Donau Zeitung

Das große, verdrängte Sterben auf dem Planeten

In Montreal kommen die Staaten zusammen, um das massenhaft­e Aussterben der Tiere zu stoppen. Die Lage ist dramatisch – und weitgehend unbemerkt. Das muss sich ändern.

- Von Christian Grimm

Was haben die Europäisch­e Sumpfschil­dkröte, der Feldhamste­r und die Moorente gemeinsam? Sie teilen ein trauriges Schicksal. Denn wird ihnen nicht schnell geholfen, dann könnten sie in Deutschlan­d verschwind­en. Die drei Tierarten gelten als vom Aussterben bedroht. Immerhin haben sie den Vorteil, dass sich jeder unter ihren Namen etwas vorstellen kann. Doch die Schöpfung ist mannigfalt­ig, in ihrer Verschiede­nheit überwältig­end und den allermeist­en Menschen in ihrer Gänze verborgen.

Wer kennt schon die Vielfalt der Käfer, des Gewürms und der Insekten? Fast niemand. Und weil sie fast niemand kennt, diese Tiere klein und manchmal abstoßend hässlich sind, fällt es niemandem auf, wenn sie nicht mehr da sind. In Deutschlan­d sind 75 Prozent der Insekten verschwund­en. Wer vor 30 Jahren im Sommer mit seinem Auto fuhr, hatte schnell ein Blutbad auf Windschutz­scheibe und Frontparti­e. Die Tankstelle­n verkauften spezielle Reinigungs­mittel zum Entfernen der Insekten. Heute ist das nicht mehr nötig, weil viel weniger Tierchen durch die Lüfte fliegen.

Der gewaltige Artenschwu­nd ist ein weltweites Phänomen. Die Zahlen sind erschrecke­nd. In den vergangene­n 50 Jahren sind laut WWF und Zoologisch­er Gesellscha­ft Londons die Bestände der Wirbeltier­e um 69 Prozent eingebroch­en. Zu den Wirbeltier­en gehören Fische, Vögel, Reptilien, Amphibien und Säugetiere. Wissenscha­ftler befürchten, dass bis Ende des Jahrhunder­ts eine Million Arten ausgestorb­en sein könnte. Schuld daran trägt der Mensch, der den Planeten verbraucht und die Aufheizung der Erde befeuert. Je wärmer es wird, desto brenzliger wird es für die Existenz vieler Tiere.

In Montreal versuchen die Staaten der Welt, das große Sterben zu bremsen. Sie treten zur 15. Weltbiodiv­ersitätsko­nferenz zusammen. Es ist wie der Klimagipfe­l zur Rettung der Vielfalt in der Schöpfung. Mächtige Staats- und Regierungs­chefs haben sich nicht angesagt. Das zeigt, welchen Stellenwer­t das drückende Problem hat. Wie beim Klimaschut­z geht es auch darum, wer mehr für den Schutz der Natur tun muss und wer das bezahlt.

Die reichen Staaten der Nordhalbku­gel, mithin auch Deutschlan­d, haben eine besondere Verantwort­ung. Trotz ihres Hungers nach Rohstoffen dürfen Regenwälde­r, Gebirge und die Meere nicht restlos ausgebeute­t werden. Die ärmeren Länder sollten Geld bekommen, wenn sie zum Beispiel Öl unter dem Amazonas belassen und dafür auf Einnahmen verzichten. Wie beim Klimaschut­z reicht es nicht aus, das eine zu tun und das andere zu lassen. Auch zu Hause stehen die Population­en unter extremem Druck.

Es wird nicht dazu kommen, dass weite Teile Deutschlan­ds zum Nationalpa­rk werden. Dennoch können wir nicht so weiterwirt­schaften wie bisher. Der Flächenfra­ß für Straßen, Wohn- und Gewerbegeb­iete muss gebremst werden. Die Landwirtsc­haft muss ein wenig wie früher werden – kleinteili­ger, ohne viel Gift und weg von den Monokultur­en. Dafür müssen die Bauern staatlich entschädig­t werden. Gleiches gilt für die Wälder und deren Besitzer. Die Zeit für neue Skigebiete in den Alpen ist abgelaufen. Die Flüsse müssen zumindest auf einem Teil ihrer Länge aus ihren begradigte­n Korsetten befreit werden.

Beeindruck­end und hoffnungss­pendend ist, wie schnell sich die Natur regenerier­t und bedrohte Arten zurückkehr­en, wenn man sie lässt. Deutschlan­d wird sich nicht zum Agrarland des Jahres 1800 zurückverw­andeln. Doch es geht darum, Tieren und Pflanzen bewusst Gebiete zu schaffen, in denen sie sich halten können.

Mächtige Staats- und Regierungs­chefs kommen nicht

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