Donau Zeitung

„Macht wird bei Männern als attraktiv empfunden“

Die Schauspiel­erin und Regisseuri­n Maria Schrader hat den Skandal um den Hollywood-Produzente­n Harvey Weinstein verfilmt. Ein Gespräch über Strukturen dieser Übergriffe, weibliche Heldinnen und die Veränderun­gen durch „MeToo“.

- Interview: Rüdiger Sturm

Frau Schrader, was hat Sie in der Auseinande­rsetzung mit „MeToo“und dem Weinstein-Skandal am meisten bewegt? Maria Schrader: Die Isolation, in der sich Opfer und Zeuginnen über so lange Zeit befunden haben. Diese Frauen mussten denken, dass sie die einzigen Betroffene­n waren. Über Jahrzehnte. Das finde ich schlimm. Und es erschreckt mich, in welchem Ausmaß Mitarbeite­r und Anwälte, die den Opfern rieten, Geheimhalt­ungsverein­barungen zu unterschre­iben, an diesem System der Vertuschun­g beteiligt waren. Als ich das Buch von Jodi Kantor und Meghan Twohey las, war ich atemlos vor Staunen.

Hatten Sie, bevor Sie das Angebot für den Film erhielten, in dem Fall Weinstein einen Stoff fürs Kino gesehen?

Schrader: Nein. Ich war maximal weit von Hollywood entfernt und hatte auch nie mit Weinstein zu tun. Wir waren alle mit uns selbst beschäftig­t.

Wie haben Sie überhaupt zum ersten Mal davon erfahren?

Schrader: Aus der deutschen Presse, und dann habe ich den Artikel der New York Times gelesen. Danach gehörte ich zu den zahlreiche­n Schauspiel­erinnen, die von deutschen Journalist­en auf der Suche nach dem deutschen Weinstein kontaktier­t wurden. Ich kann mich an Doppelseit­en erinnern, auf denen Kolleginne­n ihre Erlebnisse erzählt haben. Da ist ein Damm des Schweigens gebrochen – auch in meinem Arbeitsumf­eld gab es viele Gespräche dazu.

Aber von Ihnen wurden zum Glück keine traumatisc­hen Geschichte­n bekannt.

Schrader: Das nicht, aber ich habe an verschiede­ne Erlebnisse in meinem Leben gedacht und mich gleichzeit­ig auch gefragt, wie viel ich vielleicht auch schon vergessen hatte. Ich stand zum ersten Mal mit 16auf der Bühne. In diesem Rückblick hat etwas stattgefun­den, was die Amerikaner ‚Reframing‘ nennen. Das heißt, ich habe bestimmte Vorfälle in neuem Licht betrachtet, die ich früher als Normalität abgetan oder ins Vergessen geschickt hatte.

Wie kann es generell dazu kommen, dass übergriffi­ges Verhalten als normal empfunden wird?

Schrader: Wir sind alle in patriarcha­len Strukturen aufgewachs­en und ausgebilde­t worden. Mädchen und Jungen werden unterschie­dlich erzogen, es werden ihnen andere Eigenschaf­ten zugeschrie­ben. Die Sexualität des Mannes galt als Naturgewal­t, während die Frauen sich gefälligst selbst darum kümmern mussten, ihr nicht zum Opfer zu fallen. Sollte der Rock zu kurz gewesen sein, wurde der Frau viel zu oft unterstell­t, den Überfall selbst provoziert zu haben. Weibliche Sexualität dagegen galt oder gilt noch immer als etwas Passives, das erweckt werden muss, was unter anderem dazu führt, dass man Frauen zuschrieb, überwältig­t werden zu wollen. Das sind gesellscha­ftliche Normen. Macht wird bei Männern als attraktiv empfunden und bei Frauen eher nicht. Ich habe in meinem Werdegang im Arbeitsumf­eld gelernt, den mächtigen Mann in seiner Position zu meinem Nutzen zu bespielen. Darin bin ich geübter, ebenso im Umgang mit einem gewissen alltäglich­en Chauvinism­us. Und um davon möglichst unberührt zu bleiben, habe ich eben versucht, all diesen Erfahrunge­n kein großes Gewicht zu geben und viele Dinge vergessen. Insofern bin ich da auch Teil des Systems gewesen.

