Entsetzen über Korruption im EU-Parlament
Vizepräsidentin Kaili verhaftet und abgesetzt. Bei ihr wurden offenbar Taschen voller Bargeld gefunden. Die Spur führt nach Katar.
Beobachter sprechen bereits vom „schwersten“und „ungeheuerlichsten“Korruptionsskandal, der das politische Brüssel seit Jahren erschüttert hat. Dem EU-Parlament droht ein ungeheurer Imageschaden. Im Zentrum der Affäre steht Eva Kaili, 44, die mittlerweile suspendierte Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, die am Freitag festgenommen wurde. Der Verdacht wiegt schwer. Es geht laut Polizei um „bandenmäßige Korruption und Geldwäsche“. Am Sonntag kamen vier von sechs Verdächtigen in U-Haft. Nach übereinstimmenden Berichten ist auch die Griechin Kaili darunter. Der Golfstaat Katar soll mit beträchtlichen Geldsummen und Geschenken versucht haben, Entscheidungen des EU-Parlaments zu beeinflussen.
Die Details klingen wie aus einem Gangsterfilm. Kailis Vater soll mit „einem Koffer“mit einer großen Menge Bargeld gerade zu fliehen versucht haben, als die Beamten in der Privatwohnung der Politikerin eintrafen. Bei der Durchsuchung seien dann weitere „Säcke voller Geldscheine“entdeckt worden. Insgesamt wurden bei den Razzien 600.000 Euro in bar sowie Telefone und Computer sichergestellt. Neben Kaili wurden vier Italiener festgenommen, darunter ein ehemaliger EU-Abgeordneter und Kailis Lebensgefährte. Er ist parlamentarischer Mitarbeiter der sozialdemokratischen Fraktion.
Im November erst war Kaili nach Katar gereist, wo sie die „Reformen“in dem Golfstaat begrüßt hatte. Offenbar saß die 44-Jährige auch beim Eröffnungsspiel der FußballWeltmeisterschaft am 20. November im Stadion. Doha sei „ein Vorreiter in Sachen Arbeitsrechte“, hatte sie anschließend im EU-Parlament gelobt – und damit heftige Reaktionen von Kollegen geerntet. Die ehemalige Nachrichtenmoderatorin saß für die griechische Pasok-Partei im Parlament, die zur sozialdemokratischen Fraktion gehört. Die aktuellen Vorwürfe der Bestechung und der GeldwäscheVerdacht sandten Schockwellen durch das Parlament, das sonst stolz auf seine Rolle als einzige Institution der EU ist, die direkt vom europäischen Volk gewählt wird. Die Präsidentin des Abgeordnetenhauses, Roberta Metsola, entzog Kaili „mit sofortiger Wirkung alle Befugnisse, Pflichten und Aufgaben“als ihre Stellvertreterin. Bislang war sie eine von 14 Vizepräsidentinnen und -präsidenten.
Katarina Barley, SPD-Abgeordnete und ebenfalls Vizepräsidentin des EU-Parlaments, sagte, sie sei „wütend“über die Nachrichten und forderte „volle Transparenz und Aufklärung“. Korruption sei „ein schweres Vergehen an der Demokratie“. Der schwäbische CSU-Abgeordnete Markus Ferber zeigte sich „tief erschüttert“über die massiven Anschuldigungen. „Ein solch tiefgehender Vorgang war für mich wirklich unvorstellbar“, sagte er unserer Redaktion. Auch die Rolle ehemaliger Abgeordneter und ihre privilegierten Zugänge müsse nun überprüft werden, forderte Ferber.
Eigentlich waren für diese Woche Verhandlungen zwischen dem Parlament und den Staaten über den Kommissionsvorschlag geplant, Katar zur Liste jener Länder hinzuzufügen, deren Bürger für Reisen unter 90 Tagen kein Visum für die Einreise in die EU brauchen. Doch viele Abgeordnete forderten bereits eine Aussetzung der Gespräche, bis mehr über die Vorwürfe bekannt ist.
„Die Verhandlungen mit Katar über Visaregelungen müssen erst mal gestoppt werden – und es muss geklärt werden, ob durch Korruption Einfluss genommen wurde auf die Verhandlungen“, sagte Toni Hofreiter, Vorsitzender des Europaausschusses des Bundestages, unserer Redaktion. „Überdies braucht es eine Verschärfung der Lobbyregeln im Umgang mit Lobbyisten aus Ländern außerhalb der EU“, fügte er an.