinne also. Denn Schlachter war nicht nur einer der jüngsten, sondern auch der erste Koch in Deutschland, der einen Stern für ein Konzept bekam, das in immer mehr Ländern der Welt die Spitzengastronomie erobert. Seine Sterne-Menüs serviert er nicht Gang für Gang jeweils auf einem kunstvoll malerisch angerichteten Teller, sondern in der Mitte des Tisches, wie beim Familienessen oder auf der Berghütte. Die hippe internationale Gastroszene feiert diese gesellige Art des Teilens heute trendig unter dem Begriff „Sharing Experience“.
Für Simon Schlachter lag das Konzept von Anfang an aus vielerlei Gründen nahe. Als seine Eltern das traditionsreiche Hotel auf dem Berg übernahmen, träumte der junge Koch, der seine Ausbildung in zahlreichen Sternerestaurants veredelte, von einem Restaurant im Restaurant. Sein „Pavo“– der Name bedeutet „Pfau“und ist eine Hommage an das Lieblingstier des Märchenkönigs Ludwig II. – ist im Grunde genommen ein Nebenraum des Hotelrestaurants. Donnerstags bis sonntags tischt Schlachter hier seine Sterne-Menüs auf.
Doch alles kommt aus einer Küche – vom gleichen Köche- und Service-Team, das sich auch um die anderen Gäste kümmert und deshalb kaum Gang für Gang unzählige einzeln drapierte Teller anservieren kann. Vor allem aber fremdelte der junge Allgäuer in seinen Jahren als Jungkoch ein bisschen mit der kathedralenhaften Ernsthaftigkeit in vielen Sterne dekorierten Feinschmecker-Tempeln. „Wenn dort ein Gang serviert wurde, herrschte plötzlich am Tisch ehrfurchtsvolles Schweigen“, erzählt Schlachter. „Aber Genießen ist doch etwas Geselliges, da will man darüber reden, probieren und das alles gemeinsam erleben.“
Ohnehin ist man auch auf der deutschen Seite der Alpen ab tausend Meter Höhe schnell per Du. Im Winter liegt auf dem Falkenstein früher Schnee als im Tal, im Sommer ist die Burgruine beliebtes Wanderziel. Ein gewisses Luxus-Hüttenfeeling lässt sich in Schlachters Wellness-Hotel nicht bestreiten, seitdem dort die gehobene Küche eingezogen ist.
So ist das Rote-Bete-Eis in Schlachters Menü nur eine von 18 Kreationen, die er in seinem Menü in fünf Etappen im „Pavo“auf die runden Tische bringt. Unter den vier Desserts ist es das erfrischende Element. Zum Hauptgang gibt es Reh und Schwein, unter anderem als Schwarzwurst-Krokette. Zuvor zwei VorspeisenGänge aus jeweils vier bis fünf einzelnen Gerichten. Überall versteckt Schlachter seine kleinen faszinierenden AromenTricks, ebenso wie in seinen normalen Restaurant-Gerichten. Seine herbstliche Kürbiscremesuppe begleiten beispielsweise nicht nur bekannte Noten von Curry und Ingwer. Schlachter schnippelt auch noch einen halben Stängel Zitronengras hinein, ebenso wie eine halbe Vanilleschote, gießt dem Gemüsefonds reichlich mit Weißwein, Orangen- und Apfelsaft auf und spendiert dem knappen Pfund Hokkaidokürbis noch einen Sternanis. Nachdem er alles 20 Minuten gekocht und durch ein Sieb passiert hat, veredeln Mascarpone, Kokosmilch und
In seinem neuen Kochbuch erklärt der Aromenkünstler seine Geschmackstricks
So kocht ein moderner junger Sternekoch im Allgäu zu Hause seine Kässpätzle
Sweet-Chili-Sauce eine unaufdringliche asiatische Note für die Klassikersuppe.
Die vielen Tricks und Geheimnisse seiner Aromen-Kunst verrät Simon Schlachter nun in seinem ersten, opulent und passend modern gestalteten Kochbuch „Gipfelgenuss“. Wie oben auf dem Falkenstein gibt es eine Mischung aus Bodenständigem der Allgäuer Heimat und aufwendig verspielten kreativen Kunstwerken, aus denen sich Hobbyköchinnen und -köche reichlich Anregungen holen können, selbst wenn sie den Aufwand vieler Sterne-Top-Level-Gerichte in der heimischen Küche trotz Hilfe von Thermomix & Co. kaum oft alleine nachzelebrieren wollen. Doch der Allgäuer Koch verrät auch die Rezepte seiner GipfelKlassiker, wie seinen reschen Schweinebauchbraten mit Selleriepüree oder geschmorte Rinderbacken.
Spannend für fast jeden ist es natürlich, beim Lesen und Nachkochen zu erfahren, wie ein junger, moderner Allgäuer Sternekoch zu Hause seine Kässpätzle macht. Sehr klassisch mit besten Zutaten. Einem Pfund Mehl spendiert Schlachter sieben Eier, ein Spritzer Essig und drei Esslöffel Wasser machen den Teig geschmeidig, Salz und Muskat schmecken ihn ab. Frisch aus dem Kochwasser schichtet Schlachter in einem vorgewärmten Gusseisentopf wie eine Lasagne die Spätzle mit seiner Käsemischung: 150 Gramm ein Jahr, 120 Gramm ein halbes Jahr gereifter Bergkäse, 100 Gramm Emmentaler und 50 Gramm Romadur. Zum Abschluss gießt der Koch 0,1 Liter Spätzlekochwasser darüber und mischt vorsichtig alles durch, damit sich die Fäden ziehen. Die Krönung besteht aus 250 Gramm ButterSchmelzwiebeln, 100 Gramm mit etwas Mehl und Paprikapulver bestäubten und dann frisch frittierten Röstzwiebeln, etwas brauner Butter und Schnittlauch. Serviert wird der Topf natürlich in der Tischmitte. Zum geselligen Teilen und Genießen.