Aber durch „MeToo“hat sich ja einiges verändert. Gehören Übergriffe wie im Fall Weinstein der Vergangenh­eit an?

Schrader: Das glaube ich nicht. Die passieren nach wie vor.

Rechtlich ist aber doch einiges in Bewegung geraten.

Schrader: Ja. In den USA wurden in einigen Bundesstaa­ten Gesetze geändert. Es hat sich auch in der gesellscha­ftlichen Wahrnehmun­g etwas geändert. In großen Betrieben wird für Sicherheit am Arbeitspla­tz gesorgt, etwa durch unabhängig­e Stellen, an die sich jeder Betroffene wenden kann. Das wird relativ flächendec­kend zumindest angestrebt. Und wenn jemand

Übergriffe meldet, dann wird das nicht mehr leichtfert­ig unter den Teppich gekehrt. Das kann sich keiner mehr leisten. Aber die tatsächlic­he Veränderun­g der Denkmuster braucht eben viel länger.

Denken Sie, dass auch Ihr Film etwas zu diesen Entwicklun­gen beitragen kann?

Schrader: Ich hoffe, dass er Mut macht und Gespräche anregt. Wir erzählen nicht die Geschichte von „MeToo“, sondern wie es dazu kam, dass sich zwei Journalist­innen der Gerüchte um Harvey Weinstein annahmen und welche Schwierigk­eiten sie auf dem Weg bis zur Veröffentl­ichung erlebten. Das ist unsere Perspektiv­e. Und ich wollte auch zeigen, welche Erleichter­ung es Opfern verschafft, sich mitzuteile­n und gehört zu werden. Ich hoffe, das ist inspiriere­nd für andere.

Wobei sich die Art, wie Sie Ihre Protagonis­tinnen präsentier­en, von den klassische­n

männlichen Reporterge­schichten abhebt, denn Sie zeigen auch die privaten Probleme des Mutter- und Familienle­bens.

Schrader: In ihrem Buch sparen Megan und Jodi den privaten Teil aus, aber ich bin extrem dankbar gewesen, dass sie dem Film diese persönlich­en Details zur Verfügung gestellt haben. Das war ein großer Vertrauens­vorschuss. Denn so konnten wir eben ein viel kompletter­es Bild von arbeitende­n Frauen und Müttern zeichnen. Deren Alltag ist eben nach wie vor anders als der von Männern. Ich habe in diesem Genre auch noch keine weiblichen Protagonis­tinnen gesehen, die fantastisc­he Journalist­innen sind und dabei ganz unglamourö­s mit der U-Bahn fahren, auch mal zu spät kommen und nicht immer perfekt aussehen.

Das klassische Vorbild des Genres ist natürlich „Die Unbestechl­ichen“mit Robert

Redford und Dustin Hoffmann über die Aufdeckung des Watergate-Skandals. Schrader: Der Film zeigt klassische männliche Helden, einsame Wölfe, die von keinerlei familiären Bindungen beeinträch­tigt sind. Da passen dann auch die coolen Jazz-Motive dazu. Ich liebe „Die Unbestechl­ichen“, aber in unserem Fall hängen das Frau- und Muttersein eng mit dem Thema ihrer Recherche als Journalist­innen zusammen. Woodward und Bernstein haben während ihrer Arbeit wohl nicht die eigene Position als Mann in der Gesellscha­ft hinterfrag­t. Für Megan und Jodi dagegen berührt das Thema ihre persönlich­e Welt. Wenn eine Mutter ihre frisch geborene Tochter betrachtet, fragt sie sich, ob die Welt für Frauen in 20 Jahren immer noch so sein wird. Deswegen finde ich es wichtig, sie nicht nur als Profi-Reporterin­nen zu zeigen, sondern auch als normale Menschen mit Sorgen und Fehlern. Sie haben es trotzdem geschafft, diese Geschichte zu veröffentl­ichen, die zu einem Ruck in der Gesellscha­ft geführt hat.

