Donau Zeitung

Schnee, Spaß, Sparen

Unbeheizte Lifte und höhere Preise: In Zeiten von Inflation und Energiekri­se hat in Bayern die Skisaison begonnen. Einiges wird anders sein. Worauf sich Winterspor­tler einstellen müssen, ob die umstritten­en Schneekano­nen laufen und warum die Branche umden

- Von Stephanie Sartor

Eibsee Unten, im Tal. Nieselrege­n. Kurz vor acht. Die Seile der Zugspitzba­hn verschwind­en im nebligen Nichts. Kein Kaiserwett­er, wahrlich nicht. Eine Handvoll Hartgesott­ener steht an der Talstation, wartet auf die erste Fahrt des Tages, die sie hinauf zur Zugspitze bringen wird. Hinauf zum Schnee. Und dann hinein ins Skigebiet. Start in die Saison – in eine ganz besondere.

Einer, der an diesem Morgen rauf will auf den Berg, ist Josef Anzenberge­r. Petrolgrün­e Skijacke, schwarzer Helm, Schneebril­le. 84 Jahre alt ist er – man sieht es ihm nicht an. „Nur der frühe Vogel fängt den Wurm“, sagt Anzenberge­r und lächelt. Seit er denken könne, fahre er Ski. An mindestens 60 Tagen pro Winter steht er auf den Brettern. Anzenberge­r blickt ins Grau dieses Dezemberhi­mmels, irgendwo dort oben ist der Gipfel, den man an diesem trüben Tag nur erahnen kann. Dann sagt er: „Jetzt geht’s endlich wieder los.“

Es geht also wieder los. Skifahren. Rodeln. Kaiserschm­arrn. Heißer Punsch. Après-Ski, sowieso. Nur: In dieser Skisaison ist vieles anders. Der Betrieb eines Skigebiets frisst Unmengen an Energie. Wegen

der horrenden Strompreis­e und der hohen Inflation müssen die Liftbetrei­ber reagieren – und die Winterspor­tler noch mehr Geld bezahlen als ohnehin schon. Diese Krise, sie hinterläss­t Spuren. Auch im Schnee.

Was ist in diesem Winter also anders auf den Pisten? Laufen die umstritten­en Schneekano­nen trotz aller Appelle zum Energiespa­ren? Worauf müssen sich die Winterspor­tlerinnen und Winterspor­tler einstellen? Kurzum: Skifahren im Krisenwint­er – wie sieht das aus?

Oben am Zugspitzpl­att auf 2600 Metern Höhe. Vom Gipfel gelangt man mit der Gletscherb­ahn in wenigen Minuten hierher, mitten ins Skigebiet. Im Restaurant Sonnalpin, rustikaler Hüttenstil, helles Holz, wird noch geputzt. In ein paar Stunden werden hier deftige Currywürst­e und dampfende Germknödel auf den Tischen stehen, mit denen sich die Ski- und Snowboardf­ahrer stärken. Und aufwärmen. Draußen schneit es. Minus sechs Grad. Allzu viele Möglichkei­ten, sich im Schnee auszutoben, gibt es zum Saisonstar­t allerdings noch nicht. Der Schlepplif­t nebenan ist an diesem Tag geschlosse­n, auch viele andere Lifte sind nicht in Betrieb – zu wenig Schnee. Nur eine Piste ist geöffnet.

Das Skigebiet Zugspitze ist ein reines Naturschne­e-Skigebiet, Schneekano­nen gibt es dort nicht. Im benachbart­en Skigebiet Garmisch-Classic indes schon. Hier wird in diesem Jahr aber nur eingeschrä­nkt beschneit. Wegen – natürlich – der hohen Energiepre­ise. Und das ist längst nicht die einzige Einsparmaß­nahme rund um Deutschlan­ds höchsten Berg. „Die Heizstrahl­er auf den Terrassen der Gastronomi­e bleiben aus“, sagt Verena Tanzer, Sprecherin der Bayerische­n Zugspitzba­hn, die an diesem Morgen auch oben auf dem Berg ist. Außerdem bleiben die Sitzheizun­gen in den Liften aus, die Fahrtgesch­windigkeit der Bahnen wird – wenn es das Gästeaufko­mmen erlaubt – um bis zu 50 Prozent reduziert, etwa an Schlechtwe­tter-Tagen. Außerdem sollen die Kabinen am Abend nicht extra in die Garagen gefahren werden. Insgesamt will man so zehn Prozent Energie einsparen.

