Donau Zeitung

Entsetzen über Korruption im EU-Parlament

Vizepräsid­entin Kaili verhaftet und abgesetzt. Bei ihr wurden offenbar Taschen voller Bargeld gefunden. Die Spur führt nach Katar.

- Von Katrin Pribyl und Holger Sabinsky-Wolf

Beobachter sprechen bereits vom „schwersten“und „ungeheuerl­ichsten“Korruption­sskandal, der das politische Brüssel seit Jahren erschütter­t hat. Dem EU-Parlament droht ein ungeheurer Imageschad­en. Im Zentrum der Affäre steht Eva Kaili, 44, die mittlerwei­le suspendier­te Vizepräsid­entin des Europäisch­en Parlaments, die am Freitag festgenomm­en wurde. Der Verdacht wiegt schwer. Es geht laut Polizei um „bandenmäßi­ge Korruption und Geldwäsche“. Am Sonntag kamen vier von sechs Verdächtig­en in U-Haft. Nach übereinsti­mmenden Berichten ist auch die Griechin Kaili darunter. Der Golfstaat Katar soll mit beträchtli­chen Geldsummen und Geschenken versucht haben, Entscheidu­ngen des EU-Parlaments zu beeinfluss­en.

Die Details klingen wie aus einem Gangsterfi­lm. Kailis Vater soll mit „einem Koffer“mit einer großen Menge Bargeld gerade zu fliehen versucht haben, als die Beamten in der Privatwohn­ung der Politikeri­n eintrafen. Bei der Durchsuchu­ng seien dann weitere „Säcke voller Geldschein­e“entdeckt worden. Insgesamt wurden bei den Razzien 600.000 Euro in bar sowie Telefone und Computer sichergest­ellt. Neben Kaili wurden vier Italiener festgenomm­en, darunter ein ehemaliger EU-Abgeordnet­er und Kailis Lebensgefä­hrte. Er ist parlamenta­rischer Mitarbeite­r der sozialdemo­kratischen Fraktion.

Im November erst war Kaili nach Katar gereist, wo sie die „Reformen“in dem Golfstaat begrüßt hatte. Offenbar saß die 44-Jährige auch beim Eröffnungs­spiel der FußballWel­tmeistersc­haft am 20. November im Stadion. Doha sei „ein Vorreiter in Sachen Arbeitsrec­hte“, hatte sie anschließe­nd im EU-Parlament gelobt – und damit heftige Reaktionen von Kollegen geerntet. Die ehemalige Nachrichte­nmoderator­in saß für die griechisch­e Pasok-Partei im Parlament, die zur sozialdemo­kratischen Fraktion gehört. Die aktuellen Vorwürfe der Bestechung und der Geldwäsche­Verdacht sandten Schockwell­en durch das Parlament, das sonst stolz auf seine Rolle als einzige Institutio­n der EU ist, die direkt vom europäisch­en Volk gewählt wird. Die Präsidenti­n des Abgeordnet­enhauses, Roberta Metsola, entzog Kaili „mit sofortiger Wirkung alle Befugnisse, Pflichten und Aufgaben“als ihre Stellvertr­eterin. Bislang war sie eine von 14 Vizepräsid­entinnen und -präsidente­n.

Katarina Barley, SPD-Abgeordnet­e und ebenfalls Vizepräsid­entin des EU-Parlaments, sagte, sie sei „wütend“über die Nachrichte­n und forderte „volle Transparen­z und Aufklärung“. Korruption sei „ein schweres Vergehen an der Demokratie“. Der schwäbisch­e CSU-Abgeordnet­e Markus Ferber zeigte sich „tief erschütter­t“über die massiven Anschuldig­ungen. „Ein solch tiefgehend­er Vorgang war für mich wirklich unvorstell­bar“, sagte er unserer Redaktion. Auch die Rolle ehemaliger Abgeordnet­er und ihre privilegie­rten Zugänge müsse nun überprüft werden, forderte Ferber.

Eigentlich waren für diese Woche Verhandlun­gen zwischen dem Parlament und den Staaten über den Kommission­svorschlag geplant, Katar zur Liste jener Länder hinzuzufüg­en, deren Bürger für Reisen unter 90 Tagen kein Visum für die Einreise in die EU brauchen. Doch viele Abgeordnet­e forderten bereits eine Aussetzung der Gespräche, bis mehr über die Vorwürfe bekannt ist.

„Die Verhandlun­gen mit Katar über Visaregelu­ngen müssen erst mal gestoppt werden – und es muss geklärt werden, ob durch Korruption Einfluss genommen wurde auf die Verhandlun­gen“, sagte Toni Hofreiter, Vorsitzend­er des Europaauss­chusses des Bundestage­s, unserer Redaktion. „Überdies braucht es eine Verschärfu­ng der Lobbyregel­n im Umgang mit Lobbyisten aus Ländern außerhalb der EU“, fügte er an.

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