Ist die Zeit der klassische­n männlichen Helden vorbei?

Schrader: Warten wir’s mal ab. Vielleicht gibt es in ein paar Jahren auch die „klassische­n weiblichen Heldinnen“. Ich würde mich freuen.

„She Said“ist Ihr Debüt als Regisseuri­n eines Hollywoodf­ilms. Wollen Sie hier weitermach­en und diesen Geschichte­n Ihren Stempel aufdrücken?

„Ich habe in meinem Werdegang gelernt, den mächtigen Mann in seiner Position zu meinem Nutzen zu bespielen.“

„Hollywood ist mir noch ein bisschen fremd. Ich fühle mich immer noch als Touristin, wenn ich nach Los Angeles fliege.“

Schrader: Ich weiß nicht, was mein nächstes Projekt sein wird. Die Dreharbeit­en zu „She Said“waren sehr erfüllend und es war mir eine Freude, nächtelang amerikanis­che Schauspiel­er über Zoom zu casten. Ich empfinde es als großes Glück, dass ich verschiede­ne Länder und Nationalit­äten in meinen bisherigen Projekten vereinen konnte. So gesehen kann ich mir sowohl vorstellen, wieder in den USA, England oder auch Europa zu arbeiten. Was Hollywood angeht, ist mir das noch ein bisschen fremd. New York kenne ich viel besser. Ich fühle mich immer noch ein wenig wie eine Touristin, wenn ich nach Los Angeles fliege. Aber ich habe mir nicht vorgenomme­n, konsequent eine Hollywoodk­arriere zu verfolgen. Dazu fühle ich mich Europa und unserer Art des Geschichte­nerzählens zu sehr verbunden.

Wie kam es eigentlich dazu, dass man Ihnen die Regie dieses Prestigepr­ojekts angetragen hat?

Schrader: Meine Netflix-Serie „Unorthodox“hat mich ins Visier der Produzente­n gerückt. Das war nicht nur der Erfolg, verbunden mit dem Emmy-Gewinn, sondern auch der Inhalt. Die Verbindung aus dysfunktio­naler Sexualität und gesellscha­ftlichem Erwartungs­druck, wie sie die Protagonis­tin in der Gemeinscha­ft ultra-orthodoxer Juden erlebt, ist auch verwandt mit sexueller Gewalt in Abhängigke­itsverhält­nissen.

Hatten Sie eigentlich Bedenken, sich auf die Maschineri­e der amerikanis­chen Filmbranch­e einzulasse­n?

Schrader: Jedes Mal, wenn ich ein Projekt anfange, sind Ängste im Spiel, weil ich nicht weiß, ob ich den Aufgaben, die sich an das jeweilige Projekt knüpfen, gewachsen bin. Am meisten machte mich nervös, dass ich noch nie mit einem so großen amerikanis­chen Team gedreht hatte, gewerkscha­ftlich organisier­t, wie das in den USA üblich ist. Das führte dazu, dass ich mir Leute aussuchte, die dieses System bereits kannten, und keinen meiner vertrauten Mitstreite­r außer dem Cutter von früheren Filmen mitbrachte. Ich war auch eingeschüc­htert, was die Sprache anging, denn hier hatte ich es mit New York TimesJourn­alistinnen zu tun, die nichts anderes machen, als mit Sprache zu arbeiten. Das ist etwas ganz anderes, als wenn man sich, wie bei meinen früheren Filmen, mit jungen Israelis, Portugiese­n oder Franzosen in Englisch als Zweitsprac­he trifft. Hinzu kam das Verantwort­ungsbewuss­tsein, das ich angesichts dieser Geschichte spürte. Manchmal dachte ich: Ich bin zwar gewohnt, Nervosität in Kreativitä­t umzusetzen, aber wenn noch mehr Druck dazukommt, dann kippt die Nordsee um.

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Foto: Paul Zinken, dpa „Ich bin auch Teil des Systems gewesen“: Schauspiel­erin und Regisseuri­n Maria Schrader.

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