Dass sich die Winterspor­tlerinnen und Winterspor­tler daran stören könnten, dass es in den Liften oder beim Essen im Freien kälter ist, glaubt Bergbahn-Sprecherin Tanzer nicht. „Ich denke, dass es bei den Menschen schon ein Bewusstsei­n dafür gibt, dass Energie gespart werden muss.“Sie glaube sogar, dass es vielen sauer aufstoßen würde, wenn etwa auf Terrassen die energiefre­ssenden Heizstrahl­er laufen würden. „Da würden sicher viele fragen: Muss das denn sein?“

Was muss sein, was nicht? Darüber müssen sich alle Skigebiete in diesem Winter Gedanken machen. Die Auswirkung­en der Energiekri­se wird man wohl überall spüren, das Skigebiet rund um die Zugspitze ist mit seinen Einsparmaß­nahmen keine Ausnahme. Bei den Bergbahnen Oberstdorf-Kleinwalse­rtal etwa wird ebenfalls auf Sitzheizun­gen in den Liften verzichtet, auch die Fahrgeschw­indigkeit der Bahnen soll, wenn wenig los ist, gedrosselt werden. Am Feldberg im Schwarzwal­d sollen die 14 Liftanlage­n möglichst nicht mehr gleichzeit­ig laufen, sondern nur noch je nach Besucheran­drang. Kritikern geht das alles nicht weit genug.

Der Bund Naturschut­z etwa fordert, die Schneekano­nen in diesem Winter komplett abzuschalt­en. Der enorme Ressourcen­verbrauch und obendrein die Umweltschä­den seien nicht weiter tragbar. „Die Skigebiets­betreiber haben auch eine gesellscha­ftliche Verantwort­ung. Sie sollten sich in der derzeitige­n Energieman­gellage solidarisc­h zeigen und freiwillig auf den Einsatz von Schneekano­nen verzichten“, sagt Richard Mergner, der Vorsitzend­e. „Schneekano­nen waren aufgrund ihrer schlechten Ökobilanz schon immer problemati­sch, in der derzeitige­n Krisensitu­ation sind sie schlicht unmoralisc­h.“Ein Verzicht auf Beschneiun­g könne in einem Winter 16 Millionen Kilowattst­unden Strom in Bayern sparen, zudem Millionen Liter Wasser, fährt Mergner in einem Pressestat­ement fort.

Maximilian Witting, der an der LMU München zu den Auswirkung­en des Klimawande­ls auf den Wintertour­ismus forscht, bezeichnet die derzeit getroffene­n Maßnahmen als hemdsärmel­ig, als kostengetr­ieben und kurzfristi­ge Notfall-Reaktion auf die aktuell enorm hohen Energiepre­ise. „Eine langfristi­ge Strategie, in die nicht nur die derzeitige Lage, sondern auch die Veränderun­gen, die der Klimawande­l mit sich bringt, einfließen, kann ich hingegen nicht erkennen“, sagt Witting. Die sei aber dringend nötig, fährt der Experte fort. Denn jenseits der aktuellen Krisenlage kämen in Zukunft viele, vor allem niedriger gelegene Skigebiete in arge Bedrängnis, weil sie aufgrund des Klimawande­ls und des weniger werdenden Schnees immer seltener wirtschaft­lich rentabel seien. Gerade diese Skigebiete müssten umdenken. Und zwar jetzt. Nicht erst in zehn, zwanzig Jahren.

Kurz vor neun Uhr morgens. Auf dem Zugspitzpl­att machen sich die ersten Skifahrer bereit für die Abfahrt. Das Schneegest­öber hat nachgelass­en, durch die löchrige Wolkendeck­e lugt eine matte Wintersonn­e. Christoph Lautner zieht den Reißversch­luss seiner Skijacke nach oben und setzt seine Brille auf. „Letztes Jahr waren wir auch schon die Ersten, die zum Saisonstar­t die Piste runtergefa­hren sind“, sagt er. Wegen der Energiekri­se aufs Skifahren verzichten wolle er nicht, sagt Lautner, blaue Skihose, grell-grüne Jacke. Die unbeheizte­n Lifte stören ihn nicht. Er habe sich einen Saisonpass zugelegt, erzählt er. Das rentiere sich, wenn man, wie er, aus der Gegend komme. Denn die Preise für Tagesticke­ts – 57 Euro – seien schon gesalzen. „Mit Essen, Liftkarten und allem drumherum ist man als Familie am Tag ein paar hundert Euro los“, sagt Lautner. Dann rammt er die Stöcke in den eisigen Boden, schiebt sich nach vorne, winkt noch einmal – und weg ist er.

Die Preise sind ein heikles Thema. Überall ist es teurer geworden – im Supermarkt, im Restaurant und eben auch auf der Skipiste. Bei der Bayerische­n Zugspitzba­hn ist die Rede von einem Preisansti­eg von zehn Prozent – Standard in vielen Winterspor­tregionen. Manchmal wird aber noch mehr draufgesch­lagen. Im Sudelfeld in der Nähe des oberbayeri­schen Winterspor­tortes Bayrischze­ll etwa steigen die Preise für eine Tageskarte von 42 auf 48 Euro. Das sind etwa 14 Prozent mehr als in der letzten Saison.

Auch der Schlittenv­erleih auf der Zugspitze hat seine Preise für einige Angebote angehoben. Ein Mitarbeite­r, der seinen

Bund Naturschut­z fordert, komplett auf Beschneiun­g zu verzichten

Rund ein Viertel will auf Urlaub im Schnee verzichten

Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will, zuckt auf die Frage, ob das wohl einige Touristen abstoßen werde, mit den Schultern, zieht an seiner Zigarette, stößt den Rauch in die kalte Bergluft und sagt: „Nein, das glaube ich nicht.“Das Klientel, das sich bisher einen Winterurla­ub leisten konnte, könne das auch weiterhin, meint er. „Da werden pro Woche bis zu 4000 Euro für vier Personen ausgegeben.“

Auf ein bestimmtes Publikum mag das zutreffen. Viele andere Menschen, bei denen das Geld nicht so locker sitzt, werden aber wohl den Winterurla­ub ausfallen lassen. Das jedenfalls geht aus einer Umfrage hervor, die der Sportbekle­idungshers­teller Schöffel in Auftrag gegeben hat. Demnach will rund ein Viertel der potenziell­en Winterurla­uber auf Ferien im Schnee verzichten, ein weiteres knappes Viertel macht sich Gedanken über Sparmaßnah­men.

Josef Anzenberge­r, der 84-Jährige, der am Morgen mit der Seilbahn nach oben gefahren war, will auch im Krisenwint­er Ski fahren. An diesem Tag ist er die einzige Piste, die bisher geöffnet hat, schon zum fünften Mal runtergefa­hren. Jetzt steht er am Ausgang des Sessellift­es, blickt in die Bergwelt, die sich vor ihm auftut. Sobald es weiter unten Schnee gebe, wolle er dort fahren, sagt er. Ein paar Mal wird er die Piste heute noch hinunterfa­hren – dann zum Essen einkehren, bevor er wieder zurück zur Station am Eibsee fährt. Dorthin, wo an diesem Morgen bei Nieselrege­n und Nebel eine ganz besondere Skisaison begonnen hat.

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Fotos: Stephanie Sartor Die ersten Skifahreri­nnen und Skifahrer, die in dieser Saison auf dem Zugspitzpl­att unterwegs sind. Die Preise für Tickets sind um zehn Prozent gestiegen.
 ?? ?? Ein Winter ohne Skifahren ist für den 84-jährigen Josef Anzenberge­r undenkbar.
Ein Winter ohne Skifahren ist für den 84-jährigen Josef Anzenberge­r undenkbar.
 ?? ?? Christoph Lautner hat eine Saisonkart­e. Das rentiere sich für ihn, sagt er.
Christoph Lautner hat eine Saisonkart­e. Das rentiere sich für ihn, sagt er.

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